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Die nächsten drei Tage suchten wir wirklich jedes Dorf auf, welches sich auf unserem Weg offenbarte. Jedesmal lieferte ich eine haargenaue Beschreibung, doch nie hatte einer Lena gesehen. Ich war verzweifelt. Vielleicht lag ich wirklich komplett falsch und sie war ganz woanders. Oder vielleicht war sie in Schwierigkeiten geraten und jetzt...? Nein! Lena hatte so viele Jahre allein überlebt, sie würde es jetzt auch schaffen, das wusste ich. Die Flusslande waren groß, noch hegte ich etwas Hoffnung. Meine Soldaten begangen leise in ihre Bärte zu grummeln.
"Was stört euch jetzt wieder?", fragte ich mit einem genervten Seufzen. So ging das schon den ganzen Morgen. Ich bereute es, nicht allein losgezogen zu sein.
"Eine Pause wäre vielleicht mal wieder angebracht, Mylord. Wir sind müde und unsere Pferde müssen versorgt werden."
"Ihr benehmt euch wie Kinder! Ich denke, euch ging es in den letzten Tavernen eindeutig zu gut! Aber den Tieren zuliebe stimme ich euch zu. Vielleicht hat ja jemand in dieser Taverne dort hinten eine Auskunft für uns. Sie grenzt an das nächste Dorf."
Ich hörte noch ein weiteres Grummeln von rechts, ging allerdings nicht weiter darauf ein. Stattdessen klopfte ich meinem Pferd kurz den Hals und stieß dann fest die Hacken in seine Seiten. Ich konnte die Taverne bereits sehen, weit war es nicht mehr.
Vor dem Haus standen einige Pferde. Wir stellten unsere dazu und betraten daraufhin das Wirtshaus. Viel war nicht los, im angrenzenden Dorf selbst hätten die Leute vermutlich mehr Glück gehabt mit der Kundschaft. Vielleicht kamen die meisten auch erst in den Abendstunden, ich wusste es nicht. In der Ecke lag ein Mann mit dem Kopf auf dem Tisch, neben ihm stand ein umgekippter leerer Humpen. Das Wirtshaus bestand größtenteils aus Holz, die Ecken waren überfüllt mit Spinnweben. Ich zog die Nase kraus, setzte mich aber mit den beiden Soldaten an einen leeren Tisch.
Von vorne kam ein Mann zu uns, wischte nebenbei mit einem Lappen einen Krug aus. Als er mich sah, machte er erst große Augen, dann verbeugte er sich tief.
"Lord Lannister! Euer Besuch ist mir eine Ehre! Was darf ich Euch bringen?"
Meine Soldaten bestellten sich Bier und Schweinebraten, ich selbst winkte schlicht ab. Mir stand nicht der Sinn nach Essen, ich wollte endlich Lena finden.
"Sag mir, hast du hier in den letzten Tagen zufällig eine junge Frau gesehen? Blonde kurze Haare, blau-graue Augen und vorzugsweise in Hemd und Stoffhose unterwegs?"
Der Mann fuhr sich kurz durch die Haare, nahm ganz vorsichtig auf dem Stuhl zu meiner rechten Platz.
"Arbeitstüchtig und oft mit eher grimmigem oder traurigem Gesichtsausdruck unterwegs?"
Ich nickte und spürte in mir die Hoffnung hochkochen. Das ließ sich auch in meiner Stimme vernehmen.
"Sie heißt Lena und-"
"Lena! Ja, natürlich kenne ich sie! Oh, verzeiht, Mylord, ich wollte Euch nicht unterbrechen."
"Wann war sie hier? Hat sie gesagt, wo sie hin wollte?"
Der Wirt sah mich prüfend an, konnte anscheinend mein Interesse nicht nachvollziehen. Mich scherte das nicht, ich wartete schweigend seine Antwort ab, während zwei Frauen meine Soldaten bedienten.
"Sie ist vor fast drei Wochen hierher ins Dorf gekommen. Zu Beginn war sie freundlich und ließ sich auch mal auf kleine Gespräche ein. Sie kommt jeden Tag und erkundigt sich nach Arbeit, müsst Ihr wissen. Aber mit jedem weiteren Tag wirkt sie müder und zieht sich mehr und mehr zurück. Fast so, als würde sie etwas schwer beschäftigen und verletzen. Sie spricht kaum noch."
Diese Erkenntnis versetzte mir einen Stich. Sie litt ebenfalls unter Schmerzen?
"Du sagtest, sie sei hier ins Dorf gekommen. Darf ich also davon ausgehen, dass sie immer noch hier ist?"
Der Mann haderte, er schien sich unsicher zu sein, ob er antworten sollte oder nicht.
"Sie ist noch hier, ja. Sie hat hier ganz in der Nähe Schutz bei einer kleinen Familie gesucht, nachdem sie die kleine Merysa vor Dieben gerettet hat."
Stolz erfüllte mich. Mein kleines sonst so grimmiges Bündel war also erneut eine Heldin gewesen.
"Wo finde ich sie? Ich muss mit ihr sprechen."
"Ich kann Euch zu dem Haus hinführen, wenn Ihr es wünscht. Aber ich weiß nicht, ob sie sprechen wird."
Ich erhob mich langsam.
"Das soll nicht deine Sorge sein."
Meine Soldaten wollten aufstehen, doch ich hob nur die Hand.
"Bleibt hier und esst auf. Auf unserem Rückweg will ich keine Klagen hören, sonst hattet ihr die längste Zeit Zungen! Verstanden?"
Sie nickten und ich wandte mich wieder dem Wirt zu.
"Nun denn, bring mich zu Lena."

Tatsächlich lag das kleine Haus nicht weit von dem Wirtshaus entfernt. Der Mann führte mich einen Hügel hinunter und dann über einen Sandweg. Die Dorfbewohner sahen mich allesamt mit großen Augen an, ehe sie sich verneigten. Ich hatte mein Pferd bei den anderen stehen lassen und sah mich um. Bei einem Bauernhof erkannte ich den Fuchs, auf dem Lena von Harrenhal in Richtung Hauptstadt gesessen hatte. Der Mann neben mir deutete auf das Haus gegenüber.
"Hier lebt sie. Ich nehme an, Ihr kehrt in die Taverne zurück, wenn Ihr fertig seid?"
Ich wandte mich ihm zu. Ich hoffte für ihn, dass seine Angaben stimmten und ich nicht wertvolle Zeit vergeudete.
"Ja, das werde ich tun. Sorge dafür, dass meine Männer bei meiner Rückkehr nicht betrunken sind. Ich danke dir sehr für deine Hilfe", sprach ich in festem Ton und er neigte den Kopf.
"Selbstverständlich, Mylord."
Er ging den Weg zurück, den wir genommen hatten, während ich tief Luft holte und gegen die schmale Holztür klopfte. Wenigstens hatte sie ein Dach über dem Kopf. Aber war sie wirklich hier?
Als sich die Tür öffnete, stand mir ein kleines Mädchen gegenüber. Mit großen braunen Augen blickte sie zu mir hoch, machte sich noch etwas kleiner. Sie schien verängstigt.
"Sind deine Eltern daheim?", fragte ich und schon im nächsten Moment trat eine brünette Frau hinter das Kind und schob sie wieder rein.
"Pass bitte für mich auf den Topf auf, dass nichts anbrennt. Ich bin gleich wieder bei dir."
Dann wandte die Frau sich mir zu. Kurz glitt ihr Blick prüfend über meine Rüstung, dann machte sie Anstalten zu einem Knicks und neigte den Kopf.
"Was kann ich für Euch tun?"
Ich hörte Angst in ihrer Stimme heraus und bemühte mich um einen sanfteren Ton.
"Ich suche jemanden, eine junge Frau. Mir wurde gesagt, dass vor fast drei Wochen jemand hier untergeschlüpft ist und ich wollte nachsehen, ob es sich dabei um sie handelt."
In ihren Augen schien es kurz zu Funkeln, ehe sie sich kurz umdrehte.
"Merysa, lauf bitte so schnell du kannst und hole Lena hierher. Hier erwartet sie jemand."
Das Mädchen lief an mir vorbei nach draußen. Die Frau trat zur Seite, während ich mich zur Ruhe zwingen musste.
"Wollt Ihr vielleicht eintreten, solange Ihr wartet? Die Einrichtung ist zwar sehr spärlich, aber Ihr seht etwas erschöpft aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf."
Ich nickte dankbar und trat in das kleine Haus, gespannt darauf, mit wem das kleine Mädchen wiederkommen würde. Lena... Sie musste es einfach sein! ...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt