6 | 8. Kapitel

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"Wieso sieht Pansy aus, als wolle sie dir jeden Moment die Augen auskratzen?", fragte Noreen beim Festessen in der großen Halle arglos, während sie sich reichlich Pudding auftat.

Ich schenkte der genannten nur einen abschätzigen Blick. "Mag wohl an dem hier liegen." Beiläufig hob ich die Hand und offenbarte ihr den Ring, bevor ich mit gerunzelter Stirn wieder zum Lehrertisch hinaufsah. Severus Snape saß nicht an seinem angestammten Platz. War er womöglich im Auftrag des dunklen Lords unterwegs? Oder spielte er wieder einmal Dumbledores Schoßhund? Mein linker Arm prickelte. Wie es sich wohl anfühlte, wenn der dunkle Lord uns zu sich rief?

Das plötzliche Aufkreischen neben mir, riss mich ziemlich unsanft aus meinen Überlegungen. War es schließlich etwas, womit ich nun eher weniger gerechnet hätte, schließlich war Noreen sonst von der stillen Fraktion. Doch sehr zu meiner Erleichterung drehte sich nicht die halbe Halle zu uns beiden um, da just in diesem Augenblick die großen Flügeltüren aufschwangen. "Was? Draco hat dir einen Antrag gemacht?", sagte sie, für meinen Geschmack noch immer viel zu laut, doch nickte ich zur Antwort bloß.

Wie alle anderen verrenkte ich mir den Hals, um irgendwie über die Bänke hinweg die Ursache für den Tumult zu erkennen. Als ich ihn zu fassen bekam, sprang mir vor Schreck beinahe das Herz aus der Brust. "Harry", hauchte ich und griff nach dem nächstbesten Gegenstand in meiner Reichweite, was dummerweise die Schneide eines Brotmessers war.

Fluchend sah ich hinunter auf meine Handfläche, blutig wie das Gesicht meines Bruders. Ich war nicht dumm. Deshalb hatte Draco mich gebeten, schon einmal vorzugehen. Wütend ballte ich meine Hand zur Faust und warf meinem Verlobten über den Tisch hinweg aus zusammengekniffenen Augen einen finsteren Blick zu. Das entstandene Brennen des Schnitts erdet mich ein wenig, brachte mich wieder zur Vernunft, wenngleich der Schmerz gegen mein gestriges Erlebnis ein angenehmes Prickeln war.

Tief durchatmend sah ich zu, wie Harry von seinen Freunden in Empfang genommen wurde. Ich verbot mir den Gedanken daran, dass ich niemals wieder würde bei ihnen sitzen können, wie anders alles hätte werden können, wenn ich damals nach Gryffindor gekommen wäre. 

Seufzend wollte ich noch einen Schluck meines Kürbissaftes nehmen, als der Schulleiter an der Kopfseite der Halle aufstand und breit lächelnd die Arme ausbreitete. Gleichzeitig verschwand alles von den Tischen. "Den schönsten aller Abende wünsche ich euch!"

Ein Raunen ging durch den Raum. Nicht nur mir war seine schwarze und verkohlte Hand aufgefallen. Erneut stellte ich Blickkontakt zu Draco her, dessen graue Augen umwölkt schienen, doch auch ihm war das scheinst abgestorbene Gliedmaß aufgefallen. 

Dumbledore lächelte nur still und schüttelte den violett-goldenen Ärmel über seine Verletzung. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mein Ziehvater durch die Tür hinter dem Lehrertisch an seinen Platz huschte, sein finsterer Blick auf den Schulleiter entging mir nicht. 

"Kein Grund zur Sorge", sagte er leichthin. Seine stechend blauen Augen glitten über uns hinweg, für einen Augenblick schien er mich fest zu fixieren. Unbehaglich krampfte ich meine Faust fester. "Nun ... An unsere neuen Schüler – willkommen! An unsere alten Schüler – willkommen zurück! Ein weiteres Jahr, ganz der magischen Ausbildung gewidmet, erwartet euch..."

Missmutig stützte ich meinen Kopf ab und betrachtete die glänzende Maserung des Tisches. Wie zum Teufel sollte ich die Aufgabe des dunklen Lords bewerkstelligen? Wenn ich erwischt würde ... Im Prinzip wollte ich über einen solchen Fall gar nicht erst nachdenken.  

Nachdenklich massierte ich durch den Pulli hindurch das dunkle Mal, horchte jedoch auf, als immer wieder das Wort "Zaubertränke?" durch den Raum hallte. Am Lehrertisch war der neue Lehrer aufgestanden, dessen kahler Kopf im Kerzenlicht glänzte, während sich die Knöpfe seines Umhangs bedenklich über seinem dicken Bauch spannten.

"Professor Snape indes", sagte Dumbledore, die Stimme hebend, um das Gemurmel zu übertönen, "wird der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste."

"Nein." Es war keine Überraschung, dass dieser Ausruf von meinem Bruder kam. Obgleich ich ebenfalls stumm das Gleiche gedacht hatte. 

Wieso hatte mein Ziehvater nichts sagen können? Ich hatte Zaubertränke abgewählt, angesichts meines doch eher mittelmäßigen ZAG-Ergebnisses und mich stattdessen lieber für ein vertiefendes Studium in Verteidigung gegen die dunklen Künste entschieden. Ob das wirklich klug war, war eine andere Frage, allerdings hatte Severus Snape mir in seinem Fach genug gelehrt, damit ich problemlos mehrere Gifte identifizieren und sogar den ein oder anderen nützlichen Trank herstellen konnte. Denn egal wie sehr ich Umbridge auch verabscheut hatte, in einem Punkt gab ich ihr recht: Wer brauchte schon den Stärkungstrank?

Mein Vater stand nicht auf, als sein Name erwähnt wurde, sondern hob nur eine Hand, um lässig den Beifall von meinem Haustisch zu quittieren. Ich klatschte nur halbherzig in die Hände und war wohl eine der ersten, die sich mit geheucheltem Interesse wieder Dumbledore zuwandte, der sich räusperte.

Das Stimmengewirr in der Halle erstarb nur langsam, zu entsetzt waren die meisten über diese neue Änderung im Kollegium. Doch selbst als nur noch vereinzelt Leute redeten, schwieg der Schulleiter, sicherte sich so die Aufmerksamkeit aller. Und als er zu sprechen anfing, wäre ich am liebsten unter den Tisch gekrochen, um mich vor aller Augen zu verstecken. "Nun, wie alle in dieser Halle wissen, sind Lord Voldemort und seine Anhänger erneut auf freiem Fuß und gewinnen immer mehr Macht."

Die Stille wurde drückend und angespannt, während er sprach. Mir war klar, dass es bloß Einbildung war, dennoch hatte ich den Eindruck, sämtliche Augen auf mir zu spüren. Wenigstens im Falle meines Bruders traf das auch zu, wenn er auch meinen Verlobten fixierte, der teilnahmslos ins Leere starrte.

"Ich kann nicht nachdrücklich genug betonen, wie gefährlich die gegenwärtige Lage ist und wie sehr sich jeder von uns in Hogwarts darum bemühen muss, alles dafür zu tun, dass wir sicher bleiben. Die magischen Befestigungsanlagen des Schlosses wurden den Sommer über verstärkt, wir sind durch moderne und noch wirkungsvollere Mittel geschützt, und dennoch müssen wir uns gewissenhaft vor möglicher Fahrlässigkeit eines jeden Schülers oder Mitglieds des Kollegiums in Acht nehmen. Ich bitte euch deshalb dringend, jegliche Einschränkung aus Sicherheitsgründen zu beachten, die eure Lehrer euch möglicherweise auferlegen, egal wie lästig ihr sie auch finden mögt – insbesondere die Regel, dass ihr während der Nachtruhe außerhalb eurer Betten nichts zu suchen habt. Ich bitte euch inständig, falls ihr etwas Merkwürdiges oder Verdächtiges innerhalb oder außerhalb des Schlosses bemerken solltet, meldet dies sofort einem Mitglied des Kollegiums. Ich vertraue darauf, dass ihr euch zu jedem Zeitpunkt mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf eure eigene Sicherheit und die aller anderen verhaltet."

Dumbledores blaue Augen glitten über uns hinweg und erneut konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mich einen Moment länger ansah. Mir blieb nur zu beten, dass mein Ziehvater nicht wusste, was wirklich mein Auftrag war, denn wenn doch, wusste auch der Mann mit den halbmondförmigen Brillengläsern längst Bescheid.

"Doch nun warten eure Betten auf euch, so warm und bequem, wie ihr es euch nur wünschen könnt, und ich weiß, dass euch nichts so wichtig ist, wie gut ausgeruht zu sein für den morgigen Unterricht. Deshalb sagen wir gute Nacht. Tschau, tschau!"

Das übliche Bänkerücken setzte ein und auch ich stand auf. Nachdenklich sah ich noch ein letztes Mal hinauf zum Lehrertisch, musterte Dumbledore, wie er sich mit Professor McGonagall unterhielt, dann wandte ich den Blick ab. Es brachte nichts, darüber nachzugrübeln.

Was geschehen musste, musste geschehen.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt