5 | 37. Kapitel

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Ausnahmsweise reagierte ich sofort. Mit aller Wucht, die ich aufbringen konnte, rammte ich Rodolphus Lestrange meinen Ellenbogen in die Magengegend. Den kleinen Augenblick, in dem er zu überrumpelt war, um zu reagieren, nutzte ich aus. Ich wartete nicht darauf, dass mir jemand zur Hilfe kam, sondern brachte möglichst schnell ein zwei Meter Abstand zwischen mich und den Zauberer. Dann wirbelte ich herum.

Unten am Podium sah ich Tonks entlang stürmen. Sie hatte Ginny und Hermine im Schlepptau und war ganz offensichtlich dazu abgestellt, uns alle einzusammeln und hier herauszubringen. Wild gestikulierte sie in meine Richtung und mir war klar, dass ich ihr wohl am besten folgen sollte. Ich zögerte.

Aus dem Augenwinkel sah ich einen Lichtblitz auf mich zurasen. Er kam zu plötzlich, als dass mir die Möglichkeit bliebe ihn abzulenken oder gar auszuweichen. So schnell würde der Kampf also heute für mich enden. In Gedanken kam ich nicht umhin mir Zauber aufzuzählen, die hinter dieser roten Farbe stecken konnten. Ein Schockzauber wäre dabei noch relativ harmlos.

Schließlich trennten mich nur noch Sekundenbruchteile von der Erkenntnis, worum es sich tatsächlich handelte, da wurde er abgelenkt. Überrascht riss ich den Kopf herum. Das flüchtige Nicken meines Bruders war Antwort genug, ehe er sich wieder seinem Kampf mit Lucius Malfoy zuwandte. 

Den nächsten Zauber konnte ich mühelos abwehren. Tief durchatmend hob ich den Kopf. "Es war nicht sehr nett, mir den Zauberstab so in den Hals zu bohren, Mr. Lestrange", sagte ich laut. Um Zeit zu gewinnen, mich selbst auf die Geschehnisse zu fokussieren oder um ihn einfach ein wenig zu ärgern, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich wütend war. Wütend auf meinen Freund, der mich ohne mein Wissen zu seiner Zukünftigen ernannt hatte; wütend auf meinen Ziehvater, der mich ein weiteres Mal angelogen hatte; wütend auf die Todesser, den dunklen Lord, die uns hier in eine Falle gelockt hatten – wütend auf mich ...

In einer schnellen Abfolge schickte ich Zauber los, richtete sie alle gegen den Mann Bellatrix'. Mir war es egal, was sie anrichteten. Am liebsten würde ich ihn hier und jetzt bis zur Unkenntlichkeit verhexen, damit er schön wieder nach Askaban gekarrt werden konnte. Dort könnten dann die Dementoren nach Belieben mit ihm verfahren.

"Komm jetzt, Caitlyn", brüllte Hermine. Sie klang ungeduldig, doch längst nicht mehr so panisch wie vor dem Auftauchen der Ordensleute. 

Ich ignorierte sie. Bevor ich floh, wollte ich diesem Mistkerl das arrogante Grinsen aus dem Gesicht fegen. Wäre er nicht so verdammt flink. Eine Fähigkeit, die irgendwie nicht zu dem großen Mann passen wollte. War der Boden hier etwa uneben?

Stolpernd gelang es mir nur im letzten Augenblick, mich wieder zu fangen. Ich riss den Zauberstab hoch, wehrte drei rasch hintereinander kommende Zauber ab. Sofort schickte ich den nächsten zurück.

"Gut gemacht, James", selbst über all das Getümmel konnte ich Sirius' Stimme zweifelsfrei zuordnen. Er kämpfte an Harrys Seite. Solange er da war, konnte meinem Bruder nichts geschehen. Ich lächelte und stürzte mich noch entschlossener ins Gefecht als zuvor.

Zu Rodolphus hatte sich ein weiterer Todesser gesellt. Die dunkle Maske und seine Kapuze verbargen ihn gut, daher hatte ich keine Idee, mit wem ich es zu tun hatte. Sie zwangen mich immer weiter in die Defensive. Lange würde ich dieses Tempo wahrscheinlich nicht mehr durchhalten.

Die Luft war erfüllt von knisternder Magie. Sie entlud sich an den erschaffenen Schilden, schlug gegen den großen Torbogen oder rauschte hin und wieder auch direkt in einen Zauberer hinein. Die kleinen Lichtexplosionen irritierten, es war schwer zu unterscheiden, von wo wirklich Zauber kamen, die gegen mich gerichtet waren. Außerdem roch es verbrannt. Ob das normal war? Zauber wurden gebrüllt. Schreie erfüllten die Luft. Insbesondere wurde immer wieder ein bestimmter Name gerufen.

Die Atmosphäre im Raum schien sich zu verändern. "Dumbledore", flüsterte ich. 

Direkt über uns, im Türrahmen zu einem der angrenzenden Räume, stand Albus Dumbledore mit erhobenem Zauberstab, das Gesicht weiß und zornig. Ich mochte von dem Mann halten, was ich wollte, aber jetzt wo er hier war, konnte doch eigentlich nichts mehr schiefgehen. Wir waren gerettet!

Nach und nach ging eine Veränderung durch die anwesenden Todesser. Die Nachricht schien anzukommen, dann kam er, der Stimmungsumschwung. Nicht mehr wir waren es, die Angst hatten. Die Bewegungen des dazugekommenen Todessers wurden abgehackter und ich war mir ziemlich sicher, ohne seine Maske hätte aus seiner Miene blanke Panik gesprochen.

Mit zwei zielgerichteten Zaubern gelang es mir, ihn erst zu entwaffnen und dann ins Land der Träume zu schicken. Triumphierend grinste ich, wandte meine volle Aufmerksamkeit nun erneut Rodolphus Lestrange zu.

Wir waren eines der zwei Paare, die noch kämpften. Scheinbar war der alte Lestrange deutlich pflichtversessener als er zugeben wollte. Am Rande meines Blickfeldes konnte ich sehen, wie Sirius einem roten Lichtblitz auswich. Übermütig lachte er. Harry war nirgends zu sehen. "Komm schon, du kannst es doch besser!", rief der ehemals beste Freund meines Vaters höhnisch, seine Stimme hallte in dem hohen Raum wieder.

Ich wusste, wie töricht ein solches Verhalten war, gerade da ich bei meiner nächsten Drehung auch seinen Gegner erspähte. Besser gesagt seine Gegnerin. Der wilde Ausdruck im ausgemergelten Gesicht von Bellatrix Lestrange war unverkennbar. Hoffentlich wusste Sirius, was er da tat, war sich im Klaren darüber, bis zu welchem Punkt er seine Cousine reizen durfte.

Mit der Gewissheit, dass er schon klarkäme, schleuderte ich den nächsten Fluch auf meinen eigenen Kontrahenten, sah zu, wie er ihn beinahe mühelos abblockte und feuerte gleich noch einen weiteren hinterher.

Plötzlich erklang ein Schrei. Ein so vertrauter Schrei, dass mir das Blut in den Adern gefror. Mit einem peitschenden Schwenk meines Zauberstabs schaffte ich es, Rodolphus quer durch den Raum zu befördern, dann wirbelte ich auf dem Absatz herum. Der Ruf war von meinem Bruder gekommen.

Der zweite Lichtblitz hatte Sirius direkt in die Brust getroffen. Das Lachen auf seinem Gesicht noch nicht ganz verloschen, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen.

Hastige Schritte von Harry, der die Stufen zum Podium von Neuem hinauf stürmte. Neville, den er bis dahin gestützt hatte, ließ es einfach fallen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Sirius stürzte. In einem anmutigen Bogen schwang sich sein Körper herum, ich hatte beinahe den Eindruck, als fixierten sich seine leeren blicklosen Augen noch ein letztes Mal auf Harry, dann auf mich. Beschütze ihn, was immer es kostet. Eine einzelne, stille Träne rann mir die Wange hinab. Rücklings fiel er durch den zerschlissenen Schleier, der von dem Steinbogen herabhing.

Einen Moment lang flatterte dieser wie in einem steifen Luftzug, dann kam er wieder zur Ruhe. Bellatrix lachte triumphierend. Grotesk hallte es in meinen Ohren wider, ich konnte mich jedoch nicht dazu überwinden, den Blick von diesem hohen Torbogen abzuwenden. Vielleicht, wenn man nur lang genug hinsah, würde er einfach auf der anderen Seite wieder heraustreten. Sirius würde lachen, sich über unsere entsetzten Gesichter amüsieren und zu einem nicht existenten James an seiner Seite sagen, wie gut ihnen dieser Scherz wieder gelungen war. 

Aber er tauchte nicht wieder auf. Eine zweite Träne rann mir die Wange hinunter.

"SIRIUS!", rief mein Bruder. "SIRIUS!"

Er war tot. Ich unterdrückte ein Schniefen, wandte mich zu Harry um. In sein Gesicht stand all das geschrieben, was ich mir nicht erlaubte zu fühlen. Unglaube, Wut und Schmerz. Solch abgrundtiefer Schmerz darüber, dass er soeben seine Vaterfigur verloren hatte. Gerade als er losspurten wollte, schlang Lupin ihm einen Arm um die Brust und hielt ihn zurück.

"Du kannst nichts mehr tun – Nichts mehr, Harry ... nichts ... er ist fort."

Das Gesicht Lupins, gefüllt mit Bitterkeit und Trauer, verschwamm vor meinen Augen, als mich etwas in den Rücken traf. Ich stolperte nach vorne, ehe meine Knie einknickten. Das Letzte, woran ich dachte, war Sirius.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt