5 | 33. Kapitel

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Ich hatte es gewusst. Weder die vagen Geräusche noch die Unruhen in den Schatten hatte ich mir eingebildet. Im Nachhinein war man immer schlauer und doch hätte ich jetzt so vieles dafür getan, die Zeit ein Stückchen zurückdrehen zu können. Hätte ich dieses eine Mal auf mein Bauchgefühl gehört, statt es wie die letzten Monate einfach zu ignorieren, wären die Karten nun vermutlich anders verteilt.

"Sehr gut, Potter. Jetzt dreh dich um, hübsch langsam, und gib sie mir." Tief durchatmend schloss ich die Augen und sog die abgestandene Luft in die Lungen. Wir waren so was von geliefert. Lucius Malfoy war mit Sicherheit nicht alleine gekommen. So dumm war er nicht.

Als hätte ich meine Gedanken offen in den Raum geschrien, kam Bewegung in die Schatten um uns herum. Schritte quietschten kaum hörbar auf dem Boden und jetzt endlich erklang leises Rascheln von Umhängen. Dunkle Schemen traten aus der Schwärze hervor, deren Augen uns durch schmale Kapuzenschlitze anfunkelten und die uns jedweden Fluchtweg versperrten. Ihre erleuchteten Zauberstabspitzen waren nur allzu deutlich direkt auf unsere Herzen gerichtet, bereit, uns augenblicklich unschädlich zu machen, sollten wir es wagen, auch nur eine einzige, falsche Bewegung machen. 

Unruhig huschten meine Augen umher, suchten nach der kleinsten Lücke zwischen den Todessern, wobei ich schließlich einsehen musste, dass es diese nicht gab. Wir waren eins zu zwei in der Unterzahl.

"Wo ist Sirius?", fragte Harry und entlockte mir damit ein stummes Seufzen. Wieso musste er so naiv sein? War es nicht offensichtlich? Er war hereingelegt worden. Wir alle waren hinters Licht geführt worden, um zu einer sinnlosen Rettungsmission aufzubrechen. Wer hätte gedacht, dass wir nun Angesicht zu Angesicht den Anhängern des dunklen Lords gegenüber stehen würden?

Einige Todesser lachten; eine raue weibliche Stimme drang aus dem Gang zu unserer linken, sie klang triumphierend: "Der Dunkle Lord weiß es immer!"

"Immer", wiederholte Malfoy schnarrend und erinnerte mich damit unheimlich an seinen Sohn. Lag dieser noch immer bewusstlos in Umbridges Büro auf dem Boden? Oder war er aufgewacht, in dem Wissen, dass seine Freundin ihn verraten hatte? Um ehrlich zu sein, wollte ich es überhaupt nicht wissen. "Jetzt gib mir die Prophezeiung, Potter."

"Wo ist Sirius?", verlangte der Angesprochene erneut zu wissen. 

"Es ist an der Zeit, dass du den Unterschied zwischen Leben und Traum begreifst, Potter", sagte Malfoy herablassend. "Jetzt gib mir die Prophezeiung oder wir benutzen unsere Zauberstäbe."

Mein Bruder glaubte wohl, die drei Schritte, welche er nun auf Mister Malfoy zu machte, ließen ihn bedrohlich wirken. In meinen Augen wirkte es einfach nur lächerlich. Diese Situation war aussichtslos. "Wenn Sie mir oder meinen Freunden irgendetwas antun, zerbreche ich sie."

Kluger Schachzug. Neben mir bewegte Ginny sich unbehaglich, ich konnte sehen, wie fest sie ihren Zauberstab umklammert hielt. Ihre Stirn hatte sie in besorgte Falten gelegt. Ja, auch ich machte mir Sorgen.

"Er weiß, wie man spielt", feixte die Todesserin, die schon einmal gesprochen hatte, und löste sich von den Schattengestalten um sie herum. Ihr Lachen war heiser, beinahe schreiend. "Armes, klitzekleines Baby, Potter."

Hinter mir keuchte Neville entsetzt auf, als sie ins Licht unserer Zauberstäbe trat und die Kapuze aus ihrem Gesicht schob. "Bellatrix Lestrange." Die persönliche Vorstellung war eigentlich nicht nötig. Ich konnte ihr Fahndungsfoto vor meinem inneren Auge lachen sehen. Sie, eine der treuesten und wohl verrücktesten Anhängerinnen des dunklen Lords.

"Neville Longbottom, nicht wahr?" Sie grinste und ging in schleichenden, raubtiergleichen Schritten um uns herum, bis sie direkt neben Dracos Vater zum Stehen kam. "Wie geht es Mum und Dad?"

Neville hinter mir regte sich abrupt und ich schaffte es so eben, ihn am Arm festzuhalten. Warnend kniff ich die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.

"Mach nichts", murmelte mein Bruder. "Noch nicht -"

"Hört ihr ihn? Hört ihr ihn? Gibt den anderen Kindern Anweisungen, als ob er vorhätte, gegen uns zu kämpfen!"

"Oh, du kennst Potter nicht, wie ich ihn kenne, Bellatrix", sagte Malfoy leise. In einer flüssigen Bewegung hob er seinen Zauberstab und richtete ihn nun direkt auf meinen Bruder.

Zeitgleich mit ihm hob auch ich meinen Haselstab. Es war mir egal, ob ich damit meine Deckung fallen ließ, ob es zu auffällig war oder welche Konsequenzen eine solche Handlung auf meine und Dracos Beziehung haben könnte. Ich musste meine Prioritäten klären und die lagen in diesem Moment ohne Zweifel in der Sicherheit meines letzten noch lebenden Familienmitglieds. Zu beiden Seiten von mir hoben jedoch auch Ginny, Luna, Hermine, Neville und Ron ihre Zauberstäbe. Wir standen Rücken an Rücken.

Aber die Todesser griffen nicht an.

"Händige mir die Prophezeiung aus, dann muss keinem etwas geschehen", versuchte es Mr. Malfoy erneut. Sein Tonfall um einige Nuancen kühler geworden.

Nun war es Harry, der lachte. Es war freudlos und spiegelte exakt unsere jetzige Situation wider. "Jaah, genau!", höhnte er. "Ich gebe Ihnen diese – Prophezeiung, wie Sie es nennen? Und Sie werden uns einfach nach Hause abhauen lassen, ja?"

"Du musst wohl noch ein wenig überzeugt werden, was?" Bellatrix Lachen klang einfach nur durchgeknallt und absolut böse. "Sehr schön – nehmt die Kleinste", befahl sie den Todessern neben sich. "Lasst ihn zusehen, wie wir das kleine Mädchen foltern. Ich werde es tun."

Nevilles Arm, den ich noch immer fest umklammert hielt, spannte sich an. 'Verurteilt wegen Folter verbunden mit dauerhafter schwerer Gesundheitsschädigung von Frank und Alice Longbottom', schoss es mir durch den Kopf. Mein Atem beschleunigte sich. Wer von uns war kleiner? Ginny oder ich? Im Prinzip war es egal.

Wir würden sehr wahrscheinlich beide keiner langen Folter standhalten können. Selbst wenn war ich mir ziemlich sicher, dass mein Bruder vorher einknicken würde. "Nun", sagte Harry, scheinbar, um vom eigentlichen Thema abzulenken, "um was für eine Prophezeiung geht es hier überhaupt?"

"Was für eine Prophezeiung?", wiederholte Bellatrix und das Grinsen auf ihrem Gesicht verblasste. "Du machst Spaß, Harry Potter."

"Von wegen, kein Spaß", erwiderte er und klang dabei, als wäre er überhaupt nicht bei der Sache. Hoffentlich war ich die Einzige, der dies auffiel. "Weshalb will Voldemort sie haben?"

Mehrere Todesser zischelten leise. Mir rann eine weitere Gänsehaut den Rücken hinab. Wenn wir sie doch nur überrumpeln, irgendwie hier rausgelangen könnten. Allzu lange konnte es doch nicht dauern, bis irgendjemand von den Ereignissen hier erfuhr! So ungesichert konnte dieses Bauwerk nicht sein. Umbridge hatte selbst in ihrem unbedeutenden Büro in Hogwarts Sicherheitszauber gewirkt. Andererseits hatte der dunkle Lord schon knapp ein Jahr sein Unwesen getrieben und das direkt unter der Nase des Ministers, ohne dass dieser wirklich an seine Rückkehr geglaubt hatte.

Fast fieberhaft drehte ich das schmale Stück Holz zwischen meinen Fingern, welches meinen schwitzigen Fingern wieder und wieder zu entgleiten drohte. "Du wagst es, seinen Namen auszusprechen?", flüsterte Bellatrix, mit einer unverhohlener Drohung in der Stimme.

Ich hatte noch nie wirklich außerhalb des Klassenraums gekämpft. Einmal, vor zwei Jahren vielleicht, hatte ich den Tränkemeister zum Duell gefordert, um ihm zu beweisen, dass praktische Übungen deutlich lehrreicher wären und ich der Theorie längst erhaben war. Nun, dieser Testlauf war ziemlich nach hinten losgegangen. Somit war es schwer, in diesem Moment wahrhaftig meine Chancen einzuschätzen, sollte es tatsächlich zu einem direkten Kampf kommen.

Und dennoch ...

Wahrscheinlich war es falsch, diese Idee einfach in den Raum zu stellen, ohne näher über die möglichen Konsequenzen nachzudenken, doch ich machte keinen Rückzieher. Neville wandte augenblicklich den Kopf zu mir, als ich seinen Arm ein wenig quetschte. Am liebsten hätte ich mir die Hand vor die Stirn geknallt. Auffälliger ging es wohl nicht.

Aufschauend konnte ich ein stärkeres Zittern nicht mehr unterdrücken. 


Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt