56.

356 20 0
                                    

Mit den letzten Sonnenstrahlen des vergangenen Tages waren wir eingeschlafen und mit dem ersten Anzeichen von Morgenröte erwachte ich. Kein Alptraum hatte mich geplagt, nein ich hatte endlich einmal wieder ruhig schlafen können.
Mit noch etwas verschwommenem Blick sah ich mich um, realisierte langsam den Raum und die warme Brust unter mir. Im Schlaf hatte ich meinen Kopf auf Tywins Brust gelegt, ich spürte seine Hand sanft und warm auf meinem Rücken. Erneut schloss ich für einen Moment die Augen, genoss die Ruhe und das leise Schnarchen des Löwen. Ich unterdrückte ein Lachen und hob den Kopf. Komplett ruhig lag er da, sichtlich entspannter als sonst. Vorsichtig befreite ich mich aus seiner halben Umarmung und erhob mich. Er regte sich kurz, drehte sich auf die Seite und schlief weiter. Ich warf mir mein Gewand wieder über und schlich nach draußen. Es durfte niemand wissen, dass ich bei ihm geblieben war! Ich wollte nicht, dass sich der halbe Hofstaat das Maul über meinen Löwen zerriss.
Dein Löwe?
Ich blieb mitten in einem Flur stehen und starrte für einen Moment ins Leere. Mein Löwe... Inoffiziell waren wir ja... Ja, was waren wir eigentlich? Definitiv mehr als Lord und Bedienstete, so viel stand fest!
Fast wäre ich einer Magd direkt in die Arme gelaufen. Sie trug einen Berg schmutziger Wäsche in einem großen Korb vor sich her, ich tat eilig einen Schritt zur Seite, um ihr aus dem Weg zu gehen. Sie verschwand um die Ecke und ich lief weiter. Es dauerte gefühlt Stunden, bis ich endlich meine Kammer erreichte. Die Burg war riesig und ich hatte überhaupt keine Ahnung, wo ich mich befand, bis ich mein Ziel endlich erreichte. Ich schloss hinter mir die Tür und atmete für einen Moment durch. Zwar hatte ich einige erstaunte Blicke von Soldaten und anderen Bediensteten geerntet, doch wurde ich bis auf das obligatorische höfliche "Morgen" nicht angesprochen. Warum sollten sie dich auch ansprechen, fragte ich mich in Gedanken. Du bist halt früh aufgewesen und hast schon zu arbeiten begonnen, was ist schon dabei?
Ich zog mir ein neues Gewand aus dem kleinen Schrank und schlüpfte hinein. Das Bad musste ich auf eine spätere ruhige Minute verschieben. Immerhin würde der Löwe bald erwachen und ich war gewillt, ihn zu wecken. Das würde ich mir nicht nehmen lassen...

Die Küche war nicht ganz so riesig wie in Harrenhal, aber dennoch verdammt groß. Drei Mägde hatten sich um die Feuerstelle versammelt und ich musste unweigerlich an Margaret denken. Ich vermisste ihr geknurrtes "Morgen". Hier war ich wieder neu und fremd, wusste mit den anderen Mägden nicht umzugehen. Deshalb ging ich einfach von selbst in die Speisekammer und kehrte mit einem Stück Schinken zur Feuerstelle zurück.
"Du bist neu hier, nicht wahr?", fragte eine der Mägde unvermittelt und ich nickte, "Dachte ich mir, sonst hättest du nämlich gewusst, dass das Frühstück erst später angerichtet wird. Du wirst also erstmal noch mit deinem Hunger leben müssen. Bring das wieder weg."
Ich blickte sie an, meine blau-grauen Augen bohrten sich in ihre braunen. Die roten Haare ergrauten schon im Ansatz. Ich konnte mein amüsiertes Schnauben nicht unterdrücken.
"Der Schinken war nicht für mich gedacht. Lord Tywin ist es gewohnt, mit fertigem Frühstück geweckt zu werden, zudem hat er gestern Abend nichts mehr gegessen und er hatte mir aufgetragen, mit auf seine Ernährung zu achten."
Natürlich war das komplett gelogen, aber warum sollte ich ihnen die Wahrheit sagen?
"Kannst du damit überhaupt umgehen?", fragte eine zweite Magd. Sie war korpulent gebaut, ihre Stimme schnarrender als die von so manchem Mann. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich sie eher als Fischweib eingeschätzt. Ich ließ mich nicht beirren, drehte und wendete den Schinken in der kleinen Pfanne. Sie war mir jetzt schon sehr unsympathisch. Ich warf ihr lediglich einen Blick zu und stellte nur eine Gegenfrage.
"Denkst du, ich würde hier stehen und es selbst machen, wenn ich es nicht könnte?"
"Wie heißt du?", fragte die dritte Magd. Sie schien ungefähr in meinem Alter zu sein, ihr rundliches Gesicht war von dunkelblonden Locken umrahmt.
"Lena", antwortete ich knapp, "Und ihr?"
"Ich bin Yara", antwortete die junge und deutete auf die anderen beiden, "Und das hier sind Elysa und Leonore."
Elysa, die korpulente mit der Männerstimme, verdrehte die Augen und ließ sich wieder auf ihren Schemel fallen.
"Da du uns nun so schön vorgestellt hast, würde ich vorschlagen, du holst schon einmal Mehl und Wasser heran, damit wir gleich frisches Brot backen können. Hurtig, hurtig, oder willst du hier fest wachsen?"
Yara warf mir einen genervten Blick zu, dann lief sie auch schon los. Ich suchte einen Teller und legte den fertigen Schinken darauf.
"Zeig mal", bat Leonore und beäugte sofort Tywins Frühstück, "Nicht schlecht... Wer hat dich das gelehrt?"
"Meine Mutter", erwiderte ich knapp, spürte bei der Erinnerung erneut ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust.
"Ist sie auch eine Magd am Hof?", fragte Leonore weiter. Eine sehr neugierige Person. Ich schnaubte leise und senkte den Kopf.
"Nein. Sie ist gestorben, als ich noch klein war."
"Und dein Vater?"
Die Frage kam von Elysa. War ich hier etwa in einem Verhör gelandet?
"Es tut mir leid, aber ich muss nun los. Lord Tywin hat bestimmt schon Hunger."
Ich sah das Missfallen in den Augenpaaren der beiden Mägde, doch kümmerte es mich nicht. Warum sollte ich denen den Gefallen tun und meine Lebensgeschichte erzählen? Ich kannte sie nicht, ich vertraute ihnen nicht. Sie mussten ihre Neugier bei jemand anderem stillen. Zudem war ich einfach nicht gewillt, alte Wunden erneut aufzureißen, wo sie doch jetzt so langsam versuchten zu heilen...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt