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In sanftem Abendrot lag Königsmund. Die Stadt voller Lügner und Intrigen, wie Tywin immer wieder betonte. Den ganzen gestrigen Tag und auch den heutigen waren wir geritten, aber auf meinen Wunsch hin hatten wir uns viel Zeit gelassen. Nun standen wir oben auf dem Hang und blickten hinab auf unsere Zukunft. Vor drei Wochen hatte ich schon einmal hier gestanden und nie gedacht, hierher zurückzukehren. Ich erinnerte, wie sich mein Herz qualvoll zusammengezogen hatte und mir die Tränen in den Augen brannten, als mein Blick über die vielen winzigen Häuser zu dem Koloss schweifte, in dem ich Tywin zurücklassen musste. Was ich nun fühlte, konnte ich selbst gar nicht richtig festlegen. Ein Gemisch aus Misstrauen, Furcht, Liebe und auch Wut machte sich in mir breit, als ich mit ernstem Gesicht meinen Blick erneut über die Hauptstadt schweifen ließ.
"Willkommen Zuhause", murmelte Tywin und ich schnaubte, sah ihn allerdings nicht an.
"Mein Zuhause ist bei dir, nicht hier. Da ist ein großer Unterschied!"
"Punkt für dich, meine schlaue Löwin."
Er stieß die Hacken in die Flanken des Pferdes und wir ritten den Hang hinab und in die Stadt hinein. Tausende Augenpaare legten sich fragend auf uns, ich fühlte mich zunehmend unwohl. Ich sah die Menschen miteinander tuscheln und wusste, dass es um uns ging. Ich konnte es regelrecht in ihren Blicken lesen. Was wollte der große Lord Tywin mit diesem armen kleinen Mädchen? Hatte sie etwas verbrochen? Oder hatte er sich etwa auf das tiefe Niveau herabgelassen und sie zu seiner Hure auserkoren? Wie sah sie überhaupt aus?! Eine Zumutung! Dutzende Fragen und auch Argwohn lagen in den Blicken der Stadtbewohner, welche ich allesamt kühl und distanziert erwiderte. Plötzlich zogen sie die Köpfe ein und neigten betreten die Häupter. Ich sah verwirrt zu Tywin und erkannte den Grund: Er verteilte seine altbekannten vor Stolz und Abscheu strotzenden Todesblicke.
"Ignoriere sie einfach, Tywin", flüsterte ich leise und strich über seine Handschuhe.
"Das sowieso", erwiderte er kühl und richtete seinen Blick wieder erhaben nach vorne, "Du aber auch. Mit solchem Abschaum brauchst du dich nicht mehr abgeben."
Ich wollte protestieren, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Mir gefiel es hier nicht, die Leute mit ihren stechenden Blicken gefielen mir noch weniger. Nein, das war nicht die Schicht Menschen, zu der ich auch mal gehört hatte. Das waren die mit Gier und niederer Arglist in den Augen, die neidischen und ungehobelten. Kurz: Der Abschaum, wie Tywin sie so passend genannt hatte.
Der rote Bergfried erhob sich wie ein schlafendes Monster vor uns, leuchtete stark in dem Licht der untergehenden Sonne. Plötzlich fiel mir Yara wieder ein. Wie konnte ich meine Freundin nur vergessen?! Sie musste sehr enttäuscht von mir sein, dass ich mich nicht von ihr verabschiedet hatte. Aber ich hatte mich einfach nicht getraut, auch nur ansatzweise mit irgendjemandem zu sprechen. Ed, der Stallbursche, hatte ihr bestimmt erzählt, dass ich verschwunden war. Vielleicht waren sie auch davon ausgegangen, dass ich auf einer Mission war. Oder die Königin hatte nach meinem Verschwinden eine Drohung gestreut. Jedem, der sich auch nur ansatzweise ihrem Vater näherte, drohte dasselbe Schicksal wie mir. Mittlerweile traute ich ihr alles zu. Ich wusste, dass sie mich niemals an Tywins Seite dulden würde. Aber sie kennt meinen Sturkopf noch nicht, dachte ich dann und ein gehässiges Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Zum Spielen gehören immer zwei.
"Lord Tywin!"
Die Wachen am Haupttor rissen mich aus den Gedanken. Sie neigten die Häupter, ehe sie mich kritisch beäugten.
"Die Königin Regentin hat angeordnet, dass sämtlichen Frauen aus einfachen Schichten der Zutritt zur Burg stets untersagt ist", meldete einer von beiden, "Oder ist sie Eure Gefangene? Sollen wir uns ihrer annehmen, Mylord?"
Ich blickte fragend zu Tywin auf, seine Stimme war eiskalt und scharf wie ein Schwert.

"Nein, sie ist nicht meine Gefangene. Und ich befehle, diese unpraktische und stumpfsinnige Anordnung sofort aufzuheben. Wenn ihr euch weigert, sehe ich mich gezwungen, eure Positionen durch andere Soldaten zu ersetzen. Wo ihr euch dann wiederfindet, könnt ihr euch sicher vorstellen, nicht?"
Die beiden Goldröcke wechselten Blicke und ich schielte bereits zur Mauer hoch. Noch waren nicht alle Spieße belegt. Tywin sprach todernst und ich wusste, dass er es auch so meinte. Seine Augen funkelten wieder bestialisch wie damals, als Ser Gregor Clegane sich einen Fehler erlaubt und Tywins Sohn in Gefahr gebracht hatte. Sie traten beiseite und senkten unterwürfig die Köpfe.
"Willkommen zurück, Mylord. Sollen wir Eure Rückkehr beim König oder der Königin anmelden?"
"Man wird es wohl merken, wenn in einem stillen Hof plötzlich Leben erwacht", erwiderte der Löwe trocken und ritt einfach an ihnen vorbei. Mitten im Hof hielt er an, ich rutschte aus dem Sattel und sah mich um. Viel verändert hatte sich hier anscheinend nicht.
Plötzlich hörte ich neben mir eine Stimme.
"Lena! Oh... Mylord."
Yara stand neben mir und machte einen ordentlichen Knicks vor Tywin, bevor sie eilig meine Hand ergriff und mich einfach schnurstracks hinter sich herzog. Ich warf den Kopf zu Tywin herum, der vom Pferd stieg, dem Stallburschen die Zügel in die Hand drückte und mir verwirrt nach sah. Ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, während mich Yara einfach weiterzog.
"Yara, langsam", murmelte ich, doch meine Freundin hörte nicht. Sie zog mich in eine leere Kammer, schloss die Tür und blickte mich lange an.
"Wo bei allen sieben Höllen bist du gewesen? Ich habe mir Sorgen gemacht!", begann sie plötzlich wie ein Rohrspatz zu schimpfen, "Von einem Tag auf den nächsten warst du wie vom Erdboden verschluckt! Wir haben Hölzchen gezogen, wer Lord Tywin morgens weckt und ihn anschließend versorgt, weil er noch schlechtere Laune hatte als sonst. Gut, ich habe mich dann oft heimlich verzogen, aber du hättest mal sehen müssen, wie er gleich am ersten Morgen hier rastlos durch die Gänge gelaufen ist, um dich zu suchen! Hättest du mir nicht wenigstens Bescheid sagen können, dass du auf einer Mission warst?"
"Yara, jetzt halte mal bitte einen Moment inne und höre mir zu, ja?", warf ich mich plötzlich in ihre flammende Rede und legte ihr zusätzlich die Hand auf den Mund. Sie nickte und ich holte tief Luft.
"Ich war nicht auf einer Mission. Die Königin hat mir mit dem Tod gedroht, wenn ich nicht sofort Königsmund verlassen hätte."
Yara runzelte die Stirn und ich erklärte ihr schnell und einfach das Geschehen. Ihre Augen weiteten sich immer mehr und schienen regelrecht zu strahlen, als ich ihr davon erzählte, wie Tywin mich fand.
"Er ist extra losgezogen, um dich zu suchen! Bei den Göttern, das ist ja romantisch", schwärmte sie, "Hier am Hof hat jeder etwas anderes erzählt, warum er sich plötzlich auf den Weg gemacht hätte. Einige vermuteten, es ginge um seinen Sohn Jaime, andere vermuteten einen Zusammenhang mit Stannis, weiß Baelor warum. Aber nein, er war nur deinetwegen weg, wie süß!"
"Und das ist noch nicht alles. Hinzu kommt noch-"
Ein Klopfen unterbrach mich, es erklang die Stimme des Soldaten, der Tywin und mich begleitet hatte. Er trat ein und musterte uns. In seinem Blick lag Unsicherheit.
"Lord Tywin wünscht ... Lena umgehend in seinem Turm zu sehen."
Ich neigte verstehend den Kopf und blickte zu Yara.
"Verzeih, wenn ich unser Gespräch so mittendrin unterbrechen muss. Wir reden beim Abendessen weiter. Falls nicht, dann spätestens danach, versprochen!"
"Lauf nicht wieder weg", erwiderte sie und ich lächelte leicht, bevor ich nickte und an dem Soldaten vorbei in Richtung Tywins Turm lief...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt