"Lena! Lena, hilf uns!"
Die Schreie zerrissen die Luft, drangen schrill in mein Gehör. Ich horchte auf, riss den Kopf hoch. Mit einem dumpfen Poltern fiel der Korb aus meiner Hand zu Boden, ich ignorierte ihn und lief los, ging den Schreien nach. Erneut fand ich meine Eltern im Staub liegend, mein Vater spuckte Blut. Mutter rief noch nach mir, ehe sie leblos zurücksank. Ich verzog das Gesicht, dann spürte ich zwei große Hände auf meinen Schultern, die mich herumdrehten. Meine Sicht verschwamm unter den Tränen, ich spürte einen großen Körper, zwei Arme schlossen mich ein und drückten mich an eine warme Brust.
"Sieh nicht hin", hörte ich Lord Tywin flüstern, "Sieh mich an."
Weinend blickte ich auf, direkt in die blauen Augen des Löwen.
"Sieh mich an...Konzentriere dich nur noch auf mich..."
Behutsam sprach er auf mich ein, während hinter meinem Rücken bereits wieder gesungen wurde.
"Hör nicht hin, konzentriere dich nur noch auf mich..."
Wie ein Mantra redete er auf mich ein, behielt mich stets im Blick. Seine Hand strich über meinen Rücken, dann ging er langsam rückwärts. Ich taumelte ihm nach, total benommen und verwirrt.
"Komm mit mir..."
Hinter ihm ragte plötzlich etwas in die Höhe. Ein Ungeheuer, so groß wie eine Burg. Es knurrte und funkelte mich aus blutroten Augen an. Ich sah die messerscharfen langen Zähne in seinem Maul und registrierte, wie es sich langsam zu mir hinabbeugte. Panik brach in mir aus. Doch ehe es nach mir schnappte, tauchte eine weitere Bestie auf, grau und noch furchteinflößender. Sie stürzte von hinten über mir hervor, grub die Krallen in Tywins Bestie. Er hielt mich fest im Arm, während die beiden Bestien über uns tobten und kämpften. Ich verbarg das Gesicht an seiner Brust, als die Bestien vor Schmerzen brüllten. Es war mir zu viel. Ich wollte mich nur noch verstecken, vor dem Unheil fliehen.
Als ich Tywin das nächste Mal ansah, blickte er sanft zu mir hinab. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er legte leicht den Kopf schief.
"Lass sie kämpfen", wisperte er und um uns herum wurde es dunkel, "Lass sie sich zerfleischen, lass mich auf dich Acht geben." ...Ich zuckte vor Schreck zusammen und wäre fast aus meinem kleinen Bett gefallen. Seit drei Tagen hatte ich diese Träume. Seitdem ich mit Lord Tywin dieses Gespräch hatte.
Schwerfällig hievte ich mich aus dem Bett. Ich konnte diese Träume nicht verstehen. Es war ein absolutes Chaos gewesen, welches sich da abgespielt hatte. Ein Chaos, welches ich nicht sortiert bekam. Und diese Erkenntnis nagte an mir, raubte mir die letzte Kraft. Nicht nur Lord Tywin hatte an seinem Fieber gelitten.
Er war aus dem Gröbsten raus, hatte ich am vorigen Tag feststellen können. Seine Stirn war nicht mehr heiß und er schon wieder ganz bei Sinnen.
"Ich verlange meinen Kriegsrat zu sehen! Und gnaden denen die Götter, wenn sie während meiner Abwesenheit nicht etwas Produktives zustande gebracht haben!"
Ich stellte ihm sein Frühstück hin, er saß wieder an seinem Tisch im Arbeitszimmer.
"Mylord, an Eurer Stelle würde ich es heute noch ruhig angehen lassen", erwiderte ich, als er zu essen begann. Nur etwas leichtes, davon jedoch umso mehr. Er war so abgemagert, dass ich mich jedesmal erschreckte, wenn ich ihn sah. "Ihr solltet Euch schonen, damit ihr keinen Rückfall erleidet."
Noch wackelig vom vielen Liegen, erhob er sich, baute sich vor mir auf und sah ernst zu mir hinab.
"Lena, ich schätze es zwar, dass du dich darum gekümmert hast, mich wieder auf die Beine zu bringen. Dennoch kann ich mich nicht entsinnen, dir befohlen zu haben, meine Entscheidungen zu treffen. Das habe ich doch nicht, oder?"
Blau traf auf grau, lange sahen wir uns an. Ich wusste nicht, wieso, doch seine Worte trafen mich. Sie schienen sich direkt in mein Herz zu bohren, eiskalt und unerbittlich - Sie taten weh. Noch dazu die raue Stimme, in der - im Gegensatz zu den letzten Tagen - kein bisschen Wärme mehr zu finden war. Ganz im Gegensatz zu meinem Traum der letzten Nächte.
"Oder?", fragte er erneut und ich schüttelte gedankenklärend den Kopf, bevor ich schluckte.
"Nein, Mylord, das habt Ihr nicht."
"Na also. Du scheinst Gefallen daran gefunden zu haben, Befehle zu geben. Verständlich, das ist ein natürlicher Wunsch eines jeden. Dieses Gefühl von Macht und Kontrolle. Jedoch bin ich jetzt wieder da. Und die Befehle kommen von mir. Ist das angekommen?"
Wieder nickte ich stumm und senkte getroffen den Kopf. Wut breitete sich in mir aus. Er hatte doch gar keine Ahnung! Machtgefühl... Was sollte ich damit? Ich hatte es nicht eine Sekunde lang verspürt. Ich war lediglich froh, dass alles so lief, wie ich es haben wollte. Oder war genau das dieses Machtgefühl?
Ich presste fest die Zähne aufeinander und unterdrückte ein Schnauben. Wo blieb die Dankbarkeit? Ein kleines Danke, dass ich Tag und Nacht über ihn gewacht hatte. Ihn bestmöglich versorgt und durch den Kampf gegen das Fieber begleitet hatte. War das zu viel verlangt? Lena, ich schätze es, dass du dich darum gekümmert hast, mich wieder auf die Beine zu bringen.
Das hatte er gesagt. Ich redete mir ein, dass das seine Form von Danke war. Vielleicht würde ein direktes Danke ja noch folgen, Lord Tywin war undurchschaubar und hatte manchmal seine sanften Momente. Jedoch rechnete ich nicht mehr damit. Seine Gedanken waren jetzt wieder ganz bei seinem Krieg gegen die Starks. Den hatte selbst ich in den letzten Tagen total vergessen.
"Gut. Jetzt, wo du endlich lesen kannst, darfst du dich gleich an die Arbeit machen und die Briefe sortieren, die sich vermutlich schon angestaut haben."
Er hatte mich aus den Gedanken gerissen und ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Er gab mir wieder Aufträge, ich musste aufmerksam zuhören.
"Und wie soll ich sie sortieren, Mylord?"
Ich konnte den leicht bitteren Unterton durch meine Wut nicht verstecken. Und das wollte ich auch nicht.
"Wir befinden uns in einem Krieg. Was, meinst du wohl, sind die wichtigen Nachrichten?"
Ich dachte nach.
"Die Eurer Verbündeten und Informationen über die Starks?"
"Richtig. Du bist wirklich klüger, als es den Anschein hat, aber ich habe auch nichts anderes erwartet."
Plötzlich erklang wieder ein Hauch Wärme in seiner Stimme. Seine Launen verwirrten mich.
"Meint Ihr wirklich, Mylord?"
"Sehe ich für dich unsicher aus, hm? Glaubst du im Ernst, ich vergeudete wichtige Zeit damit, dich das Lesen zu lehren, wenn ich darin keinen Sinn sehe?"
Ein gutes Argument, das musste ich ihm lassen. Deshalb also hatte er es mir beigebracht, da lag sein Grund - er weitete mein Tätigkeitsfeld aus. Eigentlich sollte ich jetzt stolz sein, dass er Potential in mir sah. Doch ich verspürte nichts dergleichen. Lediglich noch etwas Wut. Nun, ich hatte ja von Beginn an gewusst, dass er es nicht für mich getan hatte. Warum sollte er auch? Jedoch bohrte auch dieser Gedanke sich wieder sehr schmerzhaft durch meine innere Dunkelheit in Orte, die ich so nur in einem anderen Zusammenhang kannte.
Tywin hatte sich derweil wieder hingesetzt und weiter sein Frühstück gegessen.
"Jetzt geh und rufe meinen Kriegsrat zusammen, sie müssten sich alle im Hof tummeln. Und dann mach dich an die Arbeit, die ich dir eben genannt habe. Beeile dich, wir haben viel Zeit verloren!"
Ich neigte nur den Kopf und lief los. Als ob es auf diese wenigen Augenblicke jetzt noch ankommt, dachte ich. Aber er hatte ja recht. Während der letzten Tage hatte sich bei den Starks ja viel verändern können. Und das galt es nun zu ergründen und gegenan zu gehen...
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A Beast's Heart
FanfictionWenn dir die Menschen entrissen werden, die du liebst, dann wirst du zu einem Stein. Du hasst diejenigen, die sie dir weggenommen haben. Du willst sie alle tot sehen. Dieser Hass zerfrisst dich, macht dich eiskalt und unberechenbar - Du wirst eine B...