Am nächsten Morgen schob ich Draco unter dem Vorwand vor, ich hätte etwas im Schlafsaal vergessen, um meinen Stundenplan von Professor Snape abzuholen. Ich wollte ihm nicht unter die Augen treten, wollte nicht riskieren zu erfahren, wie viel der dunkle Lord ihm mitgeteilt hatte. Und am allerwenigsten wollte ich hören, welche Folgen mein Handeln am Ende haben könnte.
So war ich auch nicht sonderlich erfreut, mich bereits zur ersten heutigen Stunde in Verteidigung gegen die dunklen Künste bei eben jenem einfinden zu müssen. Dass wir dieses Fach gemeinsam mit meinem Bruder und seinen Freunden hatten, machte die Sache auch nicht viel besser.
Doch zu meiner äußersten Erleichterung schenkte mir mein Vater bis auf den ein oder anderen Blick keinerlei Beachtung, war viel zu beschäftigt damit, Harry wo es nur ging die Hölle heiß zu machen. Auch während der praktischen Übung, in der wir den Fluch unseres Gegners mithilfe eines ungesagten Zaubers abblocken sollten, machte er einen weiten Bogen um Noreen und mich und zog es vor, die Gryffindors zu terrorisieren.
Erst als es schließlich zum Ende der Stunde läutete, machte er Anstalten, mich aufzuhalten. "Kommst du noch einmal bitte zu mir?", forderte er mich auf und schob mit einem Schwenk seines Zauberstabs sämtliche Bänke und Tische zurück an ihren Platz. Aber obwohl mir mehr als bewusst war, dass dies ein Befehl war, schüttelte ich knapp den Kopf und folgte meinen Freunden hinaus in den Korridor.
"Was ist eigentlich zwischen dir und deinem Vater vorgefallen?", brach Noreen das Schweigen, welches ungefähr die Hälfte des Weges hinauf in die große Halle auf uns gelegen hatte. Ihr blonder Pferdeschwanz hüpfte im Takt ihrer federnden Schritte. "Euer Verhältnis war früher so gut und inzwischen schaust du ihn am liebsten gar nicht mehr an."
"Lange Geschichte -", murmelte ich und fühlte mich beinahe ein wenig schlecht. Sie war meine erste Freundin hier auf Hogwarts gewesen, eigentlich sollte ich ihr vertrauen können. Aber der andere Blondschopf, den ich inzwischen als meinen Verlobten bezeichnete, forderte in diesem Moment all meine Aufmerksamkeit. "Entschuldige mich bitte, Reen."
Dem verdatterten Blick Noreens keine Aufmerksamkeit schenkend, beeilte ich mich, Draco einzuholen, der, statt links in Richtung der großen Halle, nach rechts in die Eingangshalle abbog. "Warte, Draco", rief ich, was mir von einigen vorbeigehenden Ravenclaws schiefe Blicke einbrachte. Ich starrte möglichst finster zurück. Sie sollten sich um ihren eigenen Kram scheren.
Entgegen meiner Erwartung wartete er tatsächlich auf der Treppe, hielt mir nur wortlos seine Hand entgegen. Ich ergriff sie ebenso stumm und ließ mich von ihm weiterziehen. Es dauerte nicht lange, bis mir bewusst wurde, wo er hin wollte. So zog ich ihn, kurz bevor wir unser Ziel erreichten, seitlich hinter einen Wandbehang.
"Was ist mit dir los, Draco?"
Seine grauen Augen erwiderten meinen Blick ratlos. Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen sie steinerne Wand. "Was sollte schon mit mir sein?"
Ich seufzte und zog den Wandvorhang etwas dichter zu. Zusätzlich tippte ich ihn mit meinem Zauberstab an und belegte ihn mit einem Muffliato. Wir konnten keine Lauscher gebrauchen. "Ich glaube kaum, dass du in der Bibliothek einen Kurz-Guide dazu finden wirst, wie du unter Dumbledores Nase jemanden nach Hogwarts schmuggeln kannst."
Der junge Malfoy wandte den Blick von mir ab, starrte an die kahle Wand. Seine Miene war zur Ausdruckslosigkeit erstarrt, als er mit zusammengepressten Zähnen sagte: "Eigentlich weiß ich schon ziemlich genau, wie ich das anstellen werde. Wenigstens womit." Ich schwieg, was ihn dazu veranlasste, mit seinen Ausführungen fortzufahren: "Ich war in den Ferien mit meiner Mutter bei Borgin & Burkes. Es gibt einen Weg. Das Gegenstück befindet sich hier in Hogwarts."
"Lass mich raten, du hast keine Ahnung wo?", hakte ich nach. Zärtlich griff ich nach seiner Hand, spielte mit dem silbernen Familienring an seinem Finger. Er ließ es nur widerwillig geschehen, seine Haltung angespannt. "Aber da ist noch etwas? Draco?" Böses ahnend legte ich meine Finger an sein Kinn und versuchte, seinen Kopf zu mir herumzudrehen. Doch wie ein bockiges Kind entwand er sich meinem Griff. Die Zähne zusammengebissen ließ ich ihn los. "Du willst nach Flüchen und Giften suchen."
"Und wenn?" Unnachgiebig begegnete er meinem Blick.
"Es ist nicht deine Aufgabe", erwiderte ich nur und brachte meinerseits etwas Abstand zwischen uns. "Du kannst mir diese Bürde nicht abnehmen. Da muss ich ganz alleine durch."
"Ich könnte dir helfen!" Nun war es Draco, der meine Nähe suchte und nach meiner Hand griff. Ich kam mir beinahe eingeengt vor, wie ich zwischen ihm und der Wand stand, dazu gezwungen, zu ihm aufzusehen. Lange, dünne Finger legten sich an meine Wange, sein Daumen fuhr sanft an meinen Mundwinkeln entlang. "Du musst diese Aufgabe nicht alleine bewältigen. Er muss es nie erfahren. Wir sagen einfach, am Ende warst du es."
Wenn es doch nur so einfach wäre. Tief sog ich seinen beruhigend vertrauten Duft ein, schwelgte für einen Moment in dem Tagtraum, dass ich diese Aufgabe nie bekommen hätte. "Das wird nicht funktionieren. Wir wissen nicht, wann wir die Gelegenheit endlich bekommen, wann es so weit sein wird, unsere jeweiligen Aufgaben zu erfüllen. Er hat uns ein Ultimatum gestellt. Oder warum meinst du, schickt es seine treuesten Anhänger hierher? Deine Tante hasst mich. Sie würde nur zu gerne sehen, wie ich zur Strafe meines Versagens vom dunklen Lord zu Tode gefoltert werde." Resigniert legte ich die Stirn an seine Brust und schloss die Augen. "Nimm es hin."
"Wir müssen es nur vorher schaffen." Fest schlang Draco beide Arme um mich und legte sein Kinn auf meinen Scheitel. "Es ist möglich, es muss einfach möglich sein."
Ich verzichtete darauf, ihn über meine Vermutung in Kenntnis zu setzen, die ich schon seit jenem Abend in Spinner's End hegte. Beide unserer Aufgaben waren eine Art Strafe. Langsame Folter für unsere Eltern, die sich seinen Befehlen widersetzt oder, wie in Lucius Fall, versagt hatten. Mit unserem Versagen würden wir ihm den perfekten Vorwand liefern, uns zu bestrafen.
Während ich mich etwas fester an meinen Verlobten klammerte, dachte ich an meinen Bruder. Wenn ich versagte, würde er nie von meiner Existenz erfahren. Und wenn ich wider Erwarten doch Erfolg haben sollte, würde er mich bis ans Ende meiner Tage hassen. Ich wusste nicht, was besser war.
"Nun komm", flüsterte ich und machte mich von Draco los. "Wir können ja wenigstens mal in der Verbotenen Abteilung stöbern. Aber bitte versprich mir, dass du nichts ohne mein Wissen unternimmst. Ich brauche keinen Schutz."
Zur Antwort hauchte er mir schlicht einen kleinen Kuss auf die Stirn, bevor er den Wandbehang zur Seite schlug. Es war keine Antwort, aber immerhin besser als nichts.
DU LIEST GERADE
Unknown Potter II - Hidden in the Dark
FanfictionCaitlyn hat endlich die Wahrheit erfahren. Auch wenn sie erkennen muss, dass diese sie in schreckliche Gefahr bringt. Ihr Vater ist gar nicht ihr Vater und ihr Bruder ist nicht tot, sondern kämpft tagtäglich um sein Überleben, jetzt, da der dunkle L...