6 | 17. Kapitel

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"Nein."

Auch jetzt fuhr er nicht auf. Sein Seufzen machte deutlich, dass er im Grunde schon mit dieser Antwort gerechnet hatte. "Willst du dich stattdessen auf deinen Verlobten verlassen? Einen Jungen, der sein Leben lang unter der Fuchtel seines Vaters stand und seine Ansichten ohne Sinn und Verstand nachgeplappert hat?"

In einem gewissen Rahmen mochte mein Ziehvater mit seinen Worten recht haben. 'Mein Vater wird davon erfahren', schlichen sich die altbekannten, geschnarrten Worte in mein Gedächtnis und verleiteten mich zu einem leisen Schmunzeln. "Dieser Junge existiert nicht mehr. Wir sind beide gezwungen worden, erwachsen zu werden. Der Mann, den ich gedenke zu heiraten, steht hinter mir und kennt mich besser als irgendjemand sonst. Er kennt mich besser als du, Vater."

"Ihr seid Kinder!" Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. Ich konnte nicht sagen, ob ich ihn mit meinen Worten verletzt hatte. Wahrscheinlich machte auch das einen guten Spion aus. "Mögt ihr auch bereits schlimmere Erfahrungen gesammelt haben als sonst wer in eurem Alter, seid ihr viel zu jung, die Gefahren um euch herum einzuschätzen. Du bist noch längst nicht so weit, auf zwei Seiten zu agieren."

"Du meinst, wie du es tust, Vater?"

Severus Snape stand abrupt auf. Mit wehendem Umhang schritt er um den Schreibtisch herum auf mich zu, fegte dabei einen Stapel Papiere auf den Boden. Es kümmerte ihn nicht. "Bist du sicher, dass dein Draco unter Einfluss eines Cruciatus nicht einfach all deine Geheimnisse ausplaudern würde? Würdest du deine Hand dafür ins Feuer legen, dass er sich für dich opfern würde?"

"Wer redet hier von opfern?", fragte ich, um so der direkten Frage auszuweichen. Denn wenn ich darüber nachdachte, schrie alles in mir nein. Nein, ich war mir nicht sicher. Auch wenn ich wusste, dass ich ihm nicht in den Rücken fallen würde, war ich mir unsicher, ob ich für ihn sterben könnte. 

Etwa eine Armlänge von mir entfernt verharrte er und sah auf mich hinab. "So ähnlich du deiner Mutter siehst, hätte ich erwartet, du hättest mehr von ihrer Intelligenz geerbt." Es war ein Schlag unter die Gürtellinie. Das wussten wir beide. Dennoch war es ein Zeichen, dass auch er langsam die Geduld verlor. "Er hat sich auch dir gegenüber in letzter Zeit verschlossen, sagt dir nicht, wohin er verschwindet."

Nun war es an mir, die Augen zusammenzukneifen. Wütend funkelte ich ihn an. Wir hatten uns einst so nahegestanden. Das perfekte Vater-Tochter-Duo wie Noreen einmal angemerkt hatte. Auch Draco hatte mir mehrmals erklärt, welches Glück ich mit meinem Ziehvater hatte. Eine Bilderbuchfamilie, hatte er uns genannt. Schon lange nicht mehr. "Versuchst du mich gerade auszuhorchen, damit du deinen Schwur halten kannst?"

Für einen Moment sah er fast so aus, als habe ich ihm ins Gesicht geschlagen. "Was hast du gesagt?"

"In den Sommerferien. Ich habe euch gehört. Bellatrix und Narzissa waren bei uns. Du hast ihr den Unbrechbaren Schwur geleistet, Dracos Aufgabe im Zweifelsfall zu Ende zu führen."

Er neigte zögerlich den Kopf. "Hast du ihm davon erzählt?"

Als ich den Kopf schüttelte, schien er erleichtert aufzuatmen. "Sollte der dunkle Lord davon Wind bekommen, wären wir tot."

"Und dennoch wärst du bereit, mir zu helfen? Dein Leben für mich aufs Spiel zu setzen?" 

"Du bist meine Tochter", antwortete er schlicht. Seine gesamte Haltung entspannte sich etwas, selbst die Kälte verschwand aus seinem Gesicht und machte einem kleinen Lächeln Platz. Ein Lächeln, wie ich es schon seit gut zwei Jahren nicht mehr bei ihm gesehen hatte. Er wirkte beinahe stolz. "Ob du nun mein Blut in dir trägst oder nicht. Ich habe dich aufgezogen. Ich würde mein Leben für dich geben."

Rasch schaute ich weg, musterte die düsteren Bilder an den Wänden. So sehr mich seine Worte berührten, ich wollte ihn nie wieder so dicht an mich heranlassen. Der Zorn auf ihn loderte erneut in meinen Adern auf, sobald ich an all die Lügenmärchen dachte, die er mir jetzt schon aufgetischt hatte. Wie viele würden wohl noch kommen, wenn ich wieder zuließ, mich an ihn zu wenden, ihm zu vertrauen? 

Mein Ziehvater schien die Chance zu wittern und fuhr fort: "Alles, was ich will ist, dass du sehr genau darüber nachdenkst, wem du vertrauen kannst." Eine gewisse Ironie hatte es schon, dass er ausgerechnet diese Worte wählte. "Weißt du wirklich, auf welcher Seite er steht?"

"Nein." Woher auch? Ich war mir sicher, er versuchte mich zu schützen und ich war mir auch sicher, er liebte mich. Zumindest auf die Art, wie er Liebe verstand. Ob unsere Definitionen hier deckungsgleich waren, war eine andere Frage. Doch wie hatte Dumbledore vor all diesen Jahren gesagt? Wir werden andere Menschen wohl niemals vollständig durchschauen können. Ein kleiner Teil von einem bleibt wohl immer privat. Bei einigen mehr, bei anderen weniger. 

"Aber weiß ich wirklich, auf welcher Seite du stehst?", fragte ich, einem plötzlichen Gedanken folgend. "Du bist gut darin zu spielen. Wer weiß schon, ob du nicht auch gut darin bist, mir etwas vorzuspielen? Immerhin habe ich bis zu meinem vierten Schuljahr auch gedacht, du würdest lieber sterben, als das hier auf deinem Unterarm zu haben." Um meine Worte zu verdeutlichen, winkelte ich meinen linken Arm an. 

"Dasselbe dachte ich einst auch von dir." Der Schlag kam heftiger als der vorherige. Ich biss die Zähne zusammen. Nicht nötig, ihn darüber in Kenntnis zu setzen, wie sehr es mich traf.  "Du solltest zum Unterricht gehen. Denk über meine Worte nach."

Ich konnte sein Klassenzimmer nicht schnell genug verlassen. Der Schnee, welcher auf den äußeren Quergängen durch die unverglasten Fenster hereingeweht wurde, klärte meine Gedanken. Auch wenn er es wahrscheinlich nicht wusste, war mein Vater mit seiner Ansprache durchaus erfolgreich gewesen. Er hatte mir einen Floh ins Ohr gesetzt, der von nun an jedes Mal zu zirpen begann, wenn ich mit Draco zusammen war.

Saßen wir abends am Feuer im Gemeinschaftsraum, ich die Beine über den seinen oder er den Kopf in meinem Schoß, fragte ich mich, was er mir verschwieg. Fragte mich, ob er mich wirklich damit schützen wollte, mir nichts zu erzählen. 

Als schließlich das erste Quidditchspiel der Saison anstand und Draco nicht in den Umkleiden erschien, lagen meine Nerven ziemlich blank. So blank, dass ich unseren neuen Hüter anschnauzte, nur weil er mich fragte, ob ich seine Handschuhe gesehen hätte. Nicht einmal das ausnehmend gute Wetter konnte mich in diesem Moment aufheitern, während ich zehn Minuten vor Beginn des Spiels unablässig auf und ab tigerte. 

"Ähm ... Caitlyn?"

Ich wirbelte erneut um die eigene Achse, um zu sehen, wer es dieses Mal wagte, mich anzusprechen, nur um einem jüngeren Slytherinschüler in Quidditchuniform gegenüberzustehen. Tatsächlich erinnerte ich mich an ihn. Sein Name war Harper. Glaubte ich zumindest. Er war in der Ersatzteamaufstellung. "Was ist los?"

Unter meinem eisigen Blick zuckte er zusammen und fuhr sich nervös mit der Hand in den Nacken. "Malfoy hat mich geschickt ..." Er zögerte, dann nahm er all seinen Mut zusammen und sagte so schnell, dass ich ihn beinahe nicht verstand: "Ich soll für ihn als Ersatz den Posten des Suchers übernehmen. Er sagte, er sei verhindert."

Wütend stieß ich die Luft aus und schnappte mir meinen Besen. "Raus aufs Feld. Wirds bald?"

Hastig kam meine Mannschaft meiner Aufforderung nach, keiner wagte es, mir zu widersprechen. Wenn Graham und Adrian noch hier gewesen wären, wäre ich vermutlich nicht so einfach davongekommen. Doch so traten wir ungehindert hinaus ins strahlende Licht der Sonne, hinein ins Stadion.

Das reifbedeckte Gras knirschte bei jedem Schritt unter unseren Füßen. Die versammelten vier Häuser auf den Tribünen - teilweise in rot-gold, teilweise in grün-silber gekleidet - jubelte uns zu. In mitten all der Gesichter konnte ich Severus Snape nicht entdecken. Im Prinzip wollte ich seine hochgezogenen Augenbrauen auch überhaupt nicht sehen. Ich wollte dieses Spiel nur möglichst rasch hinter mich bringen. Später konnte ich mich dann um meinen Freund kümmern.

Zügig ging ich auf Madam Hooch zu, die bereitstand, die Bälle aus dem Korb zu lassen. Ihre gelben Augen musterten Harry und mich für einen Moment. "Kapitäne, gebt euch die Hand." Die grünen Augen meines Bruders trafen auf meine eigenen braunen, als wir beinahe gleichzeitig den Arm ausstreckten. Unser Handdruck war kurz, aber fest. "Auf die Besen. Auf meinen Pfiff gehts los ... drei ... zwei ... eins ..."

Gleichzeitig mit dem schrillen Ton ihrer Trillerpfeife stießen wir uns vom gefrorenen Boden ab und rauschten in die Luft empor.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt