5 | 42. Kapitel

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Der Schulleiter schwieg, musterte mich stumm über den Rand seiner halbmondförmigen Brillengläser. Mir schien, als wäge er ab, überlegte, was er mir anvertrauen durfte. Er war nicht dumm. Um ehrlich zu sein würde es mich sogar stark verwundern, wenn er nicht längst wusste, wer sich wirklich hinter dem Namen Caitlyn Snape verbarg. Ebenso wenig würde es mich erstaunen, sollte er auch genauestens über die Geschehnisse im Ministerium informiert sein.

Ich war älter geworden, wusste inzwischen, dass ich den Zauberer nicht unterschätzen sollte. Aber würde er es riskieren, sich in die Karten schauen zu lassen?

Unruhig befeuchtete ich meine Lippen.

"Ich fürchte, es ist nicht an mir, dir mehr über diese Weissagung zu verraten." Er seufzte. "Du bist eine Freundin von Harry, verkehrst jedoch mit den Leuten, denen er misstraut. Ich persönlich habe ihm davon abgeraten, jemand anderen als seine beiden engsten Freunde mit einzubeziehen. Soweit ich weiß hat er selbst ihnen den genauen Wortlaut verschwiegen."

Mit einem Mal fühlte sich meine Rückenlehne ungewöhnlich hart an. Konnte ich besser schauspielern als gedacht? Oder versuchte Dumbledore mir gerade die Chance zu geben, mich ihm anzuvertrauen? Wollte er mich aus der Reserve locken? Hätte ich als Schwester eher das Recht, über das Schicksal meines Bruders Bescheid zu wissen? Wog dies dann möglicherweise schwerer als der Umgang mit den anderen Slytherins? Spielte Dumbledore überhaupt auf mein Haus an oder viel eher auf den dunklen Lord? Fakt war, ich hatte keine Ahnung.

Außerdem bekam ich von all den Fragen Kopfschmerzen. Vier Stunden Verwandlung waren nichts dagegen. "Sir, verraten Sie mir bitte nur eines, ist Harry durch diese Prophezeiung mehr in den Fokus des dunklen Lords gerückt?"

Er schenkte mir ein wissendes Lächeln. Seine stechend blauen Augen blitzten. "Nicht mehr und nicht weniger, als er es ohnehin schon war. Die Zukunft wird anstrengend für ihn werden, er wird Verbündete brauchen. Auch in den Reihen des dunklen Lords."

"Ja", stimmte ich tonlos zu. Damit hatte ich zumindest auf eine meiner Vermutungen eine direkte Bestätigung. Sein Blick dabei war unmissverständlich. "Mit ihnen hat er dann schon einmal einen der mächtigsten Verbündeten. Sie werden sicher alles Nötige tun, um ihn zu beschützen." 

Ich sprach mehr zu mir selbst, denn zu ihm, doch aus irgendeinem Grund sah er sich wohl genötigt zu antworten. Furchtbar ernst sah er mich an, bestätigte mir mit fester Stimme meine Annahme. Dann deutete er auf das Täschchen direkt vor ihm auf dem Schreibtisch. "Kannst du dir denken, was sich darin befindet?"

Stumm erwiderte ich seinen Blick. 

"Im Ministerium hast du etwas verloren." In einer beiläufigen Bewegung schob der Schulleiter mir den kleinen Beutel herüber. Ich schenkte ihm keine Beachtung, sondern kniff die Augen zusammen. Konnte man so viel Glück haben? Befand sich womöglich das, was ich dachte, eingeschlagen in diesen Stoff vor mir? "Du hast ihn im Ministerium fallenlassen."

Also ja. Freude machte sich in mir breit. Begierig darauf das feine Holz meines Haselstabs wieder zwischen den Fingern fühlen zu können, griff ich danach. Im letzten Augenblick hielt ich inne.

Dumbledore wirkte zu ernst, er hatte auf mich immer den Eindruck gemacht, als freue er sich schon über die kleinste Möglichkeit, jemandem eine Freude zu machen. Aber um seine Augen befanden sich in diesem Moment keine Lachfältchen, wie sie bei dem ein oder anderen Gespräch immer mal wieder dort erschienen waren. 

Überhaupt war er in seinem ganzen Erscheinen schwermütiger als üblich, er wirkte nicht direkt älter, jedoch erschöpfter. Ein wenig, als grause es ihn vor den zukünftigen Ereignissen. Das hing sicher nicht mit meinem Zauberstab zusammen, dennoch zauderte ich, das grüne Mäppchen zu öffnen.

Schwer schluckte ich. Mein Gefühl hatte mich gewarnt. Da lag er, mein Haselstab, den ich über vier Jahre in Ehren gehalten hatte. Oder vielmehr das, was von ihm übrig war. In Einzelteile zerlegt, wie ein Abbild der Scherben, in die meine Kindheit sich verwandelt hatte. Die Trümmer waren schleichend gekommen. Der Verfall hatte bereits letztes Jahr vor Weihnachten begonnen und hatte bis jetzt angedauert, doch hier lag er nun, der offensichtliche, unbestreitbare Beweis.

Hastig schlug ich das Mäppchen wieder zu, um nicht länger den offenliegenden Kern des Stabs anstarren zu müssen. "Ich werde in den Ferien wohl Mr. Ollivander einen Besuch abstatten müssen."

Mitleid legte sich über die Miene des alten Zauberers. "Er kann nicht repariert werden", sagte er leise, als wolle er so die Bedeutung der Nachricht abschwächen. Es war nebensächlich. So gut hatte ich in meiner bisherigen Ausbildung aufgepasst, um mir ebenso im Klaren darüber zu sein.

Betont gleichmütig zuckte ich die Schultern. "Der Stab ist nicht das Einzige, was unwiederbringlich verloren ist. Ich werde mir einen Ersatz suchen." 

Dumbledore nickte zustimmend. Ich fragte mich, ob er die versteckte Bedeutung in meinen Worten verstanden hatte. "Da gäbe es außerdem noch etwas, worüber ich mit dir sprechen möchte." Mit einem Scharren schob der Schulleiter seinen Sessel nach hinten und richtete sich auf. Sein Umhang raschelte, als er ans Fenster trat. "Nun, da der dunkle Lord zurückgekehrt ist und selbst das Ministerium diese Tatsache akzeptiert hat, wird er deutlich offensiver vorgehen. Er wird nicht zögern, den Zauberstab auch gegen seine eigenen Gefolgsleute zu erheben."

Das Gewicht der Tasche wog schwer in meiner Hand. Sanft strich ich mit dem Daumen darüber. "Mein Vater ist sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Ich vertraue darauf, dass er sich sehr wohl im Klaren darüber ist, wie weit er sich vorwagen darf."

Es folgte ein weiterer wissender Blick über den Rand der halbmondförmigen Brillengläser. Ich verhinderte mit Mühe ein unruhiges Gewichtsverlagern. "Weißt du, Caitlyn, manchmal ist es an der Zeit, mehr als nur sein eigenes Schicksal ins Auge zu fassen. Manchmal ist es an der Zeit, nicht mehr für das eigene Überleben, sondern vielmehr für das allgemeine, das höhere Wohl zu kämpfen."

"Wann soll diese Zeit kommen?", fragte ich, unsicher, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte.

Ich bekam auch keine. Jedenfalls keine richtige. "Du wirst es wissen."

Da war er also wieder. Der senile alte Zauberer, wie Draco in häufig zu beschreiben pflegte. Ich erhob mich. "Wenn das alles war, Sir, würde ich mich entschuldigen. Ich muss noch meinen Koffer fertig packen, denn ohne Magie dauert dieser Vorgang deutlich länger." Es war nur eine halbe Lüge. Tatsächlich lag mein Koffer aufgeklappt am Fußende meines Bettes und wartete darauf, bestückt zu werden. Doch da ich eh all meine Sachen nur irgendwie dort hineinwerfen würde, war kein wesentlicher Zeitunterschied zu verzeichnen. Allerdings brannte ich darauf, dieses Büro zu verlassen. Das Ticken der großväterlichen Uhr würde mich sonst noch in den Wahnsinn treiben.

"Ach, Caitlyn?"

Ich stand bereits an der Tür, direkt neben der Stange, auf der für gewöhnlich Fawkes, Dumbledores wunderschöner Phönix, hockte. Er war verschwunden, ersetzt durch einen kleinen, hässlichen, federlosen Vogel. Langsam wandte ich mich zum Schulleiter um.

Auch er hatte den Ländereien draußen den Rücken gekehrt, lehnte sich, wie es schien, entspannt gegen den Fenstersims. "Sollte der Moment kommen, da Lord Voldemort dir einen Auftrag stellt, zögere nicht bei seiner Ausführung. Und sollte er dich vor die Wahl stellen, triff die richtige Entscheidung."

Dieses Mal konnte ich nicht verhindern, dass sich meine Verwirrung auch in meinem Gesicht widerspiegelte. In Rätseln sprechen konnte er. Eine Gänsehaut zog sich bis hinauf in meinen Nacken.

Anstelle einer Reaktion, die meine Irritation ein wenig abgeschwächt hätte, sagte er: "Wir sehen uns dann morgen beim Festessen."

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt