6 | 12. Kapitel

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Nach diesem denkbar schlechten Gespräch mit meinem Bruder und dem Probetraining gingen die Wochen schneller ins Land, als mir lieb war. Mit jedem Tag mit dem der Schnee stärker fiel und Weihnachten näher rückte, wurde ich hibbeliger, hatte unsere Suche schließlich noch immer keine Ergebnisse abgeworfen. Dafür hatten wir eine Möglichkeit gefunden, wie wir eventuell meine Aufgabe ausführen könnten. Na ja, genau genommen war Draco auf die Idee gekommen.

"Gibst du es mir?", fragte ich leise und warf einen unruhigen Blick hinter mich in die Eingangshalle. Wieso musste er so stur sein? Ich wollte nur ungern mit einem solchen Gegenstand erwischt werden. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn er es mir bereits unten im Schlafsaal gegeben hätte, als wir uns eben angezogen hatten. Ich wollte gar nicht wissen, wie er ihn überhaupt ins Schloss bekommen hatte. Immerhin wurden sämtliche Kommunikationswege überwacht.

"Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich komme mit. Damit werde ich dich nicht alleine lassen." Für Fremde musste seine Haltung, wie er dort an der Wand lehnte, wohl entspannt wirken, doch ich konnte erkennen, wie angespannt seine Schultern waren. Selbst der smaragdgrüne Schal um seinen Hals lag unordentlicher als sonst.

Ich zupfte ihn zurecht. "Und das Nachsitzen bei McGonagall schwänzen? Sie wird nicht begeistert sein." Das war untertrieben. Vermutlich konnte ich dann den Rest des Schuljahrs alleine an unseren Aufgaben arbeiten.

Draco zuckte die Achseln und blickte über meine Schulter hinweg auf, als mehrere Drittklässler aus Ravenclaw lärmend die Treppe herunterkamen. Es war ihr erster Ausflug nach Hogsmeade. Jeder von ihnen hielt einen kleinen Zettel in der Hand, die von Filch gleich noch mit Argusaugen inspiziert werden würden.

"Gib mir jetzt das Päckchen. Noreen wartet." Tatsächlich beobachtete uns die soeben erwähnte, auf der untersten Treppenstufe sitzend, mit gerunzelter Stirn. Ein zweiter Grund, wieso ich die Übergabe eigentlich schon längst hätte hinter mir haben wollen. "Es ist meine Aufgabe. Kümmere du dich um deine."

Energisch schob er sich vor mich, drängte mich so gegen die Wand und schirmte mich vor den Blicken meiner Freundin ab. Ich konnte den Widerwillen in seinen Augen sehen, dennoch wusste er, dass ich recht hatte. Wir hatten das Gespräch gestern Abend bereits geführt, nichtsdestotrotz hatte ich auch jetzt mit mehr Gegenwehr gerechnet. Ich kannte ihn. Er war stur. "Mir gefällt das nicht."

"Denkst du mir?" Seufzend lehnte ich die Stirn gegen seine Brust. Sein vertrauter Wacholder-Minz Geruch umhüllte und beruhigte mich. "Wir haben keine Wahl. Gehorchen oder der Tod. Es gibt keinen Ausweg. Es gab für uns beide von Beginn an keinen Ausweg. Vielleicht ist es unsere Bestimmung zu scheitern, vielleicht sollen wir von seiner Hand sterben, aber ich werde nicht einfach aufgeben." Ich konnte nicht aufgeben. So gab es wenigstens noch die Möglichkeit, meinen Bruder zu beschützen. Auch wenn ich ein gefährliches Spiel spielte, insofern ich meinem Ziehvater auch nur im Geringsten nacheiferte.

Seine Brust hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug, ich spürte, wie er seine Nase in meinem Haar vergrub und seine Arme um mich schlang. "Du hättest nicht in die ganze Sache mit hineingezogen werden sollen."

"Was erwartest du? Ich bin die Schwester des Auserwählten. Auf diese oder jene Art wäre ich ohnehin ins Schussfeld geraten." Er brummte etwas Unverständliches. "Du kennst die Wahrheit meiner Worte."

Sanfte Finger legten sich unter mein Kinn und hoben meinen Kopf so weit an, bis ich ihn in den Nacken legen musste. Ehe ich richtig blinzeln konnte, seine aalglatten Züge näher betrachten konnte, presste er seine Lippen auf meine. Ich erwiderte den Kuss, krallte meine Finger fest in den Schal, dessen Enden ich noch immer umschlossen hielt. Seine Lippen schmeckten noch nach dem Frühstücksei von heute Morgen. Tatsächlich war ich so vertieft in diesen Kuss, dass ich zuerst gar nicht bemerkte, wie er mir ein kleines Paket in die Hand drückte.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt