6 | 32. Kapitel

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Es fühlte sich seltsam an, durch die dunklen Gänge zu rennen und dabei herumliegenden Körpern und Flüchen auszuweichen. Noch immer hallten die Worte meines Vaters in meinen Ohren wieder: "Raus hier. Schnell."

Wenn Draco nicht gewesen wäre, hätte ich ewig im Licht des dunklen Mals verbracht. Hätte vermutlich dort gestanden und auf die Brüstung gestarrt, bis man mich gefunden und den Dementoren von Askaban übergeben hätte. Doch vermutlich wäre ich dort ohnehin nicht lange geblieben. Insofern ich dem Artikel damals, in dem ich erstmalig über die Geschichte meines Bruders erfahren hatte, für voll nahm, hatte der schwarze Lord bereits einmal die seelensaugenden Wächter auf seine Seite gezogen. Was sprach dagegen, dass es ihm ein zweites Mal gelang?

Von nun an gab es kein Zurück mehr. Die winzige Chance, die es für einen Ausweg gegeben hatte, war verflogen, wie das Licht einer ausgebrannten Kerze erlosch. Ich hatte mich dem Mal auf meinem Unterarm wirklich als würdig erwiesen, war zu genau dem geworden, was einst meine größte Angst gewesen war. Der Irrwicht von damals in der dritten Klasse schien mir im Geiste ins Gesicht zu lachen.

Mein Umhang schlug mir um die Beine, während ich im Eilschritt neben meinem Verlobten herlief, dessen blondes Haar erschreckend hell in dem Chaos um uns herum leuchtete. Der Meister der Zaubertränke lief etwas versetzt vor uns. Ich sah ihn nur von hinten, doch alleine die Art seiner Körperhaltung verriet mir seine Anspannung und Wut.

Weder er noch wir hoben unsere Zauberstäbe, um gelegentliche Angriffe vonseiten der Ordensmitglieder zu stoppen, die ohnehin schon sehr bald mit den anderen Mitgliedern unseres kleinen Trupps im Duell lagen. Als Greyback sich schließlich mit einem widerwärtigen Ausdruck des Vergnügens im Gesicht zurückfallen ließ, sickerte endlich richtig zu mir durch, wofür wir diese Eskorte überhaupt ins Schloss geholt hatten. Ohne sie würden wir es niemals hier herausschaffen.

Die Treppen in der Eingangshalle hinunterlaufend ließ ich eine Hand über das Geländer zu meiner rechten gleiten. Ob ich dieses Schloss jemals wieder betreten durfte? In den Genuss all dieser Gemälde an den Wänden kommen durfte, von denen die meisten der abgebildeten Hexen und Zauberer momentan wild umherrannten. Vermutlich war auch bei ihnen bereits die Nachricht angekommen, dass ihre Sammlung um ein weiteres Stück ergänzt worden war. Dass Albus Dumbledores Portrait nun in den Reihen der ehemaligen Schulleiter von Hogwarts hing.

Ein schrilles Lachen riss mich aus meinen Gedanken, als im nächsten Moment auch schon das große Eichenportal vor unseren Augen aufgesprengt wurde. Splitter und kleinere Holzstücke flogen wie Schrapnelle durch die Luft. Ein weiterer Zauber aus der Spitze von Bellatrix Zauberstab traf das Stundenglas der Gryffindors, in dem normalerweise die Hauspunkte angezeigt wurden. Augenblicklich begannen die glitzernden roten Rubine mit lautem Klirren auf den Steinboden zu fallen und dort wie Blutstropfen zu zerschellen.

Ängstliche Blicke von Schülern, an die Wände gepresst oder verletzt auf dem Boden hockend, folgten unserem kleinen Trupp, als wir an ihnen vorbeiliefen. Es fiel mir schwer, ihnen nicht in die Gesichter zu blicken und die Tränen in ihren Augen zu sehen. Obwohl Bellatrix' Lachen längst zu einem irren Kichern abgeklungen war, hallte mir ihr freudiges Kreischen in den Ohren wider.

Die kalte Nachtluft schnitt mir in die Nase und brannte sich ihren Weg bis hinab in meine Lungen, als ich zittrig einen ersten bewussten Atemzug tat. Ich wagte es nicht, mich umzuschauen. Ein Blick hätte mir nur bestätigt, was ich ohnehin schon wusste. Irgendwo dort, am Fuß des höchsten Turms, musste Dumbledores Leiche bisher noch unentdeckt liegen. Ermordet von einer Schülerin.

Das Gras gab unter unseren Füßen nach und brachte mich an einigen der steileren Stellen zum Rutschen. Aber es war längst nicht so schlimm wie der blutige Steinboden im Inneren des Schlosses. Blaue Augen, die mich über halbmondförmigen Brillengläsern zu mustern schienen, blitzten vor meinen eigenen auf und ich kniff die Lider zusammen.

Ein Blitz vor mir veranlasste mich dazu, sie hastig wieder aufzureißen. Ich stolperte vor Schreck, als ich sah, wen die schwarzhaarige Hexe zu ihrem neuen Opfer auserkoren hatte. Weitere Blitze regneten aus ihrem Zauberstab. Ein Rufen. Dann flogen uns Lichtstrahlen zur Antwort entgegen. Hagrid war aus seiner Hütte gekommen.

Noch immer weigerte ich mich, meinen Zauberstab zu heben. Zwar verlangsamte ich stockend meine Schritte, was es einem der anderen Todesser ermöglichte, an mir vorbeizurennen, allerdings wollte ich nur ungern meinen Stab gegen einen weiteren Menschen wenden, der meinem Bruder so viel bedeutete.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Mir war klar, dass ich mit dieser Einstellung nicht lange überleben würde. Doch momentan war ich mir sicher, dass meine Ablehnung zu kämpfen, im Siegestaumel der anderen Todesser nicht weiter auffallen würde.

Im Licht des Halbmonds, der plötzlich hinter den Wolken auftauchte, erkannte ich, dass die meisten Zauber des blonden Todessers an Hagrid abzuprallen schienen, was er wohl seiner ungeheuren Stärke und der zähen Haut verdankte, die er durch seine Abstammung in die Wiege gelegt bekommen hatte.

In einer Art Trance gefangen beobachtete ich, wie die Hütte des Wildhüters mit einem Knall in Flammen aufging. Heiß und hell schlug das Feuer in den düsteren Nachthimmel und verpestete die Luft mit dem Geruch nach Verbranntem. "Da ist Fang drin', ihr verdammten ...", brüllte Hagrid und stürzte sich zurück in die Flammen, was Bellatrix nichts weiter als einen abermaligen Jubelschrei entlockte. Ich hatte den Eindruck, die Laune würde ihr heute so schnell nichts mehr verhageln können.

"Stupor!"

Ein roter Lichtblitz zischte an mir vorbei. Mein Blut gefror mir in den Adern. Nicht er.

Mitten im Laufen hielt ich inne. Meine Muskeln waren erstarrt. Obwohl mein Vater uns ein "Lauft" zubrüllte, gelang es meinem Gehirn nicht, die Anweisung weiterzugeben. Draco verharrte etwa zwei Meter von mir entfernt, als er meine Abwesenheit bemerkte. Seine grauen Augen spiegelten das grüne Licht des Schädels wider, der uns zusätzlich zum Licht des Mondes unseren Weg leuchtete. Seine Züge wurden durch das flackernde Licht der brennenden Hütte erhellt.

Wir waren beinahe an der Grenze des Schlossgeländes angelangt. Nur noch etwa zweihundert Meter trennten uns von dem Tor, hinter dem wir endlich apparieren konnten. Zweihundert Meter von dem Ort, an dem mich Lupin schwer verletzt nach meinem ersten persönlichen Aufeinandertreffen mit dem schwarzen Lord aufgefunden hatte.

Nur noch zweihundert Meter, bis ich mich wenigstens für den Moment in Sicherheit wägen konnte und dennoch wandte ich mich um.

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt