5 | 3. Kapitel

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Trotz meiner berechnenden Überlegungen über einen möglichen Rauswurf Harrys aus Hogwarts und des stillen Schwurs, mich von ihm fernzuhalten, hatte ich den ganzen Morgen nicht anderes gekonnt, als unruhig in der Küche hin und her zu tigern.

Auch die anderen waren da, saßen wie in Trance auf den klapprigen Holzstühlen. Das Frühstück stand unberührt auf dem Tisch, doch mehr als einen Bissen hatte niemand heruntergebracht. In eben diesem Moment war Harry im Ministerium, würde sich einer Verhandlung stellen, deren Vorsitzende allesamt nicht an eine Rückkehr des dunklen Lords glaubten. "Ich gehe mal an die frische Luft", teilte ich niemand bestimmten im Raum mit.

Mrs. Weasley sah von dem Stück Rindfleisch auf, welches sie bis dahin wie besessen mit einem Messer malträtiert hatte und öffnete schon den Mund, allerdings hatte ich die Tür bereits hinter mir ins Schloss gezogen. An die frische Luft zu gehen, war eher im übertragenen Sinne gemeint, denn niemand von uns verließ dieses Haus, einfach um sich am Grimmauldplatz die Beine zu vertreten. Zu groß war die Gefahr, den Standpunkt des Ordens zu verraten.

Doch die muffige Luft im Treppenhaus kam im Vergleich mit der in der Küche einer frischen Brise gleich. Die drückende Stille, nur unterbrochen durch das leise Geräusch eines einzelnen Messers auf Holz, hatte mir schwer auf dem Trommelfell gelastet und jetzt war ich dankbar für das leise Schnarchen, welches aus dem Porträt von Sirius' Mutter drang, vor dem ich meine Wanderung von neuem aufgenommen hatte.

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis ich schließlich hörte, wie die Haustür aufgestoßen wurde. Mein Herz schien stehen zu bleiben, als im selben Moment neben mir die Vorhänge des Porträts aufflogen und die verstorbene Mrs. Black in ihrer üblichen Lautstärke zu Schreien anfing. "Schlammblüter, widerwärtige Halbblüter, Blutsverräter in meinem Haus!", kreischte sie hysterisch. Ich zuckte schon gar nicht mehr mit der Wimper. Eigentlich war es überhaupt ein Wunder, dass meine unregelmäßigen Schritte sie noch nicht aufgeweckt hatten, schließlich pflegten wir üblicherweise auf Zehenspitzen an ihr vorbeizuschleichen.

Einige Sekunden rang ich noch mit mir – ich wollte, musste mich von meinem Bruder fernhalten – ehe ich alle Vorsätze über den Haufen warf und, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunterrannte.

Mr. Weasley, groß und in einen alten Ministeriumsumhang gekleidet, war gerade dabei, die Schlösser der Haustür wieder hinter sich zu verriegeln, während Harry sich bei meinen raschen Schritten umwandte. "Freigesprochen", teilte er mir leise mit und ein breites Strahlen legte sich über sein Gesicht.

In diesem Moment erinnerte er mich so schmerzlich an unsere Mutter, dass ich nicht anders konnte und meine Selbstbeherrschung ein weiteres Mal über Bord warf. Mit zwei schnellen Schritten war ich bei ihm und schlang beide Arme um seinen Hals. Ob ich es nur tat, damit er meine Tränen nicht sah oder weil diese Umarmung schon so lange ausstand, war in diesem Moment zweitrangig. Ich merkte, wie er für einen Augenblick überrumpelt zögerte, aber dann legte auch er die Arme um mich und drückte mich fest. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Aufschluchzen. Wenn ihm etwas passieren würde – ich würde alles tun, um dies zu verhindern. Er war das letzte Familienmitglied, was ich noch hatte und er hatte keine Ahnung, dass er gerade seine Zwillingsschwester in den Armen hielt.

Hinter uns wurde die Küchentür geöffnet und als ich Mr. Weasleys Blick begegnete, löste ich mich rasch von meinem Bruder. Die Gerüchteküche über Harrys und meine Beziehung hatten in den letzten Jahren schon genug in der Schule gebrodelt und ich erinnerte mich nur zu gut an das belauschte Gespräch zwischen Minerva McGonagall, meiner Verwandlungslehrerin, und dem Schulleiter, Professor Dumbledore. Sie hatte Schlüsse gezogen, die gefährlich nah an der Wahrheit dran waren und wenn ich die gefurchte Stirn von Mr. Weasley richtig interpretierte, war auch er gerade dabei, gewisse Vermutungen in den Raum zu stellen.

"Du solltest den anderen die frohe Nachricht überbringen", sagte ich, gezwungen lächelnd, zu Harry, drehte mich um und trat an Sirius vorbei in die Küche, wo ich beinahe mit Ron und Hermine zusammenstieß.

"Hat er es geschafft?", fragte Hermine niemand bestimmten, die seltsam zittrig wirkte und eine Hand in Rons Arm gekrallt hatte.

Das Schauspiel beobachtend, ließ ich mich auf meinem vermeintlichen Lieblingsplatz in diesem Raum nieder, der Arbeitsplatte, und rieb mir unterbewusst die Stirn. Fred, George und Ginny hatten mit einer Art Kriegstanz begonnen und hüpften aufgeregt durch die Küche: "Er ist frei, er ist frei, er ist frei ..."

"Nun ist es aber gut – Fred – George – Ginny!", rief Mrs. Weasley, mäßig erzürnt, während Harry, Ron und Hermine sich an den Tisch setzten. "Caitlyn, würdest du dich auch bitte dazu gesellen? Dann könnten wir essen", sagte sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich war bei ihr mit meinen Weigerungen ihren Anweisungen zu folgen, wohl mehr oder weniger in Ungnade gefallen.

Sirius grinste mir zu. Augenverdrehend ließ ich mich auf den Stuhl neben meinen Bruder fallen, als plötzlich ein gleißender Schmerz in meinen Kopf fuhr. Unwillkürlich zuckte meine Hand empor, presste sich gegen meine Schläfe. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Harry sich im selben Moment die Hand auf die Narbe schlug und just bei dieser Bewegung, wurde mir klar, welcher Albtraum mich nachts wach hielt – nicht nur mich, sondern auch meinen Zwilling.

"Was ist los?", fragte Hermine erschrocken und ich zuckte zusammen. Auch wenn mir klar war, dass diese Frage nicht an mich gerichtet war, tat ich so, als hätte ich mir nur eine verirrte Strähne meines Haars aus dem Gesicht schieben wollen.

"Narbe", murmelte Harry unterdessen. "Aber es ist nichts ... passiert jetzt dauernd ..." Eine weitere Bestätigung meiner Vermutung. Jenes unwohle Gefühl, war vermutlich mit Harrys Schmerzen verbunden, wann immer der dunkle Lord mächtiger wurde oder ein besonders intensives Gefühl empfand. Nur wieso hatte ich früher nichts davon mitbekommen? Ich konnte nur vermuten, dass es mit seiner Rückkehr zu tun hatte.

Kopfschüttelnd tat ich mir nun, wie alle anderen auch, etwas von dem Essen auf. Fred, George und Ginny sangen immer noch. Hermine wirkte ziemlich besorgt, doch ehe sie etwas sagen konnte, bemerkte Ron freudig: "Wetten, Dumbledore taucht heute Abend auf und feiert mit uns?"

"Ich glaube nicht, dass er Zeit dazu hat, Ron", warf Mrs. Weasley ein und stellte eine gewaltige Platte mit gebratenem Hähnchen auf den Tisch. "Er ist im Moment wirklich beschäftigt."

Während der Jubelgesang über Harrys Sieg erneut lauter wurde und Rons Mutter versuchte, sich mit einem gedonnerten 'Ruhe!' durchzusetzen, fasste ich meinen Entschluss. Ich würde die restliche Zeit der Ferien nutzen und meinen Bruder etwas näher kennenlernen. Zum sich fernhalten, blieb in Hogwarts noch genug Zeit.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt