5 | 12. Kapitel

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Wie versprochen wartete mein Freund vor den Umkleiden auf mich. Sein Haar hing ihm wirr in die Stirn und wirkte durch seinen slytheringrünen Pullover noch heller, als es ohnehin schon war. Für einen Augenblick nahm ich mir die Zeit, ihn zu mustern, während er, die Stirn gerunzelt, mit seiner Fußspitze Muster in die Erde zeichnete. Worüber er wohl nachdachte? War er sich seiner Schwäche in mir wohl ebenso bewusst, wie ich es mir in ihm war? 

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Vielleicht würde es ja nie zum Äußersten kommen, vielleicht würde ich nie gezwungen sein, dem Mörder meiner leiblichen Eltern von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen? Mir war klar, wie abwegig und absurd meine Überlegungen waren, allerdings würde ich den Teufel tun, dieses Flämmchen der Hoffnung zu ersticken. Denn wenn es eins war, was einen in den drohenden Zeiten aufrecht würde halten können, dann war es der Silberstreif am Horizont, der uns Besserung in Aussicht stellte. 

Heftiger als nötig ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Sofort schoss der Kopf des jungen Malfoy hoch und seine grauen Augen fixierten mich, doch seine Miene blieb ausdruckslos. Nicht die Spur eines Lächelns, weder auf seinem, noch auf meinem Gesicht. Die Tasche mit meinen Sportsachen über die Schulter gehängt, nickte ich ihm knapp zu, dann machte ich mich stumm auf den Weg zur Eulerei. Es dauerte nicht lange, bis Draco neben mir war und eine Weile lang schwiegen wir, die Luft nur erfüllt von dem gleichmäßigen Geräusch unserer Schritte.

Als wir etwa die Hälfte der Strecke hinter uns hatten und der Weg allmählich anstieg, strich ich mir seufzend eine Strähne meines roten Haars hinters Ohr. Umgehend spürte ich seinen intensiven Blick von der Seite auf mir lasten. Ich konnte nur ahnen, dass er sich Sorgen machte. "Spuck es schon aus, Malfoy", fauchte ich deutlich heftiger als nötig und gleich tat es mir leid. Diese Behandlung hatte er definitiv nicht verdient und doch brachte ich im Moment nicht die Kraft auf, diesen Fehler meinerseits laut einzugestehen. Daher schwieg ich.

"Wir haben in den vergangenen vier Jahren so viel hier erlebt ..." Skeptisch wandte ich den Kopf und sah ihn an. Hatte sich da auf seinen Lippen tatsächlich ein melancholisches Lächeln gezeigt? War seine Stimme gar verträumt gewesen?  Noch immer setzten wir unseren Weg fort, jetzt achtete ich jedoch mehr auf unsere Umgebung, ließ meinen Blick genauso wie er über die abfallenden Wiesen, über die Peitschende Weide, bis hin zum Waldrand wandern.

Der frische Herbstwind war in der Zwischenzeit erneut zu einer leichten Brise abgeflaut. Sanft strich er über die grünen Grashalme, wirbelte den Staub vor uns auf dem Weg auf und kündete doch bereits vom nahen Winter, der hier in Schottland bekanntlich etwas früher einbrach.

"Weißt du noch im ersten Jahr unsere Flugstunden? Du hättest mich beinahe vom Besen geworfen, als ich Longbottom sein Erinnermich geklaut habe. Das war das erste Mal, dass ich dich wirklich wahrgenommen habe. Nach deiner Abfuhr im Zug habe ich dich nur für eine dieser Blutsverräterinnen gehalten – zu hundert Prozent Gryffindor und zu stur um zu erkennen, dass es nicht nur schwarz und weiß im Leben gibt. Doch du hast mich eines Besseren gelehrt." 

Ich schnaubte. "Vielleicht hattest du ja gar nicht so unrecht? Das erste Gefühl ist schließlich bekanntlich das Bauchgefühl und somit richtig."

Draco ignorierte mich. Wir waren inzwischen am Fuße der Eulerei angekommen und begannen nun Schritt für Schritt die unebenen, jahrhundertealten Stufen empor zu steigen. "Weißt du, Mary, du hast mir so manches Mal gezeigt, was echte Freundschaft bedeutet. Damals bei der Quidditchweltmeisterschaft wäre ich mir ohne dich wahrscheinlich ziemlich einsam vorgekommen, deinen Bruder zusammen mit den Weasleys zu sehen -

 Er hielt inne und ich wusste, dass sein Blick von Neuem auf mir ruhte. Ich starrte stur geradeaus. Was sollte ich auch dazu sagen? Ich hatte selbst keine Ahnung, was ich von seiner plötzlichen Redseligkeit halten sollte.

"Versteh mich nicht falsch", schnarrte er und lachte hämisch. "Ich wollte unter keinen Umständen mit ihm oder einem der Weasels tauschen, aber er hat echte Freunde. Freunde, die in jeder Situation zu ihm halten. Eigenschaften, die ich bisher nur in wenigen Leuten wiedergefunden habe ..." 

Endlich hatten wir das Ende der Treppe erreicht und traten in den runden, gemauerten Turm hinein. Der Boden war bedeckt mit Stroh und Eulenmist und die Luft war kühl und etwas zugig. Eulen aller Art saßen auf Stangen, die bis weit hinauf unter dem Dach angebracht waren, den Kopf unter die Flügel gesteckt oder neugierig zu uns hinunterstarrend. Nicht nur die Vögel der Schüler fanden sich hier. Auf einer der etwas höher gelegenen Sitzstangen entdeckte ich Acribeth, den schwarzen Steinkauz meines Vaters, der offenbar gerade dabei war, eine Maus zu vertilgen. Er mochte mich nicht sonderlich und war sowieso recht eigen, daher wunderte es mich nicht, dass er mir nicht mehr als einen kurzen Blick schenkte.

Hedwig, die Eule meines Bruders, konnte ich nicht finden, dafür kam just in diesem Augenblick Felyx hereingeflattert und ließ sich auf meinem ausgestreckten Arm nieder. "Ihr beide kennt euch?", fragte ich, um das peinliche Schweigen zu durchbrechen und sah hinüber zu Draco, auf dessen Schulter ebenfalls eine Eule gelandet war. Ich hatte diese Adlereule schon das ein oder andere Mal gesehen, meinen Freund allerdings nie nach deren Namen gefragt.

Da er keine Anstalten machte, auf meine Aussage zu reagieren, sondern dabei war, den Brief in seiner Hand zu lesen, trat ich zusammen mit Felyx an eines der Fenster, von dem aus man Hagrids Hütte und den verbotenen Wald sehen konnte. Mit einer Hand war es recht schwer, nach dem Brief an Sirius in meiner Tasche zu kramen, doch schlussendlich gelang es mir. Triumphierend zog ich ihn hervor und hielt ihn meiner Eule hin, die ihn brav in den Schnabel nahm. Leise, ich wusste nicht, wie gut Dracos Ohren waren, sagte ich zu ihr: "Bring den nach London. Du weißt, an wen du ihn überbringen musst."

Felyx blinzelte mir einmal kurz zu, dann breitete sie ihre braun gefiederten Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Es dauerte nicht lange, dann war sie nichts mehr weiter als ein dunkler Punkt vor dem sich langsam orange färbenden Himmel. "An wen war der Brief?" Erschrocken zuckte ich zusammen, entspannte mich jedoch sogleich wieder, war es doch schließlich nur Draco. Merlin, ich war wirklich unnormal paranoid geworden. 

"An einen alten Freund meiner Eltern", raunte ich, ehe ich meine Tasche wieder vom Boden aufhob und das Stroh von ihr abklopfte. "Von wem war deiner?"

"Lass uns gehen", schnarrte er. Offensichtlicher konnte er meiner Frage nicht ausweichen, doch ich fragte nicht nach. Es war ein erster Schritt, mich wieder ein wenig von ihm abzuschotten, ein klein wenig meiner alten Unabhängigkeit zurückzuerlangen und meine Schwäche in ihm ein wenig zu reduzieren. Er würde schon seine Gründe gehabt haben, den Inhalt des Briefes zu verschweigen, auch wenn ich, seiner selbstzufriedenen Miene nach zu schließen, noch davon erfahren würde.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt