5 | 43. Kapitel

2.6K 171 29
                                    

Ich hatte keine Lust auf das Festessen. Irgendwann gegen Mittag hatte ich mich auf mein großes Himmelbett geworfen und war seitdem nur noch einmal aufgestanden, um meinen Koffer zu schließen. Noreen hatte versucht mich zu motivieren, hatte mir mehrfach die Decke weggezogen, doch ich hatte mich nur auf die andere Seite gedreht und die Hand unter mein Kopfkissen gesteckt, wo das Täschchen ruhte. Nach wie vor fiel es mir schwer zu glauben, dass mein Haselstab unwiderruflich zerbrochen war. Der Verlust tat weh. 

Fast noch schlimmer fand ich das drohende Ende dieses Schuljahres. Bis jetzt hatte ich mich immer auf meine Ferien gefreut, doch alleine bei dem Gedanken daran ...

Entnervt setzte ich mich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Der Steinboden war kalt, selbst durch meine dicken Socken, und ich beeilte mich in ein Paar Schuhe zu schlüpfen. Etwas frische Luft würde mir guttun. Das ungewöhnlich helle Licht, welches durch das Seewasser in den Schlafsaal fiel, kündete von strahlendem Sonnenschein draußen auf den Ländereien. Es würde mir bestimmt gelingen, ungehindert hinauszukommen.

Zügig durchquerte ich den Gemeinschaftsraum, hielt jedoch inne, als ich den aktuellen Tagespropheten auf einem der Tische vor dem Kamin liegen sah. Auf einem großen beweglichen Bild starrte mir Cornelius Fudge, der Zaubereiminister, ungewohnt finster entgegen. Direkt über ihm verkündete der Prophet in großen schwarzen Lettern: ER, DESSEN NAME NICHT GENANNT WERDEN DARF, KEHRT ZURÜCK.

Die Stirn gerunzelt trat ich näher und langte nach der Zeitung. "Zaubereiminister Cornelius Fudge hat Freitagnacht in einer kurzen Stellungnahme bestätigt, dass Er, dessen Name nicht genannt werden darf, in unser Land zurückgekehrt und wieder aktiv ist", las ich leise vor. "Ach nee ..." Angesichts der Hohlheit des Ministeriums gelang mir nicht einmal mehr ein Kopfschütteln. Wenn wir nur von ihnen abhängig waren, könnten wir genauso gut gleich die Fahnen strecken. Es machte in diesem Fall keinen Unterschied mehr. Ich warf den Propheten ins Feuer und betrachtete noch einen Moment lang, wie das Papier sich mehr und mehr zusammenzog, die Schrift verschwimmen ließ. Dann verließ ich den Gemeinschaftsraum.

Die Korridore lagen still und verlassen da, wurden wie üblich nur von den flackernden Flammen der Fackeln an der Wand erhellt. Kurz zog ich einen Gang zum Büro des Zaubertrankmeisters in Betracht, beschloss entgegen dieser Überlegungen jedoch, die linke Abzweigung zu nehmen. Den Weg, der hinauf zur Eingangshalle führte. 

Nur zu genau erinnerte ich mich noch an mein erstes Jahr und daran, wie oft ich mich damals hier unten verlaufen hatte. Jetzt kannte ich freilich beinahe jeden verborgenen Winkel hier unten. Vermutlich könnte ich meinen Weg selbst im Schlaf durch die Kerker finden. So wunderte es mich auch nicht, als ich mich wenige Minuten später vor einem der Wandbehänge wiederfand, der eine gute Möglichkeit zur Abkürzung hinauf auf den Astronomieturm bot. Meine Füße hatten mich automatisch hierhergetragen.

Doch ich zögerte. Aus einem der nächstliegenden Räume drangen Stimmen. Zaghaft schlich ich näher, die Tatsache ignorierend, dass ich früher so gut wie immer beim Lauschen erwischt worden war. Einmal sogar vom dunklen Lord persönlich. Was ich hörte brach mir beinahe das Herz. Es war Harry, der in eindringlichem Ton sagte: "Also sind Sie zurückgekehrt, ja? Leute können zurückkehren, oder? Als Geister. Sie müssen nicht vollständig verschwinden. Oder?"

Für kurze Zeit blieb es still, ehe eine zweite Person antwortete. "Nicht jeder kann als Geist zurückkehren." Täuschte ich mich oder gehörte die Stimme zu Gryffindors Hausgeist, dem fast kopflosen Nick?

"Was soll das heißen?", hakte mein Bruder rasch nach und ich schloss die Augen. Erschöpft und traurig lehnte ich den Kopf gegen die Wand. 

"Nur ... nur Zauberer und Hexen."

"Oh ..." Die Erleichterung in seiner Stimme war unüberhörbar und verschaffte mir ein nur noch schlechteres Gefühl. "Nun, das ist schon in Ordnung, derjenige, wegen dem ich frage, ist ein Zauberer. Also kann er zurückkommen, ja?"

Hektisch atmend versuchte ich gegen das verdächtige Kribbeln in meiner Nase anzukommen. Nicht, dass ich es nicht gewusst hatte. Natürlich würde er nach jedem Strohhalm greifen, in der Hoffnung, Sirius noch einmal wiederzusehen. Auch wenn sich die Sachlage nicht leugnen ließ. Ich verbot mir die Tränen.

"Er wird nicht zurückkommen."

"Wer?"

"Sirius Black", sagte Nick just in dem Moment, als ich hinter mir Schritte hörte. 

Hastig wisch ich in den Korridor hinter mir zurück, wischte mir unter den Augen entlang, um auch ganz sicherzugehen, dass sich nicht doch eine einzelne Träne aus meinen Augen gestohlen hatte. Meine Finger blieben trocken.

Die Schritte verstummten abrupt, als Ron und Hermine an der Biegung verharrten und mich anstarrten. Hermines Augen weiteten sich vor Schreck. "Deine Wange, Cat. Oh, bei Merlins Bart. Wer hat dir das angetan?" Sie klang mitleidig, machte trotz allem keine Anstalten auf mich zuzukommen. Ron sah das offenbar anders. Kaum hatte er seinen Schock überwunden, marschierte er mit schnellen Schritten auf mich zu und zückte im Gehen den Zauberstab.  

"Was wird das, Ronald?", fragte ich spöttisch. Ich weigerte mich kleinbeizugeben. Bewaffnet hin oder her, aber ich würde unter gar keinen Umständen den Kopf vor ihm einziehen. Schließlich hatte ich es auch geschafft dem dunklen Lord erhobenen Hauptes entgegenzutreten. Jedenfalls den Großteil der Zeit. Ebenso wie es mein Vater, mein wirklicher Vater getan hatte und wie auch mein Bruder es bereits mehrfach gemacht hatte. Da würde ich vor dem jungen Weasley keine Angst haben. "Oh, hast du etwa Angst bekommen?", schob ich spöttisch hinterher, da er ungefähr einen Meter vor mir verharrte.

"Ich traue dir nicht."

Abwartend hob ich eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. "Soweit ich weiß, hatten wir bereits geklärt, dass das auf Gegenseitigkeit beruht."

"Was machst du hier?", fragte Ron, ging nicht im Mindesten auf meine Aussage ein.

"Ich genieße die Aussicht." Feixend deutete ich hinter mich aus dem Fenster, durch das gerade die ersten rötlichen Sonnenstrahlen des Sonnenuntergangs fielen. Eine laue Brise wehte herein und schob mir meine Haare nach vorne. Lässig strich ich sie weg. "Das Gleiche könnte ich jedoch dich fragen. Oder vielmehr euch." 

Die Fingerknöchel des Rotschopfs verfärbten sich weiß, als er seine Hand fester um den Zauberstab schloss. "Wir suchen Harry. Aber das ist zweitrangig. Ich will eigentlich wissen, wo du warst."

Hinter ihm flüsterte Hermine leise seinen Namen, wurde jedoch von uns beiden ignoriert. Mir war klar, dass die Frage hatte kommen müssen, doch ich würde ihm unter keinen Umständen eine Auskunft darüber geben. "Denkst du wirklich, mit vorgehaltenem Zauberstab würdest du eine Antwort von mir bekommen? Du bist törichter, als ich dachte, Ronald."

Wieder ging er nicht auf meine Aussage ein. Obwohl sich seine Wangen röteten, als wollten sie seinem ohnehin schon flammend rotem Haar Konkurrenz machen. "Zeig mir deinen Arm."

"Bitte was?", hakte ich nach, in der Hoffnung, mich verhört zu haben. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass ich unwillkürlich meinen linken Arm hinter meinem Rücken verbarg. Abwägend kniff ich die Augen zusammen. War er vielleicht schlauer, als ich ihn eingeschätzt hatte?

"Deinen linken Arm will ich sehen."

"Ron." Erneut war es Hermine, die versuchte, ihren besten Freund zur Ordnung zu rufen. Nicht, dass er reagierte. Stattdessen langte er etwas linkisch nach vorne und versuchte sich meinen Unterarm zu packen. 

Bevor ich auch nur Anstalten machen konnte, ihm mein Knie zwischen die Beine zu rammen – was neben meinem momentan nicht existenten Zauberstab, irgendwo die einzig verbleibende Möglichkeit blieb, mich zu verteidigen (bei Dimitri hatte es letztes Jahr ja auch geklappt) – ertönte eine weitere Stimme. Vertraut. "Hermine, wie schön euch zu sehen. Ron, würdest du vielleicht Caitlyn loslassen?"

Unknown Potter II - Hidden in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt