6 | 24. Kapitel

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Unsere Beziehung zueinander blieb von nun an angespannt. Wir beide tanzten wie auf rohen Eiern umeinander herum, alles um ja nicht zu riskieren, wieder so offen einander gegenüber zu werden. Uns beiden war es zu gefährlich. War es das, wovor mein Vater mich gewarnt hatte? War es diese Abhängigkeit, die uns beiden zum Verhängnis werden konnte? Die Angst vor den Tod des anderen größer als vor dem eigenen?

Denn leider kam ich nicht umhin, mir der Wahrheit hinter Dracos Aussage bewusst zu werden. Mein Geheimnis - momentan das, was mich und meinen Bruder in größte Gefahr stürzen konnte - könnte im Ernstfall das Zünglein an der Waage zwischen Leben und Tod sein. Wenn sonst nichts den dunklen Lord aufhalten konnte, diese Information würde es definitiv. Konnte ich meinen Bruder verkaufen, wenn der Preis mein Leben wäre?

Am Ende der Treppe zum sechsten Stockwerk angelangt, bog ich nach rechts in den nächsten Korridor ein. Die Zeit hier in Hogwarts hatte mich vorsichtig werden lassen, dachte ich, während ich mich mit einem Blick über die Schulter versicherte, dass mich niemand verfolgte. Und obwohl ich niemanden sah, musste es nicht heißen, dass ich alleine war. Im Gehen drückte ich mir die schweren Wälzer enger an die Brust. Obgleich ich sie mit einem Tarnzauber belegt hatte, damit man die wahren Titel nicht sah, musste nicht unbedingt jeder wissen, dass ich mit ihnen keineswegs die Bibliothek oder unseren Gemeinschaftsraum ansteuerte. Wir brauchten Nachschub, wofür ich gefühlt jedes noch so kleine Buch aus der verbotenen Abteilung aufgeschlagen hatte, und nun hinauf zum Raum der Wünsche brachte.

"Nein! Nein! Hört auf damit!" Erstarrt verharrte ich in Mitten des Flurs. Hatte ich mir das Kreischen nur eingebildet? Wachsam drehte ich mich um die eigene Achse und tastete in meiner Tasche nach meinem Zauberstab. Der Stab war da, wo er hingehörte. Ich erlaubte mir ein leises Aufatmen als: "Aufhören! AUFHÖREN!" Dicht gefolgt von einem lauten Knall.

Ohne länger über die Konsequenzen meines Handelns nachzudenken, rannte ich los. Meine Bücher ließ ich an Ort und Stelle zu Boden fallen. Aufgeschlagen blieben sie liegen. Mein Instinkt übernahm mein Denken und Handeln. Ich hatte nicht die geringste Idee, was mich erwarten würde. Doch so oder so hätte mich vermutlich nichts auf den Anblick gefasst machen können, der sich keine Minute später vor meinen Augen auftat.

Schwer atmend blieb ich im Türrahmen zur Mädchentoilette stehen. Es kostete mich keine sonderliche Mühe, die Situation zu erfassen.

Mein Verlobter war im Chaos zwischen zersprungenen Waschbecken und Fliesen zusammengebrochen. Blut quoll überall aus seinem Körper, als sei er von unsichtbarer Hand aufgeschlitzt worden. Draco Malfoy, der stolze Draco Malfoy lag in einer Lache aus Wasser, vermischt mit seinem eigenen Blut. Sein blondes Haar klebte ihm strähnig am Kopf, sein Zauberstab lag etwas entfernt von seiner rechten Hand. Sie war schlaff.

"Nein –", keuchte ich. Ich konnte es nicht fassen.

Just in diesem Moment erklang ein platschendes Geräusch zu meiner Linken. Rutschend und schwankend kämpfte sich mein Bruder auf die Beine und stürzte auf Draco zu, dessen Gesicht sich in der Zwischenzeit leuchtend scharlachrot gefärbt hatte. Zittrig tastete er über seine eigene, bluttriefende Brust.

"Nein – das wollte – " Harry ließ sich neben meinem Verlobten auf die Knie fallen, der inzwischen haltlos zitterte.

Die Maulende Myrte stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus. "MORD! MORD IM KLO! MORD!"

Vielleicht war es das, was mich schlussendlich aus meiner Erstarrung riss. Auch ich stolperte nach vorne, tat es meinem Bruder gleich und fiel neben dem Slytherin auf die Knie. Es kümmerte mich nicht, dass sich mein Umhang beinahe augenblicklich mit dem Gemisch aus Wasser und Blut vollsog. Alles was zählte, war das helle Gesicht, was im Kontrast zu dem Blut um ihn herum eine kalkweiße Farbe angenommen hatte. "Draco -"

"Cat. Ich -"

"Spar es dir, Potter", fauchte ich. Ich wusste nicht, was vorgefallen war, doch dass der Zauber aus Harrys Stab stammte, stand außer Frage. Bebend strich ich Draco einige Strähnen aus der Stirn. Seine grauen Augen waren geschlossen. Vielleicht war es besser so. Er musste nicht sehen, wie ich weinte. "Komm schon."

Plötzlich von einer Idee überrumpelt, griff ich nach meinem Zauberstab. Ich konnte die Spitze kaum stillhalten, dennoch begann ich sie unablässig über den blutüberströmten Oberkörper des jungen Mannes zu führen. Im Nachhinein hätte ich nicht sagen können, welche Zauber ich im Speziellen wirkte. Klar war nur, dass sich nichts an seinem Zustand änderte. Egal wie hastig und eindringlich ich murmelte, die Wunden schlossen sich nicht.

"Was für einen verdammten Zauber hast du da an ihm ausprobiert?" Meine Stimme brach zum Ende hin, ich konnte meinem Bruder nicht ins Gesicht sehen. Wenn ich ehrlich war, erwartete ich nicht einmal eine Antwort, sondern wandte mich stattdessen wieder der zitternden Gestalt in meinen Armen zu. "Wie soll ich das denn ohne dich alles schaffen?"

Durch meinen Tränenfluss hindurch bemerkte ich kaum, wie hinter uns die Tür erneut aufschlug. 

Harry wurde grob beiseite geschoben, jemand nahm seinen knienden Platz mir gegenüber ein. Dennoch hörte ich mir meinen verzweifelten Bemühungen erst auf, als sich eine Hand über meine legte. "Hör auf, Caitlyn."

Irritiert hielt ich tatsächlich in meinem sinnlosen Vorhaben inne. Ich wusste, wem diese Stimme gehörte, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, wieso er mich mit meinem falschen Namen ansprach.

Als ich aufsah und Harry direkt neben uns stehend entdeckte, schüttelte ich über meine eigene Gedankenlosigkeit den Kopf. Natürlich konnte mein Ziehvater mich hier nicht mit 'Mariah' ansprechen, wo Harry doch den Namen seiner Schwester kannte. "Lass mich das machen, Caitlyn", wiederholte der Zaubertrankmeister erneut. Erst da bemerkte ich, dass er seinen eigenen Zauberstab schon längst in der Hand hielt.

In ruhigen und überlegten Bewegungen strich er damit über die tiefen Wunden, während er einem Lied gleich Beschwörungen murmelte. Ich erlaubte mir ein leises Aufschluchzen der Erleichterung, als der Blutstrom nachzulassen schien. Vorsichtig wischte ich meinem Verlobten die restlichen Blutspuren aus dem Gesicht. Gleichzeitig wiederholte Severus Snape seinen Zauber erneut. Nun schienen die Wunden zusammenzuwachsen.

Die Maulende Myrte schluchzte und wehklagte noch immer über ihnen. Nachdem mein Vater seinen Gegenfluch zum dritten Mal ausgeführt hatte, suchte er meinen Blick. "Schaff ihn hinauf in den Krankenflügel. Wenn er jetzt sofort Diptam nimmt, können wir vielleicht eine Narbenbildung verhindern."

Gemeinsam wuchteten wir den Slytherin auf die Füße. Ich schlang einen seiner Arme um meine Schultern und sorgte mit einem leichten Schwenk meines Zauberstabs dafür, dass er eine weitere, unsichtbare Stütze erhielt. Ich wusste ja bereits, wie schwer er sein konnte.

Ein letztes Mal versicherte sich unser Hauslehrer mit einem Blick auf uns beide, dass wir es wirklich hinauf ins Hospital schaffen würden, dann drehte er sich zu meinem Bruder um. Und obwohl mir dessen verzweifelter Blick in meine Richtung nicht entging, hegte ich nicht eine Spur Mitleid. Hier stand er nicht dem dunklen Lord gegenüber und selbst wenn - für manche Taten musste jeder geradestehen.

"Komm, Draco", murmelte ich, seine Hand fester umfassend, und wandte mich von der Szene ab.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt