6 | 10. Kapitel

2.4K 145 13
                                    

Draco hielt sein Wort - vorerst. Gemeinsam verbrachten wir viele Nachmittage und Abende in der Bibliothek, arbeiteten uns durch jedes einzelne Buch der Verbotenen Abteilung, das auch nur ansatzweise den Anschein machte, uns weiterhelfen zu können. Doch entweder würden wir in dieser Bibliothek nicht das finden, was wir suchten, oder wir suchten einfach immer an der falschen Stelle. Selbst das Buch 'Höchst potente Zaubertränke' hielt keinen Lösungsvorschlag bereit. Ich war so entnervt, dass ich kurz davor war, alles hinzuschmeißen und zum ursprünglichen Plan zurückzukehren. Unabhängig davon, was es mich kosten würde.

Nicht verbessert wurde unsere Lage durch den steigenden Druck im Unterricht. Ungesagte Zauber wurden inzwischen nicht nur von meinem Ziehvater, sondern auch bei allen anderen Lehrern als essenziell betrachtet und so war ich nicht die Einzige, die selbst bei den alltäglichen Handlungen versuchte, den Zauber ungesagt auszuführen.

Von meiner Erschöpfung kündigten dicke Augenringe, die ich regelmäßig mit einem Tarnzauber belegen musste, damit sie niemandem auffielen. Einzig die lange Narbe in meinem Gesicht hob sich deutlicher als sonst von meiner übertrieben blassen Haut ab und leider entging meinem Verlobten das nicht.

Über den Tisch hinweg griff er nach meiner Hand, mit der ich gerade nach einem Marmeladenglas hatte greifen wollen, und weigerte sich, sie wieder loszulassen. Gezwungenermaßen sah ich auf, wollte ihn für dieses seltsame Verhalten schon zur Rechenschaft ziehen, allerdings ließen mich seine zusammengezogenen Brauen innehalten. "Ich gehe gleich alleine in die Bibliothek", sagte er und fuhr fort, ohne mir die Chance für eine Erwiderung zu lassen, "Du musst noch mal früher ins Bett gehen, so kannst du nichts erreichen."

"Wer bist du? Meine Mutter?", fauchte ich zurück und entwand ihm meine Hand, griff jedoch nicht nach dem Aufstrich. Ehrlich gesagt war mir der Appetit so ziemlich vergangen. "Falls du es vergessen haben solltest, aber heute Abend geht keiner von uns beiden früh ins Bett oder in die Bibliothek."

Draco verengte die Augen. Mir war klar, dass er keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. 

"Heute Abend finden die Quidditchauswahlspiele statt. Das stand heute Morgen auch am schwarzen Brett", erklärte ich seufzend. Fairerweise musste ich sagen, er war nicht der einzige, der in den letzten Wochen Quidditch aus seinen Gedanken verdrängt hatte. Auch ich, die ich immerhin Kapitänin der Hausmannschaft war, hatte meine Pflichten als solche vorläufig verdrängt. Als ich heute Morgen den Aushang gesehen hatte, hatte mich beinahe der Schlag getroffen. Ich musste einen Ersatz für Adrian und Cassius finden, die im letzten Jahr beide ihren Abschluss gemacht hatten und die neuen Teammitglieder bestmöglich in die Mannschaft integrieren. Es war ja nicht so, als hätte ich schon genug zu tun.

Ausgerechnet diesen Moment wählte Blaise, um sich zu uns herüber zu beugen. "Tja, Draco. Dann wird das wohl nichts mit eurem Stelldichein nachher. Wobei ich bei Cats Laune sowieso daran zweifle, dass es besonders gut ist."

"Halt die Klappe", fuhren der junge Malfoy und ich ihn beinahe gleichzeitig an, allerdings lehnte sich der Angesprochene nur feixend zurück und biss in sein Brötchen. 

Nachdem er den Bissen genüsslich gekaut hatte, sagte er: "Na bitte, ich konnte diese gedrückte Stimmung einfach nicht länger ertragen."

"Aber in einem Punkt hat er schon recht." Pansy, die offenbar ebenfalls zugehört hatte, beugte sich an Theodore Nott vorbei. Mit zusammengepressten Zähnen beobachtete ich, wie sie betont grazil eine Hand auf Dracos Unterarm legte. "Du könntest diese Gerüchte hinter deinem Rücken ganz einfach unterbinden, indem du der da -" Sie nickte abfällig in meine Richtung. "- den Laufpass gibst." Dass sie nicht hinzufügte 'Und etwas mit mir anfängst', war alles. Ich würde wohl nie verstehen, wie sich jemand derartig zum Affen machen konnte.

Ich wollte schon den Mund öffnen, um ihr Kontra zu geben, allerdings kam Draco mir überraschend zuvor. "Die da, Parkinson, ist zufällig meine Verlobte." Er entzog ihr seinen Arm und ich meinte sogar, ein leises Zwinkern von ihm in meine Richtung zu sehen. 

In der Annahme, das Thema sei erledigt, griff ich nun doch noch einmal zu meinem Kürbissaft. "Wir sollten so allmählich zum Spielfeld runter." Über den Rand des Glases warf ich Crabbe und Goyle einen finsteren Blick zu. Würde es nicht in noch mehr Arbeit ausarten, würde ich mich vermutlich auch auf die Suche nach einem Ersatz für die beiden machen. 

"Jetzt ernsthaft", hielt Blaise uns noch einmal auf, als wir vier uns bereits halb erhoben hatten, "Was macht ihr abends immer so lange in der Bibliothek? Denn wie gesagt, ein St-"

Dass ich demonstrativ nach meinem Zauberstab griff, ließ ihn wohl verstummen. Einfach um den Moment der unsicheren Erwartung auf seinem Gesicht noch ein wenig auszukosten, schwenkte ich den Stab einmal kurz, woraufhin sich seine grüne Krawatte in eine der hässlichen Fliegen verwandelte, die Slughorn immer trug. Wenigstens solche Zauber gingen mir inzwischen auch ungesagt relativ leicht von der Hand. "Lernen, Blaise. Täte deinen Noten sicherlich auch gut."

Da ich meinen Zauberstab wieder sinken ließ und mich abwandte, sah ich aus dem Augenwinkel gerade noch, wie Blaise' Hand zu seiner Krawatte griff, um sie scheinbar einem Reflex folgend zu glätten. Sein leicht schockierter Blick erfüllte mich mit Genugtuung, selbst als wir bereits den halben Weg zum Spielfeld hinter uns gebracht hatten.

Draco und ich liefen etwas vor seinen Gorillas, was es uns ermöglichte, frei miteinander zu sprechen. "Hast du das mit den erneuten Dementorenangriffen gehört?", fragte ich, nichtsdestotrotz leise. Es hatte heute Morgen in der Zeitung gestanden und hatte damit nicht einmal eine Ausnahme gebildet. Wenn ich nicht wüsste, dass der Nebel in der Ferne über den Wipfeln des Verbotenen Waldes natürlichen Ursprungs war, hätte ich mir vermutlich selbst hier um unsere Sicherheit Sorgen gemacht. "Du meinst doch nicht, dass sie zu deinem Auftrag ..."

Draco schüttelte den Kopf und griff nach meiner Hand. Ein Zeichen für mich, vielleicht nicht ganz so offen über die Geschehnisse zu sprechen. Seit wann war er vorsichtiger geworden als ich? Ich war ganz klar übermüdet. "Er würde es niemals riskieren, eines dieser Wesen mitzuschicken. Man kann sie nicht kontrollieren und wenn er es täte, würde er einige seiner Todesser vermutlich nie wiedersehen."

"Um sie wäre es ja auch wirklich schade", murmelte ich dumpf. Der Blondschopf neben mir wandte den Kopf zu mir. Sein Blick sagte mehr als tausend Worte. 'Wir stehen jetzt auf der gleichen Seite, gezwungen, einem Herrn zu dienen.'

"Was ja noch nicht heißt, dass ich mich bestens mit ihnen verstehen muss. Ich hätte keinerlei Probleme, Greyback mal so richtig zu verhexen. Oder deine Tante."

"Lass es lieber."

Schweigend und noch immer Hand in Hand liefen wir weiter. Das Gras unter unseren Füßen raschelte und der Geruch nach herbstlichem Laub sowie nahendem Regen stieg mir in die Nase. Ich ließ den Blick zum Himmel schweifen, an dem tatsächlich vereinzelte Regenwolken hingen. Mit etwas Glück würde er bald seine Schleusen öffnen, eine Ausrede, das Probetraining zu verschieben oder gar ganz ausfallen zu lassen.

Als wir schließlich beinahe am Stadion angekommen waren, begannen Gryffindors herauszuströmen. Offenbar hatten sie heute auch ihr Auswahlspiel gehabt, denn nicht wenige liefen an uns vorbei und warfen uns hämische Sprüche zu, nach denen wir dieses Jahr absolut keine Chance gegen sie haben würden.

Mir war das egal und ich ging mit hocherhobenem Kopf weiter, genau so lange bis mir einfiel, dass mein Bruder der Kapitän des Teams war und sich somit sicherlich gerade dort unten auf dem Feld, wenn nicht sogar bereits in den Umkleiden aufhielt.

Hastig verabschiedete ich mich von meinem Freund mit der Aufforderung, Crabbe und Goyle Beine zu machen, damit wir uns möglichst ein paar Minuten vor den Bewerbern einspielen konnten, und lief schnellstmöglich hinüber zu den Mädchenumkleiden. Kurz bevor ich die Tür erreichte, wurde sie jedoch aufgerissen und mir kamen zwei plappernde Mädchen entgegen. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es sich bei ihnen um Ginny und Hermine handelte.

Hermine beim Quidditch? Verwirrt schüttelte ich den Kopf und machte Anstalten, nach rechts in Richtung Kapitänsbüro abzuschwenken. Dann würde ich halt erst die Bälle herausholen. Doch sehr zu meinem Leidwesen rief jemand meinen Namen. Und diese Stimme war mir nur allzu vertraut.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt