64.

268 14 0
                                    

~~~

Ich schlug die Augen auf und befand mich in einem Wald. Jeder Baum sah absolut gleich aus, dazu zog ein dichter Nebel auf. Seit zwei Wochen war ich so ziemlich jede Nacht hier.
"Lena?", rief ich, als ich hoch über mir aufgescheuchte Krähen krächzend wegfliegen hörte. Schnelle Schritte, dann trat sie hinter einem Baum hervor. Ich wollte auf sie zugehen, wollte sie in meine Arme schließen und nie wieder loslassen. Doch ihr eiskalter Blick ließ mich einfach starr stehenbleiben. Da war kein liebevolles Funkeln mehr in ihren blau-grauen Augen, nur ein animalisches Blitzen. Ich hatte dieses schon einmal gesehen, als wir unsere Auseinandersetzungen hatten.
"Lena, komm zu mir. Was ist mit dir passiert?", fragte ich leise, spürte den zunehmenden Schmerz in meiner Brust. Warum kam sie denn nicht zu mir?
"Ich soll zu Euch kommen? Eher würde ich sterben!", knurrte sie plötzlich ebenso leise und ich zuckte zusammen.
"Was hast du da gerade gesagt? Ich verstehe nicht... Ich dachte, du liebst mich."
Sie lachte plötzlich hysterisch auf, dem folgte ein amüsiertes Schnauben. Ich kam mir vor, als wären meine Worte ein Witz gewesen, so reagierte sie darauf.
"Ich?! Nie im Leben, wer erzählt denn so etwas? Erklärt mir bitte, wie man eine Bestie wie Euch lieben kann! Ist das überhaupt möglich?"
Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Man hätte mir ein Schwert ins Herz stoßen können und ich war sicher, es wäre nicht so schmerzhaft gewesen, wie diese Worte. Unweigerlich drückte ich fest die Hand auf meine Brust.
"Jeden Tag immer nur schlecht gelaunt und widerlich zu allen, Euren Sohn behandelt Ihr wie Abschaum! Dabei seid Ihr derjenige, der wie Abschaum behandelt werden sollte, denn genau so verhaltet Ihr Euch!"
Es war nicht der Inhalt, der mich traf. Nein, es war die Tatsache, dass diese Worte von ihr kamen.
Ich starrte sie nur an, während sie sich umdrehte.
"Wo willst du hin?!", fand ich endlich meine Stimme wieder. Lena fauchte wütend.
"Weg! Bloß weit weg, damit ich Euch nicht mehr ertragen muss! Nie wieder!"
Sie lief davon, verschwand im Wald und seinem Nebel und egal, wie laut ich nach ihr rief, sie kehrte nicht mehr zurück...

Ich erwachte und sah mich um. Der Raum war stockdunkel, nur ein einzelner silberner Mondenstrahl drang durch das große Fenster zum Balkon und verteilte sich auf dem steinernen Fußboden. Automatisch wanderte mein Blick nach rechts, doch wie schon in den vergangenen letzten fünfzehn Nächten fand ich meine andere Betthälfte leer vor. Lediglich das Kissen war zerknüllt, ich musste es im Schlaf an mich gezogen haben.
Ich sollte es nach den vielen Jahren eigentlich gewohnt sein, allein zu schlafen. Doch nun schien die Narbe erneut aufzureißen, wieder so stark und intensiv wie damals. Ob Lena wirklich so von mir dachte, wie sie in meinen Träumen gesagt hatte? War ich in ihren Augen doch immer noch nur die schreckliche Bestie? Hatte ich mich wirklich so schwer in ihr getäuscht?
Ich erhob mich und trat auf den Balkon hinaus. Tausende Sterne glühten vom Firmament auf mich herab und ich strich mir selbst kurz über die Oberarme, als ich die nächtliche Kälte auf meiner Haut spürte. An sich herrschte in der Hauptstadt ja ein angenehmes Klima, selbst in der Nacht noch war die Luft angenehm und eher mild als kühl. Doch die Umstände ließen mich noch schneller frieren als sonst. Sie fehlte mir einfach, mein kleines Bündel. Ihre leuchtenden Augen, wenn ich mit ihr sprach. Ihr unruhiges Gezappel, während ich arbeitete und sie mich beobachtete. Und ihre warme Stimme. Ohne sie fehlte etwas, sie hatte ein Loch hinterlassen. Falsch. Ihre Abwesenheit riss das Loch wieder auf, welches ich mit ihrer Hilfe allmählich hatte schließen können.
"Wo bei allen sieben Höllen steckst du?", fragte ich mit einem Seufzen in die Nachtluft, doch wie auch in den vorigen Nächten bekam ich darauf natürlich keine Antwort...

~~~

Tywin stand in glänzender Rüstung vor mir. Wir befanden uns in seinem roten Zelt, draußen sammelten sich bereits die Truppen und redeten wild durcheinander.
"Tywin, was-"
"Was willst du hier?!", blaffte er in demselben Tonfall wie ganz zu Beginn auf Harrenhal. Ich blickte ihn nur verwirrt an.
"Ich verstehe nicht. Warum sind wir hier...?"
"Warum wohl? Ich habe einen Krieg zu gewinnen!"
Völlig perplex behielt ich ihn im Blick, fuhr mir nachdenklich durch die Haare.
"Aber Ihr habt Stannis doch besiegt, was-"
"Da draußen sitzt noch ein Wolf, dem es das Maul zu stopfen gilt. Und den werde ich mir jetzt holen."
Ich weitete meine Augen und streckte die Hand aus. Ich ergriff sein Handgelenk und wollte ihn dichter zu mir ziehen, ihn stoppen. Er durfte nicht in den Krieg ziehen! Nicht schon wieder!
"Tywin, nein", begann ich, doch in seinen Augen lag wieder das blanke, kalte blaue Feuer.
"Nein? Warum nicht?", erwiderte er fauchend und ich zog den Kopf ein. Er schien wütend und eiskalt.
"Ich kann es nicht ertragen, Euch noch einmal in einer Schlacht zu sehen!"
Sein Blick wurde durchdringender und seine Stimme war erfüllt von Bitterkeit.
"Du wirst es ja nicht sehen! Du bist schließlich einfach ohne ein Wort fortgelaufen! Es braucht dich nicht mehr zu interessieren, was ich mache!"
Wie versteinert blieb ich stehen, starrte ihn wortlos an. Ich fühlte mich schrecklich! Hatte ihn mein Verschwinden denn wirklich so stark getroffen?
"Aber ich liebe Euch, Tywin", begann ich nach einer Weile, doch der Löwe hob nur die Hand und wandte sich schnaubend ab.
"Du mich lieben, dass ich nicht lache! Spar es dir, ich will deine Lügen nicht hören. Es gibt nichts mehr zu sagen."
Ehe ich darauf etwas erwidern konnte, verschwand er aus dem Zelt. Ich konnte mich nicht rühren, blickte ihm nur hinterher. Was hatte ich nur getan?
Als endlich wieder Leben in meine Füße kroch, schüttelte ich kurz gedankenklärend den Kopf. Nein, es durfte so nicht sein!
"Tywin, wartet!", rief ich und lief nun ebenfalls aus dem Zelt. Doch als ich mich umsah, fand ich nur dichten Nebel vor. Ich konnte nichts sehen, konnte nur grob die Kampfgeräusche ausmachen, die langsam aber sicher in mein Gehör krochen. Kalte Angst schlang ihre stahlharte Klaue um mich, als ich dem Geräusch nachlief. Ich hatte einmal gekämpft, ich würde es wieder tun!
Als ich eine Lichtung betrat, legte sich der Nebel. Vor mir lagen tausende Rotröcke am Boden, blutend, sterbend und von Wölfen umstrichen. Meine Augen sprangen blitzschnell hin und her über das Schlachtfeld, suchten meinen Löwen. Als ich ihn endlich erblickte, erschrak ich.
Tywin kniete vor einem Wolf, an den Schultern von zwei anderen Wölfen kraftvoll zu Boden gedrückt. Der Wolf vor ihm hielt ein Schwert, umkreiste qualvoll langsam seinen Feind. Ich konnte mich nicht rühren, konnte den Blick nicht abwenden. Ich wollte schreien, doch aus meiner Kehle drang nicht ein einziger Laut.
"Ihr habt verloren, Lord Tywin."
Ich konnte sie genau hören. Tywin blickte zu ihm auf, wieder war seine Stimme von Bitterkeit getränkt.
"Ich habe schon Dinge verloren, die mir weitaus lieber und wichtiger waren. Was spielt es noch für eine Rolle?"
Plötzlich hob der Wolf das Schwert über den Kopf und ich vernahm ein Wolfsgeheul, welches einem durch Mark und Bein ging, während sich die Klinge rasend schnell durch Tywins Fleisch grub und sein Blut das Gras unter ihm rot färbte...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt