5 | 5. Kapitel

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Tief atmete ich den vertrauten, rußigen Geruch am Bahnsteig 9 3/4 ein und entspannte mich merklich, als ich die rote Dampflok, den Hogwarts Express, erblickte. Zumindest hier war noch alles wie letztes Jahr. "Ich komme meinen Koffer gleich holen", murmelte ich rasch und ließ meinen Bruder, Mrs. Weasley und Sirius in seiner Hunde-Animagus Gestalt mitten auf dem Weg stehen.

Ich hörte noch, wie Mrs. Weasley besorgt sagte – "Hoffentlich schaffen es die anderen noch rechtzeitig." - dann war ich bereits im Getümmel der anwesenden Schüler und Eltern untergetaucht.

Meine Schultern schmerzten noch von der unbequemen Nacht auf dem Boden und ich fühlte mich wie gerädert. Ein Wunder, dass niemandem etwas aufgefallen war. Vielleicht war ich ja doch eine bessere Schauspielerin, als ich gedacht hatte.

Mich langsam durchs Gewühl schiebend, hielt ich nach meinen Freunden Ausschau, was dank meiner geringen Größe nicht unbedingt ein leichtes Unterfangen war. Andauernd wurde ich angerempelt und knallte schlussendlich auch noch gegen einen beinahe zwei Köpfe größeren Ravenclaw-Schüler, der, dem Formblatt für die Erlaubnis nach Hogsmeade zu gehen in der Hand nach, vermutlich ein Drittklässler war. Frustrierend, wenn jemand der zwei Klassen unter mir war, mich deutlich überragte.

Plötzlich tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Erschrocken wirbelte ich herum und wurde sogleich in eine feste Umarmung gezogen. "Hallo, Reen", ächzte ich und befreite mich umständlich aus ihrem Klammergriff. "Wie geht es dir?"

Reen, mit vollem Namen Noreen Smethwyck, strahlte übers ganze, unversehrte Gesicht und blies sich eine Strähne ihres dunkelblonden Haars aus den Augen. "Du glaubst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, Caitlyn. Es war unglaublich. Wir waren ..." Es folgte eine ausschweifende Wiedergabe ihres Urlaubs in Deutschland, doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu.

Etwas entfernt, direkt neben einer der Zugtüren, hatte ich einen mir nur allzu bekannten Jungen entdeckt und konnte es kaum erwarten, ihn zu begrüßen. Er stand in mitten eines Pulks aus ebenso bekannten Gesichtern und genoss ganz offensichtlich die Aufmerksamkeit. Mit einem Neigen meines Kopfes machte ich auch meine Freundin auf diese Gruppe aufmerksam. "Kommst du mit Hallo sagen?"

Wenige Meter bevor wir sie erreichten, erblickte mich der junge Malfoy. Ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht und nichts und niemand hätte mich in diesem Moment noch aufhalten können.

Ich überrumpelte wohl uns beide.

Mit wenigen, großen Schritten stand ich vor ihm, legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn zu mir hinunter. Ohne die Spur einer Verzögerung trafen unsere Lippen aufeinander.

Um uns herum brandete Applaus auf, doch weder er noch ich schien sich daran zu stören. Es war unglaublich. Besser, als damals im Schneegestöber vor der großen Halle. Ich blendete alles aus, das Einzige, was zählte, war Draco. Seine warmen Lippen, die sich sanft auf meinen bewegten, seine Zunge, die gegen meine Lippen stieß und schließlich auf meine eigene traf. Ich spürte jede seiner Bewegungen mit einer Intensität, die ich nicht für möglich gehalten und die ich mir nur durch die lange Trennung erklären konnte. Seine linke Hand in meinem Kreuz, die andere an meinem Hinterkopf, in meinem Haar vergraben.

Erst der spöttische Kommentar von Blaise Zabini, wir sollten uns ein Zimmer nehmen, holte uns aus unserer Abgeschiedenheit. Langsam lösten wir unsere Lippen voneinander, blieben aber unverändert dicht vor einander stehen. "Ich habe dich vermisst, Mary", sagte er so leise, dass nur ich ihn hören konnte.

Er war einer der wenigen, die um meine wahre Identität wussten und dennoch – "Du weißt, wie sehr ich diesen Spitznamen hasse", raunte ich leise zurück, strich ihm eine seiner etwas vorwitzigeren Haarsträhnen aus der Stirn. Bei genauerem Betrachten sah er müde aus, als hätte er, ebenso wie ich, die letzten Tage kaum geschlafen. Ansatzweise konnte ich dunkle Schatten unter seinen Augen schimmern sehen. "Was für ein Glück für dich, dass du mir ebenso gefehlt hast."

"Ja, nicht?" Jenes, altbekannte Grinsen legte sich über seine Züge und vertrieb die Spuren der Erschöpfung. "Was hast du mit deinem Haar angestellt?" Ich zuckte mit den Achseln. Ein Glück hatte er die gold- rote Strähne noch nicht entdeckt. Die Hochsteckfrisur zeigte demnach Wirkung.

Ein Pfiff ertönte. "Ihr solltet eure Turtelei eventuell auf später verschieben. Sie fangen an, die Türen zu schließen", warf Noreen ein. Im Vorbeigehen raunte sie mir ins Ohr: "Nur mal eben Hallo sagen? Ich muss ein ernstes Wörtchen mit dir sprechen."

Mit einem Seufzen löste ich mich endgültig von Draco. Augenblicklich vermisste ich seinen Geruch. Eine Mischung aus Flieder und Wacholder, mit einer Spur Minze. "Ich muss noch meinen Koffer holen. Sagst du den anderen, sie sollen mir einen Platz freihalten?"

Seine Antwort wartete ich nicht ab, sondern kämpfte mich so rasch es ging zurück zu Mrs. Weasley und den anderen. Als ich sie erreicht hatte, war Remus Lupin gerade dabei, Harry seinen Koffer anzureichen. Nur ein einziger stand noch am Bahnsteig, auf dessen Deckel die Initialen 'C S' standen. Sirius hockte daneben, kam jedoch, kaum dass er mich entdeckt hatte, schwanzwedelnd auf mich zu.

"Wo warst du so lange, Caitlyn? Du musst dich beeilen." Wie ein aufgescheuchtes Huhn kam Mrs. Weasley auf mich zu gelaufen, während Lupin hinter ihr meinen Koffer ebenfalls in den Zug schob.

Ruppig zuckte ich die Schultern, beugte mich dann zu Sirius runter und schloss die Arme um seinen Hundehals. Den Kopf in sein schwarzes Fell gedrückt flüsterte ich: "Pass gut auf dich auf, Schnuffel." Ehe ich zu sentimental werden konnte, richtete ich mich wieder auf und streichelte ihm nochmal rasch über den Kopf, was er mit einem fröhlichen Bellen quittierte.

"Ist noch etwas, Mrs. Weasley?", fragte ich abweisend, da sie mir bis zur Zugtür gefolgt war und nun etwas unschlüssig stehen blieb.

Ihre Stirn war gerunzelt und eine fast schon mütterliche Sorge hatte sich über ihr Gesicht gelegt. "Wenn dich etwas bedrückt, kannst du immer zu uns ... mir kommen – ich hoffe, dies ist dir bewusst? Ich werde dich für nichts verurteilen und auch die anderen Ordensmitglieder werden Verständnis aufbringen."

"Wer behauptet, ich bräuchte jemanden, der Verständnis für mich aufbringt?", fragte ich, mit einem Bein bereits im Zug stehend. "Was soll ich denn Böses verbrochen haben?"

Mrs. Weasley plusterte sich auf, was deutlich machte, wie sehr ich sie verärgert hatte. Dennoch konnte sie damit nicht über die Sorge in ihren Augen hinwegtäuschen. Vielleicht lag es einfach in ihrer Natur.

Ein weiterer Pfiff ertönte und die Türen fingen der Reihe nach an, sich zu schließen. Die Lok blies schwarzen Rauch über die Menge und die Räder quietschten. Mit einem Seufzen nickte ich Rons Mutter noch ein weiteres Mal zu und sagte resigniert: "Danke. Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen. Sollte ich Hilfe benötigen, weiß ich, an wen ich mich wenden kann."

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt