6 | 20. Kapitel

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Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, blickte ich geradewegs in die grauen meines Verlobten. Er sah verschlafen aus, aber so viel besser als ich ihn in den vergangenen Wochen gesehen hatte. Den Arm unter den Kopf geschoben musterte er mich, strich mir zögernd eine rote Strähne meines Haars hinters Ohr. Seine Hand war warm.

"Morgen", murmelte ich verschlafen und drehte mich auf den Rücken. Der Geschmack in meinem Mund war schrecklich und ich befürchtete, dass auch der Geruch nicht unbedingt der angenehmste war. Um den Kontakt zu Draco dennoch nicht zu unterbrechen, verflocht ich unsere Finger miteinander. "Hast du gut geschlafen?"

Ein Moment des Zögerns. "Besser als sonst", meinte er schließlich, klang wenig überzeugend. Mit dem Daumen malte er kleine Kreise auf meinen Handrücken. "Und du?"

Nachdenklich starrte ich hinauf zu dem grünen Stoff der Vorhänge, welche das Bett auch nach obenhin abschlossen. Irgendwer hatte den sie um uns herum zugezogen. Keine Ahnung, wieso mir das ausgerechnet jetzt auffiel. "Wieso?"

Auf meine Frage hielt der Slytherin neben mir den Atem an, seine Daumenbewegung verharrte. "Wieso was? Wir in einem Bett geschlafen haben?"

"Das auch", murmelte ich leise. Ohne Zweifel war es seltsam gewesen, neben ihm im Bett zu liegen, besonders als ich mitten in der Nacht seinen Arm gespürt hatte, wie er sich über meine Taille legte und mich scheinbar automatisch näher an ihn herangezogen hatte. Wobei seltsam in diesem Falle keineswegs schlecht hieß. Ungewohnt war hier wohl das passendere Wort. "Wieso warst du gestern Abend - oder sollte ich lieber sagen heute Morgen - in diesem Zustand? Ich habe mir unheimliche Sorgen gemacht."

Ein Seufzen. Gleichzeitig entwand er mir seine Hand. Die Matratze senkte sich, als er sich auf die andere Seite drehte und mir mit dieser Bewegung die wärmende Decke teilweise wegzog. Ich fröstelte bei dem plötzlichen Luftzug. "Die Dinge liefen nicht so wie geplant."

Ich wandte den Kopf, sah ihn auf der Bettkante sitzen. "Du musst aufhören, für dich alleine zu kämpfen. Es macht uns beide kaputt." Seine Schultern spannten sich an. Er war sich dessen genauso gut bewusst wie ich. "Wir sind verlobt. Wir müssen zusammenarbeiten, sonst wird spätestens am Ende dieses Jahres einer von uns beiden unter der Erde liegen."

Mein eigener Atem erschien mir in der Stille laut, die auf meine Worte hin den Schlafsaal erfüllte. Sie dauerte so lange an, dass mir eine Antwort bereits unwahrscheinlich erschien, als er schließlich sagte: "Es wird vermutlich Zeit, dass ich dir etwas zeige."

Wir zogen uns an, beziehungsweise zog er sich einen frischen Anzug an, während für mich in diesem Moment ein Zauber genügen musste. Im Gemeinschaftsraum erlaubte ich mir lediglich einen kurzen Stopp, um etwas aus der Brotdose zu stibitzen, die ich gestern eigentlich für Draco fertiggemacht hatte. Fürs Erste würde das als Mittel gegen den Mundgeruch genügen müssen. 

"Kommst du?", fragte er ungeduldig, woraufhin ich rasch wieder den Deckel verschloss und seine dargebotene Hand ergriff.

"Wohin gehen wir?"

Ohne eine Antwort zog er mich aus dem Gemeinschaftsraum hinaus in die kühlen Korridore der Kerker, die selbst für den Beginn der Ferien erstaunlich leer waren. Weder auf unserem Weg hinauf in die Eingangshalle noch als wir Linkerhand ins Treppenhaus abschwenkten, begegnete uns jemand. Das Schloss lag in einer gespenstigen Ruhe da, von der niemand es zu wagen schien, diese zu stören.

Erst im vierten Stock lief uns tatsächlich jemand über den Weg. Es war Professor McGonagall, die unsere verschränkten Hände mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Auch den Lehrern war der Ring an meinem Finger nicht entgangen. Die Verwandlungslehrerin war jedoch die einzige gewesen, die mich wirklich darauf angesprochen hatte. Sie schien es zu missbilligen, wenngleich ich nicht abstreiten konnte, dass mich ihre Sorge in gewissem Maße rührte. 

Ich respektierte sie, nickte ihr daher auch knapp zu, während Draco mich hastig in einen der Seitengänge lotste. "Es ist nicht unbedingt gut, wenn uns jemand sieht", erklärte er mir und bestätigte mir damit meine Vermutungen. Also hatte er wirklich etwas gefunden, was ihm bei seiner Aufgabe helfen würde. "Wir müssen nicht mehr weit."

Sein 'Nicht mehr weit' umfasste tatsächlich nur noch drei Stockwerke. Doch als er mich dort in eine Sackgasse führte, fehlte mir jegliches Verständnis. "Was sollen wir hier, Draco?"

Als Antwort schüttelte er den Kopf und ließ meine Hand los, nur um wie ein Irrer vor der gegenüberliegenden Wand auf und abzuwandern. Ratlos beobachtete ich ihn dabei, kaute währenddessen auf meiner Unterlippe. Gut, das keiner außer mir ihn jetzt sah. Sein Haar war unendlich zerzaust und seine Lippen bewegten sich, als würde er Selbstgespräche führen. Vielleicht hatte er auch das damit gemeint, dass es nicht gut wäre, wenn uns jemand sah?

Wenigstens war der alte Zauberer auf dem Wandteppich gegenüber vollkommen auf die Trolle neben sich konzentriert, weshalb ich ihn als Zeugen für diesen Wahnsinnsanfall meines Verlobten Merlin sei Dank streichen konnte.

"Draco -" Nervös griff ich nach seinem Arm, erntete aber nur ein Kopfschütteln. Nachdem er ein letztes Mal kehrtmachte, blieb er tatsächlich neben mir stehen. Verständnislos sah ich ihn an. "Magst du mir erklären, was das gerade sollte?"

Sanft legte er mir seine Hand an die Wange und drehte meinen Kopf in Richtung der Wand zu unserer Linken. Ich erwartete glatten Stein zu sehen, doch stattdessen war da eine Tür. Eine schlichte schwarze Tür, die mich an die in der Mysteriumsabteilung im Ministerium erinnerte. Scheinbar war Draco doch nicht so bescheuert, wie ich gedacht hatte. "Was ist das?", fragte ich tonlos.

"In dem Raum dahinter befindet sich womöglich die Antwort auf unsere Probleme. Nur zu -" Er bedeutete mir, voraus zu treten. "Nach dir."

Mir stockte der Atem, kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss. Ich war schlichtweg überwältigt von dem, was sich hier vor mir erstreckte. Dieser Raum war riesig, so groß wie eine Kathedrale, durch deren hohe Fenster Lichtstrahlen auf eine Art Stadt mit hoch aufragenden Mauern fielen. Sie waren aus Gegenständen gebaut, die offenbar von Generationen von Hogwarts-Bewohnern versteckt worden waren. Da gab es Gassen und Wege, gesäumt von wackligen Stapeln kaputter und beschädigter Möbel, die vielleicht hierher geräumt worden waren, um den Beweis für schlecht ausgeführte Magie zu verbergen, oder aber versteckt von Hauselfen, die einen Putzfimmel hatten. Es gab Tausende und Abertausende von Büchern, zweifellos verboten oder vollgeschmiert oder gestohlen. Es gab geflügelte Schleudern und Fangzähnige Frisbees, von denen manche noch so viel Leben in sich hatten, dass sie halbherzig über die Berge aus anderen verbotenen Sachen schwebten. Es gab angeschlagene Flaschen mit eingedickten Zaubertränken, Hüte, Juwelen, Umhänge. Es gab Eierschalen, die offenbar von Dracheneiern stammten, verkorkte Flaschen, deren Inhalt immer noch bösartig schimmerte, mehrere rostige Schwerter und eine schwere, blutbefleckte Axt.

So gefangen von diesem Anblick zuckte ich zusammen, als Draco hinter mir begann zu sprechen: "Wir befinden uns hier im Raum der Wünsche." Neuerlich verschränkte er unsere Finger miteinander und zog mich in eine der vielen Gassen zwischen all den versteckten Schätzen. "Dein Bruder und seine Freunde haben ihn letztes Jahr als Versteck für ihre geheimen Treffen genutzt, erinnerst du dich? Ich habe dir davon erzählt."

Ich nickte. Im Vorbeigehen strich ich mit den Fingern über einige verstaubte Buchrücken. Eine Geschichte von Hogwarts, Magische Tierwesen und wo sie zu finden sind und einige weitere, eindeutig schwarzmagische Werke. An einem gewaltigen ausgestopften Troll zog mein Verlobter mich nach rechts. "In den Ferien war ich bei Borgin & Burkes. Ich wollte einer Geschichte nachgehen, die mir Graham letztes Jahr erzählt hat. Es hieß, er sei zwischen zwei Orten hin und her gependelt, nachdem die Weasley-Zwillinge ihn in einen Schrank gesperrt hatten. Er musste heraus apparieren. Hat sich bei dem Versuch beinahe umgebracht."

"Ja. Wir mussten für einige Wochen einen Ersatz haben. Ich hatte schon befürchtet, ihn für das Spiel gegen Gryffindor ersetzen zu müssen", erwiderte ich nachdenklich. "Du hast die Ursache gefunden?"

Anstelle mir zu antworten, hauchte er mir lediglich einen Kuss auf den Handrücken und trat einige Schritte vor. Direkt vor einem großen Schrank hielt er inne. Ein Tuch hing darüber, welches er mit einem Ruck herabzog. Staub wirbelte auf und ließ mich husten. "Das ist ein Verschwindekabinett. Das Gegenstück steht in der Nocturn Gasse. Wir müssen dieses hier nur reparieren."

"Unsere Chance, die Todesser nach Hogwarts zu bringen", vollendete ich seinen Satz leise und erwiderte seinen glühenden Blick. Vielleicht gab es doch Hoffnung. Wenn wir erst einmal seine Aufgabe erledigt hatten, würde sich die Lösung meiner eigenen hoffentlich von selbst ergeben.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt