6 | 1. Kapitel

2.7K 176 21
                                    

"Nein. Ich könnte wirklich kaum erfreuter sein." Der lippenlose Mund des Magiers verzog sich zu einem Lächeln. Schlangengleich. Gefährlich. Erneut spürte ich seinen Geist. Zischelnd streckte er sich aus, tastete sich schlängelnd voran. Der Zusammenprall mit meinen eigenen Schilden war heftig und ich konnte mein Schwanken nicht verhindern. "Stark. Überaus stark. Bist du ebenso schlau? Kannst du dir denken, wieso ich dich herbestellt habe?"

Ich schwieg. Nur ungern gab ich es zu, aber seine Präsenz lähmte mich. Ließ mein Blut zu Eiswasser gefrieren und trieb mir die Panik in die Knochen. Er würde es mir ohnehin sagen. Daran hegte ich keinerlei Zweifel. Im Moment spielte er mit mir, sah mich als Kaninchen, das er in die Enge trieb, um es danach wieder an der Freiheit schnuppern zu lassen und erneut in die Ecke zu treiben.

"Haben wir uns jetzt darauf verlegt zu schweigen, Miss Snape?" Beinahe tadelnd schüttelte er den Kopf, ließ den Zauberstab zwischen seinen Fingern hin und her wandern. "Hatten wir nicht bis gerade eben noch eine überaus spitze Zunge?"

"Sie hat schon im Ministerium nicht viel gesprochen, Herr."

"Schweig." Der schwarze Lord wirbelte zu Bellatrix herum. Sein Zauberstab durchschnitt mit einem leisen Zischen die Luft und seine Dienerin wurde nach hinten geschleudert. Sie landete einige Meter entfernt direkt vor dem gemauerten Kamin. Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte ich Genugtuung bei ihrem Anblick. Hatte sie mich nicht auch genau so liegen gelassen? Zusammengekrümmt und blutend?

Während sich die Hexe mühsam wieder aufrappelte, wandte sich ihr Herr von Neuem mir zu. Die Wut, die soeben für einen kurzen Augenblick seine Züge verzerrt hatte, war verschwunden. Seine Miene ausdruckslos, beinahe freundlich. Wäre seine Haut nicht so blass und gespannt, seine Lippen nicht so schmal, seine Nase existent und seine Augen weniger rot - man hätte ihn für einen gebildeten und höflichen Zauberer halten können. Doch ich wusste, welches Monster unter dieser Oberfläche lauerte.

"Aber wo bleiben denn meine Manieren?", fragte er, einen leicht sarkastischen Zug in der Stimme. "Wollen wir uns nicht setzen, um uns in Ruhe mit dieser Angelegenheit auseinander zu setzen?" Seine Geste in Richtung eines Sitzpaares am anderen Ende des Salons war perfekt in Szene gesetzt. Sein Umhang waberte um seine Gestalt, verlieh ihm eine Anmut, die er sonst bestimmt nicht innegehabt hätte.

"Ich würde es bevorzugen stehen zu bleiben", erklärte ich, mein Ton erstaunlich beherrscht und kühl. Und das, obwohl ich das Gefühl hatte, mir würden jeden Moment die Beine wegknicken. Bellatrix hätte eine solche Wendung gewiss gefallen. Ihr Blick war mörderisch, als sie endlich wieder stand. Dennoch hielt sie Abstand zu ihrem Herrn, fürchtete vielleicht einen weiteren Angriff. "Könntet ihr bitte zur Sache kommen?" Eine solche Frage grenzte schon beinahe an Selbstmord. Dem war ich mir nur allzu gut bewusst. Sollte allerdings am Ende dieses Abends der Tod auf mich lauern, würde ich ihn lieber jetzt begrüßen, als weiterhin auf ihn zu warten.

"Wie ich soeben bereits betonte, bist du äußerst stark. Willensstark insbesondere." Dieses Mal ging der dunkle Lord deutlich direkter ans Werk. Sein mentaler Angriff traf mich heftig, beförderte mich beinahe ebenso durch den Raum wie zuvor Bellatrix. Mit aller Gewalt hielt ich dagegen, spürte den Widerhall trotz alldem bis in jede Faser meines Körpers. "Ich brauche Leute von deinem Schlag in meinen Reihen."

"Niemals." War es Wagemut, was sich da durch meine Adern fraß und zum Sprechen veranlasst hatte? Oder viel eher Leichtsinn? Wusste ich doch, wie behutsam ich vorgehen musste, um nicht mein Leben zu verlieren.

Amüsement kräuselte seine Lippen zum wiederholten Mal. Wahrscheinlich hatte ich es bis hin zu einem gewissen Rahmen vorausgesehen, dennoch blieb mir keine Gelegenheit, mich zu wappnen. Intensiv hatte sich Bellatrix' sadistisches Grinsen in mein Gedächtnis gebrannt, als mich der Lichtblitz traf.

Es war, als ob sich tausende Messer in meinen Körper bohren und mir Millimeter für Millimeter die Haut von den Knochen schnitten. Ich knallte aus hundert Metern auf den Boden, wurde unter den einstürzenden Mauern von Hogwarts lebendig begraben und spürte jeden einzelnen Muskel reißen.

Einen Schrei auf den Lippen fuhr ich auf.

"Was bei Merlin ...?", fragte ich und schlug nach dem Ding, was sich fest um meine Beine geschlungen hatte. Wild trat ich um mich, langte nach meinem Zauberstab auf dem Schreibtisch.

Erst als ich das kühle Holz zwischen meinen Fingern spürte, klarten meine Gedanken ein wenig auf. Ich befand mich nicht länger im Malfoy Manor. Die Qualen und Nachwirkungen des Cruciatus lagen schon mehrere Wochen zurück und auch das Monster, welches meine Beine aneinanderfesselte, war nichts weiter als meine Bettdecke. Erleichtert atmete ich durch und fuhr mir mit der freien Hand durchs Haar. Ebenso wie mein T-Shirt war es klamm vor Schweiß.

"Nur ein Traum ... nur ein Traum." Noch immer zittrig legte ich meinen neuen Zauberstab zurück aufs Nachtschränkchen und befreite meine Beine aus der eng gewickelten Decke. "Du hättest mich auch wecken können, Felyx", warf ich meiner Eule vor, die mich stumm von ihrem Platz am kleinen Fenster anblinzelte. "Apropos, was machst du eigentlich hier?"

Sie schuhute leise, als ich mich aufrichtete und zu meinem Schrankkoffer hinüberging. Die gesamte Dauer der Ferien hatte ich mir keine Mühe gemacht, ihn auszuräumen. Unordentlich, fast genauso wie ich ihn Ende des Schuljahres in Hogwarts gepackt hatte, lag er aufgeklappt neben der kleinen Tür zur Treppe. Der Boden war kalt unter meinen nackten Füßen und so beeilte ich mich, mir zusätzlich zu einem neuen Nachthemd auch ein paar wärmende Socken überzustreifen. Die Kälte kündete schon fast von der Wende der Jahreszeiten. 

Ohnehin war es dieses Jahr längst nicht so warm geworden, wie es normalerweise der Fall war. Es hatte Monate gegeben, da hatte ich es im Sommer in meinem Zimmer direkt unter dem Dach kaum ausgehalten. Zwar brauchte die Sonne in den schmalen Gassen von Spinner's End länger, um ihr Territorium zurückzuerobern und die Mauern spendeten auch in den Mittagsstunden noch Schatten, jedoch kühlten die Backsteinbauten nicht mehr so rasch ab, wenn sich einmal die Hitze gestaut hatte.

Doch mir, und wahrscheinlich dem Großteil der magischen Bevölkerung, war klar, dass der anhaltende Nebel und die unnatürliche Kälte nicht von einem möglichen Klimawandel herrührten. Jedenfalls nicht ausschließlich. Für die Muggel unerklärbare Übergriffe gaben uns weit weniger Rätsel auf. Jetzt, da selbst das Ministerium die Rückkehr des dunklen Lords offiziell anerkannt hatte, gab es für ihn keinen Grund mehr, im Verborgenen zu agieren.

Die Stirn gerunzelt trat ich zu meiner Eule und strich ihr vorsichtig über den Kopf. Nein. Die dunklen Schwaden am Horizont waren sicherlich nicht alleine Regenwolken. Die Dementoren hielten sich nicht länger ausschließlich in Askaban auf.

Während meine Augen den Himmel scannten, fiel mir schließlich ein Punkt in der Ferne auf, der sich zügig nährte. Sekunde für Sekunde wurde er größer, wippte auf und ab, bis ich schließlich erkannte, dass es eine Eule war.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt