Ich war den ganzen Tag geritten, ohne zu wissen, wohin. Meine Augen brannten von den vielen Tränen, die ich unterwegs verloren hatte. Der Schmerz war unerbittlich und schien noch zu wachsen, je weiter ich mich von der Hauptstadt und Tywin entfernte. Was er wohl von mir dachte? Ob ich ihn damit verletzt hatte? Würde er meine Absicht dahinter verstehen? Er wusste, dass mir dieses Versteckspiel nicht gefiel. Ebenso wusste er, dass ich seinen Ruf nicht gefährden wollte. Er wird es verstehen, redete ich mir ein und wischte mir zum wohl hundertsten Mal mit dem Handrücken über die Wangen.
Ein gellender Schrei ließ mich plötzlich aufhorchen.
"Komm endlich her, du dummes Gör!"
Die Stimme kam von einem Mann. Ohne groß darüber nachzudenken, trieb ich das Pferd an und galoppierte los. Tatsächlich - ein kleines Mädchen floh in Richtung Waldrand, hinter ihr drei Männer. Vielleicht Diebe, auf jeden Fall böse Gestalten mit noch böseren Absichten. Ich erstarrte, fühlte mich zurückversetzt zu meinen eigenen Szenarien während der letzten Jahre. Ich schüttelte kurz den Kopf, dann hetzte ich an den dreien vorbei, packte das Mädchen am Arm und zog sie zu mir auf das Pferd hoch.
"Festhalten!", knurrte ich, während ich mit dem Fuchs durch den Wald preschte. Hinter uns grölten und fluchten die Männer wütend, das Mädchen schaute sich ängstlich um. Ich hielt sie fest im Arm und entdeckte eine große freigelegte Wurzel, stoppte kurz und setzte das verängstigte Kind auf den Boden.
"Versteck dich hier!", befahl ich ernst, "Wenn ich sie verjagt habe, komme ich dich holen."
Sie nickte mit panisch aufgerissenen Augen und sprang regelrecht unter die Wurzel. Ich drehte um und ritt den Männern entgegen.
"Wie tief seid ihr eigentlich gesunken?! Euch zu dritt an einem kleinen Mädchen zu vergreifen! Sucht euch jemanden in eurer Größe!"
Die Männer lachten. Der größte von ihnen sprach zuerst, ich sah die vielen Zahnlücken und unterdrückte ein Würgen.
"Und wer bist du, dass du uns Befehle erteilst, hm?"
"Vielleicht ist sie ja eine Hure?", fragte der links von dem großen. Der kleinste zog bereits ein Messer unter seinen Lumpen hervor.
"Holen wir sie von ihrem Gaul und finden es heraus!"
Den Gefallen würde ich ihnen nicht tun. Ich stieß erneut die Hacken in mein Pferd, als dieses sich plötzlich aufbäumte und stieg. Mit aller Kraft hielt ich mich fest, bemühte mich im Sattel zu bleiben. Einen der Männer traf einer der Hufe am Kopf, die anderen flohen bereits. Ich ließ den bewusstlosen Mann am Boden liegen und suchte stattdessen die Wurzel mit dem Kind. Ich hatte eben wahnsinniges Glück gehabt! Ich hätte auch fallen und deren Opfer werden können.
"Kleines, du kannst herauskommen", sprach ich ruhig und sprang vom Pferd, "Sie sind weg, sie werden dir nichts mehr tun."
Ganz langsam und vorsichtig kroch das Mädchen unter der Wurzel hervor, blickte mich mit großen Augen an. Ich hockte mich vor ihr hin, breitete etwas die Arme aus. Ich wusste nur zu gut, wie sie sich gerade fühlen musste.
Langsam kam sie auf mich zu, ehe sie sich mir regelrecht in die Arme warf und bitterlich zu weinen anfing. Ich hob sie hoch und wog sie eine Zeit lang hin und her.
"Shh... alles ist gut, Kleines. Niemand wird dir mehr weh tun, das lasse ich nicht zu."
Mit großen verweinten Augen sah sie mich an. Erst jetzt sah ich ihr blaues Auge und ihre aufgerissenen Lippen. Sie musste geschlagen worden sein. Das Blut lief von ihrer Lippe langsam ihr Kinn hinunter, ich wischte es mit dem Hemdärmel vorsichtig weg.
"Wie heißt du?", fragte ich vorsichtig, hielt sie immer noch in Arm.
"M-Merysa", flüsterte sie mit bebender Stimme, "U-u-und du?"
"Lena", antwortete ich lächelnd, "Wohnst du hier in der Nähe?"
"Ja, i-in dem Dorf vor dem Wald."
Ich nickte und hob sie auf das Pferd.
"Dann will ich dich mal nach Hause bringen."
Ich stieg ebenfalls auf und hielt sie fest, bevor ich langsam aus dem Wald über das weite Feld in Richtung Dorf ritt. Merysa drückte sich fest an mich, ihr ganzer kleiner Körper zitterte.
"Merysa, wie alt bist du?", fragte ich nach einer Weile.
"Acht", erwiderte sie. Zu dem Dorf war es gut eine Meile. Was machte ein kleines Mädchen wie sie so weit weg von Zuhause?
Bereits am Rand des Dorfs kamen mir ein Mann und eine Frau entgegen gelaufen.
"Merysa! Den Göttern sei Dank, wo warst du?!"
Ich stieg ab und hob die Kleine auf den Boden.
"Sieben Höllen, was ist mit deinem Gesicht passiert?!", fragte die Frau und hockte sich vor Merysa hin, um ihr Gesicht zu untersuchen.
"Ich fand sie am Waldrand, umzingelt von drei finsteren Gestalten, vielleicht Diebe", erklärte ich und hatte immer noch meine Hand auf Merysas Schulter liegen.
"Ich wollte Holz sammeln gehen, Mutter", flüsterte Merysa und zitterte immer noch, "Dann war da ein Schmetterling und i-ich bin vom Weg abgekommen... und dann waren da plötzlich diese drei Männer."
Die Mutter zog Merysa an sich, weinte stumm aus ihren braunen Augen.
"Wir hatten solche Angst um dich", sagte der Mann und hockte sich nun ebenfalls zu den beiden hin, "Wir haben das ganze Dorf auf den Kopf gestellt."
Er richtete sich wieder auf und hielt mir die Hand hin.
"Ihr habt meine Tochter gerettet! Wie kann ich Euch jemals dafür danken?"
Seine Stimme bebte. Ich schüttelte kurz seine Hand und ein leichtes Lächeln zog über mein Gesicht.
"Mein Name ist Lena, sag ruhig "Du". Ich bin nicht von edlem Geschlecht. Und ihr braucht euch nicht bedanken, ich tat nur, was getan werden musste."
Bei dem Anblick der drei traf mich erneut Schmerz und unweigerlich ein Funken Neid. Doch den verdrängte ich. Ich war im Begriff, wieder auf das Pferd zu steigen, als die Mutter sich plötzlich erhob.
"Wohin geht deine Reise, Lena?"
Ich senkte den Blick traurig auf den Boden und schluckte.
"Ich...ich weiß es nicht."
"Es wird bald dunkel", bemerkte der Mann und ich blickte verwundert auf, "Wer weiß, wer hier noch alles sein Unwesen treibt. Bei uns in der Küche steht eine kleine Liege. Als Dankeschön dafür, dass du unsere Merysa gerettet hast, darfst du gerne die Nacht bei uns verbringen."
"Ich möchte keine Umstände machen-"
"Das macht keine Umstände", unterbrach mich die Frau, "Das ist das mindeste! Wir haben zwar nicht viel, aber ein warmes Bett und etwas zu essen haben wir bestimmt für dich."
Ich fuhr mir kurz durch die Haare, dann nickte ich. Bis mir morgen hoffentlich etwas anderes einfiel, konnte ich bei den dreien unterschlüpfen. Ein Dach war wahres Gold wert, das hatte ich in den letzten Wochen natürlich nicht vergessen. Und etwas Ruhe zum Nachdenken kam mir jetzt sehr gelegen...
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A Beast's Heart
FanfictionWenn dir die Menschen entrissen werden, die du liebst, dann wirst du zu einem Stein. Du hasst diejenigen, die sie dir weggenommen haben. Du willst sie alle tot sehen. Dieser Hass zerfrisst dich, macht dich eiskalt und unberechenbar - Du wirst eine B...