Tatsächlich begann es zum Abend hin noch zu regnen. Einige der Soldaten machten sich daraus einen Spaß und sangen wieder ihr Lied. Die Regen von Castamaer.
In Wendish Town hatte ich mal vor einer Taverne mitverfolgt, wie ein total betrunkener Mann die Geschichte hinter diesem Lied erzählte. Es handelte von der Reyne-Rebellion gegen das Haus Lannister. Lord Tywin Lannister hatte kurzerhand die gesamte Familie Reyne ausgelöscht und niedergebrannt. Ihre Gebeine, so erzählte der Mann weiter, hingen dann für den Rest des Sommers auf den Mauern von Casterlystein, als Warnung für das restliche Gefolge. Wie ihr Lord, so auch die Soldaten, kam es mir in den Sinn und ich verzog das Gesicht, bis es schmerzte.
Es hieß, Lord Tywin lächelte niemals. Wie viel Grausamkeit konnte hinter einem einzigen Mann stecken, fragte ich mich. Eine ganze Familie auf brutalste Art und Weise niederzustrecken und auf den Stadtmauern bloßzustellen, empfand ich nicht wirklich als ehrenhaft. Mir schien, mein Vater hatte mich doch einmal angelogen, als er mir eines Nachts etwas versprach.
"Die Lords von Westeros sind ehrenhaft, Lena. Sei unbesorgt!"
"Werde ich später einmal einen heiraten?", hatte ich mit leuchtenden Augen gefragt, um dann enttäuscht zu werden.
"Bedaure, mein kleiner süßer Rabe, aber ich schätze mal eher nicht. Die Lords und Ladys sind adelig und heiraten einander in ihren unterschiedlichen Familien."
"Aber du und Mama, ihr kommt doch auch aus unterschiedlichen Familien! Was macht das für einen Unterschied?"
"Nun, das... Das wirst du verstehen, wenn du älter bist. Aber ich kann dir versprechen, dass ich dich nur einen Mann heiraten lasse, der dem Titel eines Lords würdig wäre! Einen tapferen, jungen Mann, der dich auf seinen Händen trägt, wohin du willst! Der dich vor allem beschützt, was dir weh tun könnte und sich um dich sorgt!"
Ich werde niemals heiraten, Vater, dachte ich bitter und sah, wie der Regen von meiner Nasenspitze tropfte. Ich werde jetzt in eine verdammte Ruine gehen und mir wahrscheinlich dort den Tod holen... Wenn das nicht schon vorher eines von diesen Monstern hier um mich herum erledigt.
Ich bemerkte nicht Gendry und Arry, die sich neben mir eingefunden hatten.
"Lenn, wir wollten dir noch jemanden vorstellen. Das hier ist heiße Pastete. Heiße Pastete, das ist Lenn."
Ein dicker Junge trat mir entgehen. Er war größer als Arry, jedoch kleiner als Gendry. Er passte perfekt in die Mitte. Über seine rundlichen Wangen stahl sich ein Grinsen. Er schien eine lebensfrohe Persönlichkeit zu sein.
"Freut mich, Lenn", begrüßte er mich mit sanfter Stimme und ich nickte ihm zu.
"Ebenso."
"Er redet nicht viel", hörte ich Gendry murmeln und heiße Pastete - ich wusste nicht, dass man so heißen konnte - nickte verstehend.
"Ist doch auch nicht schlimm", sagte er dann, "Hauptsache, er tötet uns nicht. Dann ist alles gut."
Ich schüttelte nur den Kopf und blickte wieder geradeaus. Ich hatte meines Erachtens genug gesprochen und das schienen die drei zu bemerken. Vielleicht lag es auch an meinen Blicken, ich wusste es nicht. Dass ich nicht gerade bester Laune war, sollte wohl jedem auffallen, der mich sah.
Arry ging mir mit seinem - oder ihrem - stetigen Gestarre schon jetzt sehr auf die Nerven und die altklugen Kommentare machten mir dieses Kind auch nicht sympathischer. Ebenso wenig wie das Geflüstere zu Gendry.
"Der ist komisch. Redet kaum, starrt nur vor sich hin.. Wir sollten vorsichtig sein!"
Ich hatte mir in den Jahren einen starken Geduldsfaden angeeignet, der eigentlich nur sehr selten riss. Aber diese Person schaffte es tatsächlich, dass ich meinen Blick eiskalt auf sie richtete und plötzlich sprach.
"Wenn du meinst, dass du hinter meinem Rücken über mich schwatzen musst, dann mach das gefälligst so leise, dass ich es nicht hören kann! Sonst verfehlt es Sinn und Zweck, findest du nicht?"
Gendry begann zu lachen und Arry sah beleidigt weg. Auch heiße Pastete grinste, bis sich ein Soldat meldete.
"Was gibt's da zu lachen?! Schnauze jetzt und weiter geht's!"
Ich hob plötzlich mein Gesicht zum Himmel und ließ den Regen über meine Wangen rinnen. Das stetige Prasseln der Tropfen auf meiner Haut brachte mich zur Ruhe und das hatte ich schon nach diesem kleinen Ausbruch - wenn man es als solchen sehen konnte - nötig.
Wie sehr ich es gerade vermisste, alleine zu sein! Dann hätte ich mich nicht für mein Schweigen und meine Gesichtsausdrücke rechtfertigen müssen!
Meine Beine waren todmüde vom vielen Laufen und diese ganzen roten Rüstungen um mich herum schürten meinen Hass. Ich träumte von einem Schwert, mit dem ich sie alle einzeln ermorden könnte. Ein Schwert, für das ich keine Kampfkunst beherrschen musste. Ein Schwert, welches auf mein Kommando sein Ziel niemals verfehlte. Aber so etwas würde ich niemals besitzen, deshalb verwarf ich diesen Gedanken nach einer Weile.
"Lenn? Denkst du nach?"
Langsam sah ich auf - direkt in Heiße Pastetes sanfte dunkle Augen. Ich nickte nur und sah wieder geradeaus.
"Erzählst du mir, worüber du nachdenkst?", fragte er weiter und ich seufzte leise.
"Wer will das wissen?"
"Nun ja ... ich. Sonst würde ich ja nicht fragen!"
Er grinste verlegen und ich beugte mich vorsichtig etwas in seine Richtung. Dann senkte ich die Stimme, um nicht die Aufmerksamkeit der Soldaten auf mich zu ziehen.
"Ich habe mir ein Schwert vorgestellt, für das ich nicht kämpfen lernen muss. Ich gebe ihm Befehle und es führt sich von selbst. Damit könnte ich dann meine Feinde zerschlagen, einfach so."
Ich schnipste kurz mit dem Fingern und sah dem Jungen direkt in die Augen. Er wich etwas zurück, schien zu überlegen, was er erwidern sollte.
"Hast du viele Feinde, Lenn?"
"Ich sehe viele als meine Feinde", erklärte ich und er nickte. Dabei beließ ich es und war froh, dass er nun von sich erzählte.
"Ich dachte gerade über eine besondere Pastete nach, musst du wissen! Mit gebratenen Zwiebeln und geräuchertem Speck! Ich sehe sie richtig vor mir, wenn ich die Augen schließe! Dampfend und so geruchsintensiv! Ich träume davon, sie selbst einmal backen zu können!"
Mir war es seit jeher lieber, wenn andere sprachen. Dann fiel es nicht auf, wenn ich gedanklich schon ganz woanders war.
Meinen Bruder hatte ich damit immer sehr gut ärgern können, erinnerte ich mich schmunzelnd. Er erzählte mir das blaue vom Himmel, während ich nur abwesend nickte und keine Ahnung hatte, wovon er sprach.
"Lena, hörst du mir zu?"
"Natürlich, natürlich..."
"Tust du gar nicht! Was habe ich denn eben gesagt?"
Damit hatte er mich entlarvt und ich gab mich grinsend geschlagen. Es trieb ihn zur Weißglut und dann schimpfte er wie ein Spatz. Es gefiel mir, ihn zu ärgern. So wie es ihm gefiel, mich zu ärgern. Das klassische Geschwister-Verhältnis.
Ich senkte traurig den Kopf.
"Lenn? Hast du verstanden, was ich meine?"
Heiße Pastete sah mich prüfend an und ich nickte schnell.
"Ja ... ja klar.. Du kriegst das schon hin mit deinen Pasteten."
"Das will ich hoffen!", endete er und kehrte freudestrahlend zu Gendry zurück. Ich schüttelte seufzend den Kopf und war froh, als ich Ser Alrik hörte.
"Wir suchen so langsam einen Schlafplatz! Augen offen halten, ihr Schnarchnasen, sonst dürft ihr im Regen schlafen!" ...
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A Beast's Heart
FanfictionWenn dir die Menschen entrissen werden, die du liebst, dann wirst du zu einem Stein. Du hasst diejenigen, die sie dir weggenommen haben. Du willst sie alle tot sehen. Dieser Hass zerfrisst dich, macht dich eiskalt und unberechenbar - Du wirst eine B...