"Miss Snape." Eiligen Schrittes kam Professor McGonagall auf uns zu, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Den beiden Jungen neben mir schenkte sie nur einen knappen, deutlich unterkühlten Blick. "Würden Sie mich kurz in mein Büro begleiten?"
Einige Schritte vortretend, streifte ich Dracos Arm von meiner Schulter. "Wieso? Was wollen Sie von mir?" Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, war mir klar, dass sie eventuell ein wenig zu anklagend und defensiv geklungen hatte. Der fast unmerklich weicher gewordene Ausdruck in ihrer Miene bestätigte mir dies und ließ mich innerlich in Panik ausbrechen. Ich hatte ihre Vermutungen, die sie letztes Jahr in den Raum gestellt hatte, nicht vergessen. Noch jetzt meinte ich, ihre hastig hervorgebrachten Worte hören zu können: 'Was, wenn sie nicht tot ist? Wenn sie wieder aufgetaucht ist? Hier in Hogwarts?'
"Tun Sie mir bitte einfach den Gefallen, mich in mein Büro zu begleiten", erwiderte sie, etwas weniger harsch als üblich und versuchte sich sogar an einem schmallippigen Lächeln. "Mr. Malfoy, Mr. Pucey, entschuldigen sie uns." Die Professorin ließ mir keine Zeit für eine Erwiderung, sondern bedeutete mir mit einem strengen Blick, ihr zu folgen.
Wir sprachen kein Wort, während wir hastig durch die Korridore liefen und die breite Haupttreppe hinaufstiegen. Sie ignorierte die neugierigen Blicke einiger Schüler ihres Hauses und auch mein Bruder wurde von ihr links liegen gelassen. Stolz erhobenen Hauptes schritt ich ebenso an ihm vorbei, verbot mir den Blick auf seine bestimmt verwirrte Miene. Es fiel mir äußerst schwer und ohne den ständigen, inneren Monolog, welche Folgen ein anderes Handeln haben könnte, wäre es mir vermutlich nicht gelungen. Die Zähne fest aufeinandergebissen, folgte ich der Lehrerin in einen der Seitengänge im ersten Stock und erst, als die Tür ihres Büros hinter uns ins Schloss fiel, schaffte ich es, meine verkrampfte Haltung etwas zu lockern.
Professor McGonagall, noch immer wortlos, ließ sich auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch sinken, direkt vor einem großen offenen Kamin, wie er in beinahe jedem Raum in Hogwarts üblich war. Das Knistern des Feuers war das einzige Geräusch in dem kleinen Büro, wie eine leise Hintergrundmusik, die unser stummes Blickduell untermalte. Schließlich nickte meine Verwandlungslehrerin zu dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Kaum hatte ich mich niedergelassen, sagte sie: "Nehmen Sie sich einen Keks."
"Bitte, was?"
"Nehmen Sie sich einen Ingwerkeks." Harsch gestikulierte sie zu einer mit Tartan verzierten Dose. Zwar verstand ich nicht, wieso es ihr so wichtig war, allerdings kannte ich dieses Verhalten von meinem Ziehvater. Die beiden hatten, objektiv betrachtet, sogar einiges in ihren typischen Verhaltensmustern gemeinsam. So sagte mir die Art, wie sie die Augen zusammenkniff ganz eindeutig, dass ich mich im Moment nicht mit ihr anlegen wollte. Zögerlich nahm ich mir einen. "Ich habe heute zwei Briefe aus London bekommen."
Möglichst unbekümmert knabberte ich an meinem Keks. Wenn ich eins konnte, dann war es Poker spielen – oder wahlweise auch Zauberschach – so einfach würde ich es ihr nicht machen, mich aus der Reserve zu locken. Nicht einmal, wenn ich dafür dieses Gebäckstück essen musste. Unmerklich verzog ich das Gesicht, als sich der eigenwillige Geschmack auf meiner Zunge ausbreitete. Ich hatte Ingwer noch nie gemocht.
Da meiner Lehrerin scheinbar klar zu werden schien, dass ich nicht vorhatte, unser Schweigen allzu bald zu brechen, seufzte sie. Es klang nicht einmal genervt, sondern einfach vollkommen resigniert. "Sicher haben Sie eine Ahnung, von wem diese Briefe stammen?"
Natürlich hatte ich die, auch wenn ich hoffte, sie nicht bestätigt zu sehen. Gleichgültig zuckte ich mit den Achseln, legte jedoch den widerlichen Keks beiseite. Die alte Uhr an der Wand zeigte bereits zwanzig vor acht, nicht mehr lange, bis die erste Unterrichtsstunde anfing. Vielleicht schaffte ich es, diese Sache hier schnell hinter mich zu bringen und sogar noch pünktlich zu Zaubertränke zu kommen. "Sie werden es mir sicher gleich mitteilen", sagte ich und imitierte dabei ziemlich genau Dracos typisches Schnarren.
Ein zweiter Seufzer folgte. Sie hob die Hände von den zwei Schriftstücken vor ihr und faltete sie unter ihrem Kinn. Sie musterten mich durch ihre eckigen Brillengläser und in diesem Moment fühlte ich mich unangenehm an Dumbledore erinnert, auch wenn ihre Augen grün und nicht blau waren. Vorsichtshalber zog ich meine mentalen Schilde etwas höher. "Absender war jemand, mit dem Sie in den Ferien sehr viel zu tun hatten. In seiner Schulzeit hat er uns Lehrer mit Vorliebe an der Nase herumgeführt und uns das ein oder andere Mal ausgetrickst. Selbst heute geht er diesem Hobby noch nach."
"Spielen wir jetzt Rätselraten?" Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Selbstverständlich war der Brief von ihm gewesen, wie hatte ich auch etwas anderes erwarten können. Die Frage war nur, wie viel die Hexe aus diesem Brief hatte schließen können. Er würde ja hoffentlich nicht alle Karten offenbart haben, das kleine Schlupfloch nutzend, da ich ihm nur das Versprechen abgenommen hatte, weder meinem Bruder noch dem Schulleiter etwas zu erzählen.
Professor McGonagalls Blick sprach Bände. "Hören Sie mir sehr genau zu." Ihre Stimme wurde mit jedem Wort eindringlicher und mit einem Mal wusste ich, weshalb sie nicht offen sprach. In Hogwarts konnten die Wände Ohren haben, gerade im Moment. Auch ich war aus diesem Grund schon oft vorsichtig gewesen.
"Ich weiß, was es heißt, vorsichtig zu sein und ein Geheimnis zu bewahren", schnappte ich. Die Verwandlungslehrerin schien nicht sonderlich erfreut über die Unterbrechung, begnügte sich allerdings damit, eine Augenbraue hochzuziehen. Zu spät erkannte ich meinen Fehler. Mit meinen Worten hatte ich mehr oder minder bestätigt, dass ich etwas verbarg. "Felyx wurde abgefangen, richtig? Deshalb haben Sie diese beiden Briefe erhalten", stellte ich das fest, was mir eben bereits in den Sinn gekommen war und nicht zuletzt, um von meinem Versprecher abzulenken. "Vermutlich mit einer anderen Eule."
Bedächtig nickte sie und schob einen der beiden Briefe zu mir hinüber. "Ich habe ihn nicht geöffnet."
"Das hoffe ich." Mit ausdrucksloser Miene erhob ich mich von meinem Stuhl und griff danach. Im selben Moment läutete der Schulgong und verkündete, dass in fünf Minuten der Unterricht beginnen würde. Wenn ich pünktlich sein wollte, musste ich mich beeilen.
Ebenso knapp wie sie eben, nickte ich der Professorin zu und hatte die Türklinke schon beinahe hinuntergedrückt, als sie mich aufhielt: "Caitlyn." Erschrocken zuckte ich zusammen. Die Wirkung hätte kaum größer sein können, hätte sie mich mit meinem wahren Vornamen angesprochen. Draußen auf dem Flur trampelten die letzten Schüler vorbei, wobei sie einen Heidenlärm machten, der jedoch von dem rauschenden Blut in meinen Ohren übertönt wurde. "Ich bin nicht nur für die Schüler meines Hauses zuständig. Wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegen sollte, können Sie sich mir anvertrauen. Niemand muss davon etwas erfahren."
Zwischen zusammengebissenen Zähnen quetschte ich ein Danke hervor und flüchtete beinahe aus ihrem Büro, die Hand fest um den Brief in meiner Umhängetasche gekrallt.
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Unknown Potter II - Hidden in the Dark
FanfictionCaitlyn hat endlich die Wahrheit erfahren. Auch wenn sie erkennen muss, dass diese sie in schreckliche Gefahr bringt. Ihr Vater ist gar nicht ihr Vater und ihr Bruder ist nicht tot, sondern kämpft tagtäglich um sein Überleben, jetzt, da der dunkle L...