36.

325 20 0
                                    

In den nächsten Tagen war ich noch angespannter als sonst. Zunächst schien sich das Fieber zu legen, doch dann wurde es wieder schlimmer. Der Lord lag stumm unter seiner Decke und starrte mit glanzlosen, müden Augen durch den Raum. Ich versuchte einen Tee nach dem anderen, heute Holundertee.
Er fragte nicht einmal mehr danach, als ich den Raum betrat. Er wirkte abgekämpft.
"Durchhalten, Mylord", murmelte ich und reichte ihm vorsichtig die Tasse an, "Ich kriege das irgendwie hin."
Ich würde nicht erneut mein Versprechen brechen. Auch wenn es an ihn gerichtet war.
Tywin ließ alles stumm über sich ergehen, versank in seinem Dämmerzustand und entfernte sich immer mehr von der Realität. Besorgt stellte ich fest, dass er manchmal leise eine Cersei und einen Jaime tadelte. Oder er wisperte den Namen Joanna. Dabei blickte er mit einem leichten Lächeln ins Leere und ich wusste - er war schon lange nicht mehr hier. Er war in seiner eigenen Welt.
"Lord Tywin", sagte ich, stellte die Tasse weg und rüttelte ihn sachte an der Schulter, "Lord Tywin, Ihr müsst hier bleiben!"
Ganz langsam hob er den Blick zu mir, sah mich lange ausdruckslos an. Ich erwiderte den Blick, ehe ich mich zu ihm vorbeugte. Die Krankheit war deutlich zu riechen, doch ich ignorierte es weitestgehend.
"Ihr müsst noch einen Krieg gewinnen", erinnerte ich ihn und stand auf.
"Wo willst du hin?", erklang seine leise Stimme hinter mir. Seit zwei Tagen war das der erste Satz, der wieder an mich ging. Oder ging es doch nicht an mich? Heiser und brüchig hörte er sich an, fast hätte ich ihn nicht verstanden. Ich drehte mich um und tatsächlich - Sein Blick ruhte auf mir.
"Ich hole noch etwas Suppe. Ich bin sofort zurück."
Ich lief in die Küche. Margaret seufzte leise, als sich unsere Blicke begegneten.
"Du siehst nicht gut aus."
"Mir gehen die Ideen aus, Margaret", erwiderte ich verzweifelt und füllte die Suppe in eine kleine Schale, "Wenn das so weitergeht, wird er sterben."
Einmal mehr erfüllte mich plötzliche Angst. Margaret legte mir kurz die Hand auf die Schulter.
"Mach dir keine Sorgen. Er wird schon wieder gesund irgendwie."
Ich nickte langsam und brachte die Suppe zu ihm. Ich war mir überhaupt nicht mehr sicher, dass er es schaffen würde.
Als ich den Raum betrat, sah ich, wie sich kleine Schweißperlen auf Tywins Stirn bildeten und atmete einmal kurz erleichtert auf. Der Holundertee zeigte seine Wirkung. Nun hoffte ich, dass es ihm auch helfen würde.
Ich setzte mich auf den Bettrand neben ihm und führte den Suppenlöffel zu seinem Mund. Jetzt saß ich also hier und reichte ihm die Suppe an. Ihm, dem Lannister. Dem Oberhaupt meiner Feinde. Es gab eine Zeit, in der hätte ich mich selbst dafür gehasst. Doch der Gedanke an meine Mutter hielt mich davon ab.
"Lena, Kranke muss man so gut umsorgen, wie es geht. Sie leiden so schon genug, da muss man nicht auch noch auf ihnen herumhacken", hatte sie mir gesagt. Und daran hielt ich mich.
Ich wusste nicht, ob Tywin überhaupt mitbekam, dass ihm sein Essen angereicht wurde. Erst als er seinen Blick auf mich richtete und mich - so weit es ihm möglich war - prüfend musterte, hatte ich Hoffnung, er kehrte zurück. Ich bemerkte, wie er ganz langsam seine rechte Hand unter der Decke hervorzog und sie zitternd auf meine legte, während ich ihm den nächsten Löffel Suppe in den Mund schob. Gefühlt eine halbe Ewigkeit sahen wir uns in die Augen, dann zog er meine Hand weg.
"Ich will nicht mehr."
Ich seufzte leise und stellte die Schale weg. Ich musste zusehen, wie er abmagerte und konnte nichts tun. Wut erfüllte mich, Wut über mich selbst.
"Lord Tywin, Ihr müsst etwas essen", versuchte ich es nochmal, doch er schüttelte minimal den Kopf. Dann schloss er die Augen und versank im Schlaf. Ich raufte mir die Haare und setzte mich wieder in den Stuhl, den ich neben seinem Bett für mich hingestellt hatte. Ich bemerkte kaum Margaret, die plötzlich hinter mir stand. Erst mit ihrer Hand auf meiner Schulter nahm ich sie wahr.
"Ich verliere ihn", flüsterte ich und schnaubte wütend, "Ich bin unfähig, ihn von seinem Fieber zu kurieren!"
"Sei nicht so hart zu dir", erwiderte die alte Magd leise, "Du hast in den letzten Tagen mehr für ihn getan als wir alle zusammen. Und das weiß er."
"Bist du dir da sicher? Er ist kaum noch hier."
Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner, die immer noch auf der Bettkante lag und sah verwirrt von meinem Schoß auf. Tywin griff im Schlaf nach meiner Hand und zum ersten Mal hielt ich ganz still. Zusätzlich legte ich meine zweite Hand noch kurz über seine und strich beruhigend über seinen Handrücken, bis er tief ausatmete und wieder ruhiger wurde.
"Ich bin ganz sicher", murmelte Margaret, die das Ganze mit einem minimalen Schmunzeln verfolgt hatte. Ich ließ seine Hand einfach auf meiner ruhen und blickte erschöpft zu Margaret hoch.
"Was soll ich noch tun?"
"Wenn Kräuter nicht wirken, dann versuche es mit seelischem Beistand. Er muss seine Kraft wiederfinden, das kann helfen."
"Und wie soll ich das anstellen?"
Sie ging bereits zur Tür, drehte sich aber noch einmal zu mir um. Wieder lag dieses leichte Schmunzeln auf ihrem Gesicht und sie deutete auf unsere Hände.
"Das da ist schon einmal ein guter Anfang."
Dann ging sie einfach, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich starrte ihr lange nach, verstand die Welt nicht mehr. Seelischen Beistand leisten, wie ging das?
Ich erinnerte mich, wie ich damals neben meinem kleinen Bruder gehockt hatte. Tag und Nacht war ich dagewesen, hatte seine kleine Hand gehalten und leise auf ihn eingeredet. War das auch seelischer Beistand gewesen?
"Ihr schafft das, Lord Tywin", flüsterte ich schließlich und strich ihm etwas Schweiß von der Stirn, "Ihr seid stark, Ihr werdet siegen." ...

***

Auf den Korridoren allein, konnte ich ein heiseres leises Lachen nicht mehr unterdrücken. Wenn das nicht Liebe war, dann wusste ich es auch nicht mehr. Lena war es anzusehen, ihre Besorgnis verriet sie. So war sie vorher nie gewesen, immer nur kalt und abweisend. Vor allem, wenn es um Lord Tywin ging. Einmal hatte ich vage mitbekommen, wie sie von Hass sprach. Bitterem Hass gegenüber allen von denen, hatte sie gesagt. Aber nun schien sie eine Wendung zu machen, da lag kein Funken Kälte mehr in ihrer Stimme. Nur Sorge. Sorge um den Lord.
Es war irgendwie niedlich, zu sehen, wie ihre Hände aufeinander lagen. Lenas Unsicherheit, das Verlangen, die Hand wegzuziehen. Dennoch hatte sie stillgehalten. Sie ahnte es wohl noch nicht, oder sie wollte es sich nicht eingestehen. Doch ich war mir sicher, dass sie etwas für ihn empfand. Und das war definitiv kein Hass mehr.
Armes Ding, dachte ich dann und mein Lächeln verschwand. Wenn ich Recht behielt, würde das Ganze sehr schmerzhaft für sie ausgehen. Ich mochte mir nicht ausmalen, wie sie erneut durch die Welt zog, der Bauch angeschwollen mit einem kleinen Bastard. An Lord Tywins Seite würde es gewiss keine Zukunft für sie geben.
Die Liebe. Zweiseitig wie eine Münze. So schön und auch gleichzeitig so schmerzvoll wie alle Folterungsmethoden zusammen. Hoffentlich wird sie ihren Weg finden. Mit diesem Gedanken kehrte ich in die Küche zurück und nahm meinen Platz am Feuer ein...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt