Es war Nacht, als sich Lord Tywins Rufe in mein Unterbewusstsein drängten und mich aus dem Schlaf rissen. Ich hatte nichts geträumt, daher wusste ich, dass es nur ein sehr leichter Schlaf gewesen war. Ich blinzelte mehrere Male, ehe ich mich aus dem Bett hievte und durch die Dunkelheit zur Tür tastete.
Der Flur war durch einige Fackeln etwas erhellt, so lief ich schneller durch die Gänge in den Turm des Lords.
Tywin saß nun nicht länger allein an seinem Tisch, ich zählte sechs weitere Männer, darunter auch den Berg. Erneut kam die Wut in mir hoch.
"Bring uns Wein und etwas zu Essen, Mädchen", befahl Tywin und sämtliche Augenpaare lagen kurz auf mir, "Aber verdünne den Wein mit Wasser! Ich brauche meine Männer bei klarem Verstand!"
Ich nickte und machte sofort kehrt, um in die Küche zu laufen.
"Lord Tywin wünscht für sich und seine Männer etwas zu essen."
Margaret sah auf. Sie saß am Feuer. ansonsten schien die Küche verlassen.
"Wie viele sind es?"
"Insgesamt sieben."
Sie klatschte nur in die Hände und langsam aber sicher fanden die anderen Mägde wieder den Weg in die Küche. Sie gähnten und streckten sich schlaftrunken. Ich legte leicht den Kopf schief und schnappte mir einen Eimer, um etwas Wasser für den Wein zu holen.
"Er hob sie in der Höh, der Bär. Ihr Haar, es roch nach Honig schwer. Sie trat nach ihm, die Jungfrau hehr. Doch vom Haar den Honig schleckte er..."
Ich sang leise vor mich hin. Eine Magd schien mich gehört zu haben, denn plötzlich stimmte sie mit ein.
"Und her und hin und hin und her,
vom Haar den Honig schleckte er. Ganz schwarz und braun, voll Fell war er. Der Bär, der Bär und die Jungfrau hehr."
Ich sah verwirrt auf, eine dritte Magd schloss sich an.
"Und süß war sie, und klein und her. Ganz schwarz und braun, der Bär, der Bär. Ihr Haar, es roch nach Honig schwer. Vom Haar den Honig schleckte er."
Es dauerte nicht lange, da erklang das Lied fast überall in der Küche und hier und da erhaschte ich Blicke in lächelnde Gesichter. Scheinbar hatte ich unbewusst für eine positive Stimmung gesorgt. Komischerweise war diese ansteckend für mich und so sangen wir erneut alle zusammen, diesmal als Einheit.
"Er hob sie in der Höh, der Bär. Ihr Haar, es roch nach Honig schwer. Sie trat nach ihm, die Jungfrau hehr. Doch vom Haar den Honig schleckte er. Und her und hin und hin und her,
vom Haar den Honig schleckte er. Ganz schwarz und braun, voll Fell war er. Der Bär, der Bär und die Jungfrau hehr."
Jeanny war stumm geblieben und beobachtete die Szene mit zusammengekniffenen Augen. Plötzlich kam es brüllend von draußen.
"DER LORD WÜNSCHT RUHE! ALSO HALTET EURE MÄULER UND ARBEITET!"
Ich hörte noch etwas von "Weiber" und Gelächter von den Gängen widerhallen. Bis auf die Geräusche der Arbeit wurde es wieder still. Das Lächeln blieb bei den meisten Mägden jedoch haften und verriet mir, dass ich das Szenario eben nicht geträumt hatte. Wir hatten eine Einheit gebildet durch mich. Ich war seit langem einmal wieder Teil eines Ganzen gewesen.
Ich nahm das Weingemisch und brachte es dem Lord.
"Was war das eben für ein Lärm?", knurrte der Lannister sichtlich gereizt, als ich mit dem Krug um den Tisch lief und jedem einschenkte.
"Ich habe leise für mich zu singen begonnen, Mylord. Dann haben die anderen Mägde mit eingestimmt. Es war nicht meine Absicht, Verzeihung."
Im Nachhinein beschloss ich, diese Idee im Hinterkopf zu behalten. Vielleicht könnte mir das nochmal nützlich sein.
"Sieh endlich zu, dass das Essen auf dem Tisch landet! Dann darfst du dich meinetwegen für heute zurückziehen", riss er mich aus den Gedanken und machte eine scheuchende Handbewegung zur Tür. Wieder einmal kam ich mir wie ein Hund vor, den man nach Belieben umher schubsen konnte.
"Ja, Mylord", erwiderte ich trocken und ging, um dem Rudel Löwen ihr Fressen aufzutischen.Wieder in meiner Kammer war ich froh, erneut ins Bett fallen zu können. Einmal mehr spürte ich die Schmerzen in meinem Körper, sie ließen sich nun einmal nicht ewig verstecken. Erschöpft schloss ich die Augen. Der kurze Schlaf zuvor hatte natürlich nicht gereicht, um meine Kraft vollends wieder herzustellen. Er hatte mich eher noch müder gemacht. Hätte Lord Tywin mich nicht gerufen, wäre es vielleicht funktionaler gewesen. Ich hasste ihn!
Wie gerne hätte ich jetzt mein kleines Schaffell bei mir gehabt! Es hatte mich immer beruhigt, wenn ich erschöpft war und meinen inneren Frieden herbeisehnte. Doch es war mir auf dem Weg nach Harrenhal entrissen worden, ebenso wie die anderen Sachen aus meinem kleinen Beutel. Ich wälzte mich hin und her, mein Körper war in Alarmbereitschaft. Wenn Tywin rufen würde, wäre ich sofort zur Stelle. Und dieser Gedanke war es, der mir den erholsamen Schlaf raubte. Sofort zur Stelle für eine verdammte Bestie. Ich wusste nicht, gegen wie viele meiner Prinzipien ich bereits verstoßen hatte. Zu viele, da war ich mir sicher. Doch wäre ich noch am Leben, wenn ich mich geweigert hätte? Oder würde ich schon längst auf den Mauern faulen wie all die anderen gefolterten Gefangenen? Hätte ich es überhaupt bis hierhin geschafft?
Fest stand für mich: Es ging nicht mehr länger nur darum, was ich wollte. Mit diesem ersten Tag lernte ich, dass es um weitaus mehr ging, als nur die Flucht vor meinen Schatten. Ich spürte diese Bestie in mir, der Löwe hatte sie geweckt. Unter meinen Feinden gab es auch Bestien, zahlreiche blutrünstige Monster, die auf Kommando sofort töteten. Leben oder sterben, ich musste vorsichtig sein. Ich musste gehorchen. Der Gedanke an meine Familie beruhigte mich. Ich tat es für sie. Ein Teil der Familie lebte in mir, zusammen mit der Bestie. Und ich würde alles daran setzen, diesen Teil zu beschützen! Auch wenn dies Gehorsam gegenüber dem Löwen hieß.
In dieser Nacht gewann die Truppe Lannistersoldaten um meine Familie noch weiteren Zuwachs. Diesmal war es Lord Tywin höchstpersönlich, der mich mit seinen eiskalten blauen Augen fixierte und eine Handbewegung quer über seinen Hals machte. Ich hörte wieder die Schreie meiner Eltern, jedoch konnte ich meinen Blick nicht von dem Lord lösen.
"Lena, hilf uns! LENA!"
Seine Rüstung glänzte im Sonnenlicht, ehe sie das Blut meines Vaters - oder war es meine Mutter? - befleckte. Die Schreie erstarben, ich konnte mich immer noch nicht regen. Der Löwe kam mir näher, ragte vor mir auf und reichte mir einen Lappen.
"Du wirst mich jeden Morgen mit dem Sonnenaufgang wecken. Du wirst meine Rüstung polieren. Du wirst dich von deinen Prinzipien lossagen und mir gehorchen. Hast du mich verstanden?"
Zu meinem Entsetzen spürte ich mein Kopfnicken, ehe ich den Lappen an seinem Brutharnisch ansetzte und unter dem Regen von Castamaer das Blut meiner Familie wegwusch...
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A Beast's Heart
FanfictionWenn dir die Menschen entrissen werden, die du liebst, dann wirst du zu einem Stein. Du hasst diejenigen, die sie dir weggenommen haben. Du willst sie alle tot sehen. Dieser Hass zerfrisst dich, macht dich eiskalt und unberechenbar - Du wirst eine B...