6 | 25. Kapitel

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Der Weg hinauf in den Krankenflügel lag im Nachhinein wie im Nebel. Ich wusste, dass ich Draco niemals ohne die Hilfe von Magie hierher hätte bringen können und ich wusste auch, dass Madam Pomfrey sofort zu uns geeilt war, kaum dass wir die Schwelle überschritten hatten. Noch immer zitterten meine Hände - teils vielleicht auch von der Anstrengung - während ich nach wie vor auf dem Stuhl direkt neben Dracos Bett saß, auf den mich die Krankenschwester zum Sitzen genötigt hatte.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Zwar bildete ich mir ein, dass die Sonne inzwischen tiefer stand, doch konnte ich nicht anders, als wieder und wieder dieselbe Frage in meinem Kopf zu wälzen. Was wäre gewesen wenn? Was wäre gewesen, wenn Draco zu viel Blut verloren hätte? Was wäre gewesen, wenn ich ihn dort in der Jungentoilette verloren hätte? Zum letzten Mal an seiner Seite gehockt und seine Hand gehalten hätte? Was würde ich tun, wenn wir versagten? Könnte ich zusehen, wie er gefoltert oder gar ermordet würde?

"Was würde ich ohne dich tun?", fragte ich, obgleich ich wusste, dass keine Antwort kommen würde. Das Gesicht des jungen Malfoy war geradezu kalkweiß im Kontrast zu dem hellen Kissen, auf dem er lag. Einzig der ruhige Rhythmus, in dem sich seine Brust hob und senkte, schaffte es, mich ein wenig zu beruhigen.

Mein Vater war eben hier gewesen. Er hatte uns beide betrachtet und war nach kurzer Zeit bereits wieder gegangen. Nicht ohne mir mit leiser Stimme mitzuteilen, dass mein Bruder für den Rest des Jahres Nachsitzen musste und mir einen bedeutungsschweren Blick aus zusammengekniffenen Augen zuzuwerfen. Ich musste keine Legilimentik beherrschen, um die stumme Botschaft dahinter zu verstehen. Wir mussten endlich vorankommen, wenn nicht einer von uns alleine dastehen wollte. Entgegen aller Widersprüche mussten wir beweisen, dass wir unseres Platzes in den Reihen des dunklen Lords würdig waren. Ich musste beweisen, wie gut ich schauspielern konnte.

Abermals fixierte ich meinen Blick auf meinen Verlobten. Momentan wagte ich nicht einmal, nach seiner Hand zu greifen. Wenngleich er einen Kopf größer, schon immer kräftiger gewesen war, sah er in diesem Augenblick unheimlich verletzlich aus. Ich spürte ein unangenehmes Kribbeln in meiner Nase und kämpfte es angestrengt nieder. Das Weinen würde ich mir aufsparen, es mir besser noch vollkommen verkneifen müssen. Mariah Elisabeth Potter würde diesen Weg niemals bestehen können. Es wurde Zeit, dass ich wieder zu der Person wurde, als die ich aufgezogen worden war.

"Cat?"

Kalte Schauer jagten mir den Rücken hinunter. Ich schluckte schwer, atmete tief durch. Dann hob ich das Kinn und stand auf. "Was willst du?" Severus Snape wäre stolz auf mich angesichts dieses schneidenden Tonfalls.

Erfreulicherweise verfehlte er auch nicht seine Wirkung. Harry gelang es kaum, sein Zusammenzucken zu unterdrücken. Seine grünen Augen zuckten hinüber zu Draco, weshalb ich einen Schritt nach vorne trat.

Auch diese Drohung schien durchaus bei ihm anzukommen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen öffnete und schloss er den Mund, schien um Worte zu ringen. "Was willst du?", fragte ich erneut und war mir sicher, dass meine Miene in diesem Moment nicht die kleinste Emotion zuließ. Gut so. Denn mir entging nicht, wie feindselig Ron mich musterte, obgleich er mehrere Meter entfernt stand. Sollte er ruhig seine schlimmsten Vorurteile bestätigt wissen.

"Du wolltest etwas sagen, Harry." Hermine gab meinem Bruder einen leichten Stoß in den Rücken. Sie war die einzige des Trios, aus deren Blick vollkommene Neutralität sprach. Nur eine kleine Falte auf ihrer Stirn ließ erahnen, wie sehr ihre Gedanken ratterten. Dass ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde hinab zu meinem linken Ärmel zuckten, bestätigte mir, dass sie wirklich die Schlaueste von ihnen war. Und zu meiner Überraschung kümmerte es mich nicht einmal mehr wirklich. "Na los."

Mein Blick zuckte zu dem Jungen, der überlebt hatte, zurück, der sich nun mit einer Hand durch das ohnehin schon strubbelige Haar fuhr und somit die feine Blitznarbe auf seiner Stirn preisgab. "Ähm, ja ..."

"Sag, was du zu sagen hast." Ich trat abermals einen Schritt auf ihn zu. Inzwischen stand ich beinahe am Fußende des Bettes. "Oder verschwinde einfach. Du hast schon genug Schaden angerichtet."

Ein Ausdruck der Schuld huschte auf sein Gesicht. "Ich -"

"Komm schon, Harry." Dieses Mal war es Ron, der sich dazwischen schob. "Du verschwendest deine Zeit", an mich gewandt sagte er, "Malfoy hat zuerst angegriffen, Snape. Vielleicht solltest du das in deinen Überlegungen miteinbeziehen, ehe du als Schlange über einen Gryffindor urteilst. Feige aus dem Hinterhalt attackieren ist bei euch an der Tagesordnung. Harry hat sich nur verteidigt - ich frage mich wirklich, was Sirius je mit dir zu schaffen hatte."

Zornig biss ich die Zähne aufeinander. Einzig das Bettgestell diente mir momentan als Anker, der mich davon abhielt, nach meinem Zauberstab zu greifen und sie beide richtig durchzuhexen. Tief durchatmend bemühte ich mich um einen kühlen Kopf. "Ist das alles, was ihr zu sagen habt?"

"Na ja ..." Dieses dauernde Stammeln meines Bruders ging mir gerade gehörig auf den Senkel. "Ich habe Nachsitzen dafür bekommen, was ich ... ihm ..." Er brach ab. Dass er alles im Raum ansah außer mich, trieb meine Wut in bisher ungeahnte Höhen. "Für den Rest des Jahres muss ich ..."

Mein Schnauben ließ ihn innehalten. "Das ist ja wahnsinnig toll, Potter." Harry zuckte zusammen. "Nur weil du der ach so tolle Auserwählte bist, soll Nachsitzen Strafe genug sein? Bei Merlin, du hast ein Menschenleben gefährdet!"

"Aber das wollte ich -"

"Das wolltest du nicht?" Ohne es zu wollen, war ich lauter geworden. "Geht es eigentlich irgendwie in deinen verfluchten Dickschädel rein, dass du nicht bei allem eine Extrawurst verdient hast? Du magst vielleicht dem dunklen Lord gegenübertreten müssen, dennoch hast auch du dich an Regeln zu halten."

"Jetzt spiel hier nicht Merlin vom Dienst", schrie Ron zurück. Sein Gesicht hatte unter seinem Haar eine ungesunde rote Farbe angenommen. "Jeder weiß doch, dass ihr beide längst Todesser seid."

Hinter uns schwangen die Türen zum Krankenflügel auf, was es mir leider verwehrte, nach meinem Zauberstab zu greifen. "Na na, Mr. Weasley. Mit solchen Anschuldigungen sollte man sehr vorsichtig umgehen."

Albus Dumbledore kam hereingeschritten und schenkte unserer versammelten Runde einen Blick über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg. Seine stechend blauen Augen blieben für einen Moment zu lange an Draco und mir haften und aus irgendeinem Grund ahnte ich da, dass er über uns Bescheid wusste. Natürlich konnte einem der größten Zauberer dieser Zeit nicht entgehen, was direkt vor seiner Nase geschah.

"Mr. Malfoy bedarf Ruhe und ich bin mir sicher, dass Sie ihren Standpunkt deutlich genug vertreten haben. Lassen wir das Paar alleine." Kurz betrachtete er den Ring an meinem Finger, doch ich konnte nicht erkennen, was er über unsere Verlobung dachte. "Kommen sie schon. Ich möchte gerne etwas mit ihnen dreien besprechen." Er bedeutete dem Trio ihm zu folgen, allerdings verharrte er kurz vor der Tür noch einmal und warf mir einen letzten langen Blick zu. "Bleiben Sie heute Nacht hier, Ms. Snape. Ich bin sicher, Madam Pomfrey wird nichts dagegen einzuwenden haben. Passen Sie auf ihren Verlobten auf."

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt