50.

341 24 0
                                    

Gefühlte Stunden irrte ich umher, hielt mich weitestgehend am Rand der Schlacht. Ich sah einen nach dem anderen sterben, dicht in meiner Nähe zog ein Junge in meinem Alter einen verwundeten Kleinwüchsigen in Lannisterrüstung weg. Ich wollte Tywin rufen, doch mein Verstand riet mir davon ab. Ich musste ihn so finden, bevor feindliche Soldaten auf mich aufmerksam wurden.
Mein Blick wanderte also weiter über die breite Masse von kämpfenden Männern, meine Hände zitterten stark. Warum nur konnte ich ihn nicht sehen?! War er etwa bereits...? Nein, Lena, nicht daran denken! Such einfach weiter, es geht ihm gut!
Und dann erblickte ich ihn.
Tausende Steine schienen mir vom Herzen zu fallen.
Er kämpfte tapfer, war von seinem Pferd gesprungen und kreuzte seine Klinge mit zwei anderen Männern. Dabei bewegte er sich sehr anmutig und bedacht. Fast, als hätte er nie etwas anderes getan.
Jedoch war er mit den beiden so beschäftigt, dass ihm der dritte nicht auffiel, der sich ihm von hinten näherte.
Plötzlich schien ich wie taub. Die schreienden Männer, Pferde und Schwerter erklangen nur noch im Hintergrund, dumpf und weit entfernt. Ich hörte nur noch mein eigenes erschrockenes Keuchen, die Zeit schien stillzustehen. Meine Beine setzten sich unkontrolliert in Bewegung, ehe meine Sicht verschwamm. Ich stand wieder vor Lord Tywin in Harrenhal, in den Händen sein Schwert.
"Ein fester Stand und Treffsicherheit sind das A und O im Kampf, ebenso wie Schnelligkeit. Sonst wirst du dich nie gegen Soldaten behaupten können. Worte allein retten dich nicht immer, auch wenn sie ebenfalls scharfe Waffen sein können."
Ich blinzelte, kam dem Soldaten immer näher. Ich würde nicht zulassen, dass er Tywin tötete! Zielsicher festigte ich meinen Griff um das Schwert, hielt es waagerecht zum Boden und stieß ein wütendes Brüllen aus, ehe ich die Klinge in den Rücken des Soldaten rammte.
Er bäumte sich auf, ließ sein Schwert fallen und ging in die Knie. Ich zog das Schwert aus seinem Rücken und taumelte erschrocken ein paar Schritte zurück, während der Körper vor mir noch zuckte und schließlich reglos liegen blieb. 
Tywin drehte sich zu uns um und als sein Blick mir begegnete, erstarrte er. Er zog den Helm ab. Seine Augen weiteten sich, ehe sie vor Zorn funkelten.
"Lena! Was bei den sieben-"
Weiter kam er nicht, denn just in diesem Moment fraß sich Stahl in meine linke Seite. Erneut brüllte ich auf, diesmal jedoch vor Schmerz. Heiß durchzuckte es mich, ich taumelte und blickte Tywin hilfesuchend an. Er reagierte sofort, stieß dem Soldaten neben mir das Schwert in die Brust und fing mich im nächsten Moment auf, als ich zu Boden fiel. Kalt spürte ich seinen blutigen Brustharnisch, drückte mich dennoch dagegen. Ging es nun zu Ende mit mir?
Er hockte auf dem Boden, hielt mich im Arm.
"Lena, ich verbiete dir, zu sterben!", sprach er ernst, doch ich hörte das leichte panische Beben in seiner Stimme.
Meine Sicht verschwamm mehr und mehr, der Schmerz war unerträglich. Meine eine Hand drückte auf die Wunde, ich spürte das Blut warm und feucht. Meine andere Hand tastete unkontrolliert über Tywins Harnisch hinauf, bis ich schließlich seine Wange fand. Dort hielt ich inne, wischte ihm mit dem Daumen etwas Dreck aus dem Augenwinkel.
"Nicht sterben, Lena! Hast du mich verstanden?!"
"Für Euch...", keuchte ich und kämpfte mit meiner letzten Kraft, "Immer wieder..."
Das letzte, was ich sah, waren seine aufgerissenen Augen, dann fiel mein Kopf gegen seinen Harnisch und eine tiefe Dunkelheit hüllte mich ein. Die nächsten Momente erlebte ich nur noch stückweise. Ein anderer Soldat hob mich hoch, Lord Tywin setzte seinen Helm wieder auf.
"Bring sie sofort zu Pycelle!"
Dieser Satz hallte noch lange durch die Tiefe in meinen Ohren, immer und immer wieder.

Ich sah kurz einen alten Mann mit langem Bart und einer Kette um den Schultern.
"Legt sie hier auf den Tisch..."
Dann wurde wieder alles schwarz.
Als nächstes sah ich tausende von kleinen Glasflaschen in einem Regal.
"Verdammt, Mädchen, bleib hier!", krächzte eine Stimme.
Daraufhin versank ich erneut in der Dunkelheit...
Ich brauchte eine Weile, um mich zurück an die Oberfläche zu kämpfen. Immer mehr spürte ich den harten Untergrund. Mir war bitterkalt. Ich wünschte mich zurück in die Nacht vor der Schlacht, wünschte mich zurück an Tywins Seite. Ich hätte es da schon realisieren müssen! Ich hätte ihm davon erzählen sollen! Die Gefühle für ihn hatten mich überwältigt, er bezwang meine Bestie. Das, was ich nie für möglich gehalten hatte, wurde Wirklichkeit. Tywin hatte mich vor meiner eigenen dunklen Seite gerettet. Und ich war mir mittlerweile sicher, dass es Liebe war, die ich für ihn empfand. Das war es also, was Margaret gemeint hatte. Mein Herz empfand noch etwas anderes als Hass.
Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand Blei auf meine Schultern gelegt. Mein Kopf fühlte sich leer an und doch gleichzeitig dröhnend voll. Meine Augen öffneten sich langsam und brannten wegen der Helligkeit, ich musste mehrfach blinzeln. Ich nahm vage Umrisse wahr und die Stimmen wurden immer lauter und klarer.
"Wie geht es ihr?"
"Es hat sie wirklich schwer erwischt, Mylord. Sie litt an einem Wundfieber. Ich kann nichts versprechen, doch es scheint bald geheilt zu sein."
"Wenn sie stirbt, werde ich Euch höchstpersönlich dafür hinrichten."
Dieses Knurren würde ich unter tausenden wiedererkennen! Er war hier! Tywin lebte!
Langsam öffnete sich mein Mund, ich wollte ihn rufen. Doch meine Stimme hörte sich fremd an.
"Lord ... Tywin...?"
Langsam wurde meine Sicht schärfer, da sah ich ihn. In einem schwarzen Gewand aus Leder stand er da, blickte ernst auf mich hinab.
"Lena? Hörst du mich?"
"Klar und ... deutlich, Mylord", erwiderte ich heiser und lächelte leicht. Ihn wohlauf zu sehen erfüllte mich mit neuer Kraft. Doch plötzlich war seine Miene wie versteinert und seine Stimme bebte.
"Was bei allen sieben Höllen hast du dir dabei gedacht?! Du könntest tot sein!"
Die andere Stimme erklang auf der anderen Seite des Raums.
"Mylord, Ihr solltet-"
"RAUS!", brüllte der Löwe und ich schluckte. Er schien wirklich sauer zu sein.
Ich hörte eine Tür sich öffnen und wieder schließen, dann richtete sich sein Blick wieder auf mich.
"Du könntest tot sein!", wiederholte er, diesmal erstickt und leise. Ich tastete langsam nach seiner Hand, klammerte mich daran wie ein Ertrinkender an seinem Treibholz.
"Besser ich als Ihr."
Er schüttelte heftig den Kopf, da holte ich tief Luft, sammelte meine Kräfte zusammen. Ich musste es ihm einfach sagen.
"Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, Euch irgendwo tot liegen zu sehen. Ich ... dafür mag ich Euch einfach zu sehr! Ihr..."
Ich verstummte. Meine Kraft reichte dafür doch noch nicht aus. Zu meiner Verwunderung beugte er sich zu mir hinab, seine Augen schienen regelrecht zu strahlen.
"Beantworte mir nur noch eines, Lena - Hast du vorgestern Nacht wirklich neben mir gelegen, oder war das nur ein Traum?"
"Wenn es einer war, dann teilen wir diesen, Mylord."
Er starrte mich für einen Moment an, dann erklang seine Stimme ebenso brüchig wie meine.
"Tywin. Nenn mich ... nur noch Tywin ... bitte."
Ich spürte seine Lippen warm auf meiner Stirn und hatte das Gefühl, in meiner Brust brach ein Feuer aus. Ich zitterte zwar, doch blieb ich still liegen, hielt ihn nicht davon ab. Vermutlich lag es an der Lähmung, doch das kümmerte mich nicht länger. Wir waren beide am Leben. Und er schien darüber genauso erfreut zu sein wie ich...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt