15.

377 22 0
                                    

Die alte Frau führte mich aus der großen Küche über eine Treppe hinab in dunkle Gewölbe. Eine einzige Fackel brannte in einer kleinen Kammer, warf spärliche Lichtflecken, die mit den Schatten kämpften. Dort standen der Waschzuber und einige Strohballen gestapelt an der Wand.
"Du wirst warmes Wasser brauchen, nehme ich an", krächzte die alte Magd und ich nickte. Sie jagte mir zwar nicht direkt Angst ein, doch fühlte ich mich in ihrer Gegenwart etwas unwohl.
"Das kleine Mädchen von eben und ich werden dir zwei Eimer voll holen, damit musst du auskommen. Vielleicht finde ich auch noch eine Bürste, mit der du dir nicht sofort das Fleisch von den Knochen schrubbst."
Sie musterte mich einen Moment von oben bis unten und seufzte leise. "Und du könntest neue Kleidung gebrauchen."
Ich sah an mir hinab. Hemd und Hose waren zwar wirklich nicht gerade sauber, aber dennoch sehr funktional.
"Und woher soll ich die nehmen?"
"Der Stallbursche ist erst kürzlich an einer Lungenentzündung gestorben. Das sollte dir passen."
Sie drehte sich um und stiefelte wieder nach oben. Ich sollte die Kleidung eines Toten tragen?! Eines stand für mich fest - ich würde meine Kleidung gleich mitnehmen und waschen, damit ich sie schnellstmöglich wieder anziehen konnte. Allein der Gedanke an die Kleidung einer Leiche ließ mich etwas aufstoßen.
Nach einer Weile kehrte die Magd zurück, eine mürrisch dreinblickende Arya im Schlepptau.
"Eine Bürste und warmes Wasser. Arya, geh bitte und frage Jeanny nach der Kleidung des verstorbenen Stallburschen. Du findest sie bei den Kartoffeln."
"Ich weiß", brummte Arya, stellte mir den Eimer hin und wendete sich sofort ab.
Mit leisem Seufzen sah ich ihr nach und nickte der Alten höflich zu.
"Danke für deine Hilfe."
"Ich tue es nicht für dich", erwiderte sie emotionslos und wandte sich ebenfalls wieder ab, "Aber die Auswirkungen von Lord Tywins Zorn sind bekanntlich verheerend und das möchte ich vermeiden."
Ich sah auch ihr nach und schüttete dann vorsichtig das Wasser in den Waschzuber, ehe ich mich entkleidete. Ein ungewohntes Gefühl, warmes Wasser an der Haut zu spüren. Ich genoss es für einen Moment, ehe ich zur Bürste griff und mir den Dreck vom Körper zu schrubben begann. Wie lange war es her, dass ich ordentlich gebadet hatte? Ich konnte mich nicht erinnern.
Ich schloss die Augen und dachte nach. Wo befand ich mich nun? In einer verfluchten Ruine im Herzen der Flusslande. Umzingelt von meinen Feinden und ihrem Oberhaupt. Einer eiskalten, brutalen Bestie. Ich war meinem Ziel also kein Stück näher gekommen, im Gegenteil. Ich befand mich direkt in ihrer Mitte, konnte ihre Augen auf mir spüren. Unweigerlich begann ich zu überlegen, ob ich auch die beiden Soldaten in meiner Nähe hatte. Ihre Gesichter hatte ich unter den Helmen zwar nie gesehen, aber ihre Stimmen dagegen jagten mich noch immer durch meine dunkelsten Träume, lachten höhnisch über mich und meine kläglichen Versuche, all dem zu entkommen.
Ich spürte plötzlich Schmerzen in meinem rechten Oberarm und schob die Gedanken kurz zur Seite. Ich hatte in meiner aufkommenden Wut die Bürste kraftvoll in mein Fleisch gedrückt. Ich ließ ab und wartete einen Moment, ehe ich mich nach vorne beugte, um meine Haare zu waschen.

Wofür machst du dich sauber? Der feine Lord möchte nur von sauberen bedient werden? Als ob er selbst so gestriegelt fein wäre!
Ich lief durch einen langen dunklen Flur, vorbei an dutzenden goldenen Löwen auf rotem Grund. Allesamt aufgebäumt mit ausgefahrenen Krallen und aufgerissenem Maul. Ich fühlte mich unwohl, als ich weiterlief. Am Ende des Flurs befand sich eine Tür, einen Spalt geöffnet. Licht von einem Kaminfeuer kroch aus dem Spalt auf den Flur, ich konnte eine Tischecke erkennen und einen Stuhl. Ein Schatten huschte vorbei und die Tür wurde aufgerissen, ehe ich einen Löwen brüllen hörte.
"ICH REDE MIT DIR!!"

Ruckartig hob ich den Kopf, blinzelte wegen dem vielen Wasser, das mir in die Augen lief und schnappte nach Luft.
Arya stand in der Tür, hielt ein Bündel im Arm.
"Deine neue Kleidung und ein Tuch zum Abtrocknen", sie warf sie mir regelrecht vor den Waschzuber, "Wie lautet dein richtiger Name?"
Ich rieb mir die Augen und seufzte leise.
"Lena."
Wir sahen uns für einen Moment an, ehe sie sich stumm wieder umdrehte und ging. Ich schüttelte kurz den Kopf, dann stieg ich aus dem Waschzuber, trocknete mich ab und schlüpfte in die neue Kleidung. Sie passte tatsächlich, nur waren die Ärmel etwas zu lang. Ich krempelte sie einfach um und entsorgte das dreckige Wasser in eine der kleinen Rinnen am Boden. Meine eigene Kleidung wrang ich aus und hielt sie in der Hand. Ich hoffte, irgendwo einen Platz zum Trocknen dafür finden zu können.
Zurück in der Küche wurde ich erneut gemustert. Ich fuhr mir durch die Haare, die nun etwas nass und nicht mehr ganz so strohig waren, während mein Blick suchend durch den Raum wanderte.
Die alte saß neben einer brünetten und bereitete mit ihr die Kartoffeln zu. Die Brünette musste Jeanny sein. Vorsichtig ging ich auf beide zu - um erneut abschätzend gemustert zu werden.
"Schau an, du bist ja doch nicht braun", kommentierte die Alte trocken und sah mich mit ihren leblosen Augen an. Jeanny daneben wirkte nicht lebhafter, ihr Gesicht war etwas eingefallen und sie abgemagert. Auch wenn das zu Kriegszeiten normal war.
"Kann ich die irgendwo aufhängen?"
Ich hielt meine nassen Sachen hoch und beide wechselten kurz einen Blick.
"Du solltest eine Kammer in der Nähe des Lords haben, wenn du schon für ihn arbeitest", hörte ich nun Jeanny zum ersten Mal. Ihre Stimme war rau und ich spürte Kälte darin. Sie klang eifersüchtig. Worauf sollte sie aber bitte eifersüchtig sein? Wollte sie etwa Lord Tywins Visage den ganzen Tag ertragen? Ich hätte zu gerne mit ihr getauscht!
Sie stand auf und drehte sich kurz zu der Alten um.
"Ich komme gleich wieder, Margaret."
Margaret nickte und widmete sich weiteren Kartoffeln, während Jeanny mich eine weitere Treppe hoch über einen noch dunkleren Flur führte. Sie öffnete eine schmale Tür und wir betraten eine kleine Kammer.
"Der Lord hat sein Gemach dort oben", erklärte sie und deutete aus dem kleinen Fenster auf einen rabenschwarzen Turm.
"Ja, da war ich vorhin schon einmal", erwiderte ich, doch sie ignorierte mich und redete einfach weiter.
"Von hier aus solltest du es hören, wenn er dich ruft."
Ehe ich etwas erwidern konnte, war sie schon wieder gegangen. Die Mägde hier schienen es in meiner Gegenwart sehr eilig zu haben. Man konnte das Misstrauen mehr als nur deutlich spüren.
Ich schloss die Tür und sah mich um. An der einen Wand hing eine erloschene Fackel, gegenüber neben dem Fenster stand ein schmales Bett. Zunächst breitete ich meine Kleidung über der Fensterbank zum Trocknen auf, ehe ich das Bett testete. Als ich mich einmal vorsichtig darauf niederließ, spürte ich Stroh unter dem geflickten Bettzeug. Ich erhob mich wieder, zog das Bettzeug ab und drehte die Matratze um. Ich wusste nicht, wer, aber irgendjemand hatte hier schon geschlafen. Und dieser Gedanke war mir zuwider.
Ich wagte es für einen Moment mich hinzulegen und starrte die Decke an.
Ich sollte eigentlich dankbar sein, schoss es mir in den Kopf. Seit Jahren träumte ich von einem festen Dach über dem Kopf und einem eigenen kleinen Zimmer. Doch konnte ich einfach nicht vergessen, wo ich mich befand.
Total erschöpft von den vielen Eindrücken schloss ich die Augen und glitt schon kurz darauf in einen ausnahmsweise traumlosen Schlaf...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt