62.

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Ich folgte also Merysa und ihren Eltern, die sich mir als Darian und Alayne vorgestellt hatten, neben mir lief das Pferd. Die drei hatten allesamt braune Haare. Ganz wie Alayne hatte Merysa ebenfalls nussbraune Augen. Nur Darians waren grün. Grün wie die weiten Wiesenfelder im Sommer.
Sie führten mich eine Straße entlang, vorbei an anderen Dorfbewohnern. Diese erkundigten sich allesamt nach Merysa und sahen mich dankbar an, als die Eltern von meiner "Heldentat" berichteten. Ich nickte nur, war so viel Aufmerksamkeit nicht gewöhnt. Ich fühlte mich unwohl. Ich tat doch nur, was getan werden musste!
"Hier wohnen wir", verkündete Alayne nach einer Weile und deutete auf ein kleines Haus. Merysa ging zwischen uns, umklammerte fast schon panisch meine Hand und sah mit immer noch großen Augen zu mir hinauf. Ich nickte verstehend und wandte mich zu Darian um.
"Kann ich mein Pferd hier irgendwo lassen?"
Wir banden es an einen Holzpflock und versorgten es mit Wasser und etwas Heu von dem Bauernhof gegenüber. Hier schien sich jeder zu helfen, wenn Hilfe benötigt wurde. Fast so wie Zuhause damals, erinnerte ich mich und ein trauriges Lächeln verließ mein Gesicht. Ohne Tywin waren die Erinnerungen wieder deutlich schärfer und auch wesentlich schmerzhafter.
"Komm mit herein, du siehst erschöpft und hungrig aus", sagte Alayne und legte mir lächelnd eine Hand auf die Schulter. Ich nickte und ließ mich von ihr in das Haus führen, Darian verschwand hinter dem Haus.
Drinnen war die Einrichtung spärlich, so wie ich es eigentlich kannte. Merysa ließ mich immer noch nicht los, sagte aber auch kein Wort. Alayne bedachte uns mit einem undeutbaren Blick.
"Meine arme Kleine... Sie scheint nicht mehr von dir abzulassen", flüsterte sie mir ins Ohr und ich spürte plötzlich Wärme in meinem traurigen, gebrochenen Herzen. Dieses Gefühl, das Mädchen beschützen zu müssen. Dasselbe Gefühl, wie ich es für meinen Bruder gehegt hatte.
Darian kam herein, die Arme voller Brennholz und ging direkt zur Feuerstelle. Ich ließ mich auf einem der Stühle fallen, Müdigkeit zerrte an mir. Ich war fast die ganze Nacht hindurch geritten und auch der Schmerz hatte mich viel Kraft gekostet. Tywin fehlte mir so sehr! Das merkte ich besonders wieder, als Alayne und Darian zärtliche Gesten austauschten, wie es für Mann und Frau üblich war. Als er an ihr vorbeiging, schlang er den Arm um sie und küsste sie flüchtig, was seine Frau mit einem glücklichen Lachen quittierte. Merysa beobachtete sie und freute sich für ihre Eltern. Ich rang mir ein kurzes Lächeln ab und starrte dann auf den kleinen Holztisch. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich musste mehrfach stark blinzeln, um nicht vor den anderen zu weinen. Bis gestern war mir so etwas auch möglich gewesen. Ich hielt es kaum aus, es erinnerte mich zu sehr an Tywin.
Nach einem kleinen Abendessen brachte ich Merysa zu Bett. Ich wusste nicht, warum das kleine Mädchen meine Anwesenheit so gut fand, doch sie wollte mir partout nicht mehr von der Seite weichen. Der Schock musste wirklich sehr tief sitzen. Mit leichtem Lächeln hockte ich also auf der schmalen Bettkante und hielt ihre Hand. Endlich öffnete sie ihren kleinen Mund und flüsterte.
"K-Kannst du mir eine Geschichte erzählen, Lena?", fragte sie mit großen Augen und ich überlegte kurz. Wie von selbst und ohne weiter darüber nachzudenken, begann ich zu erzählen.
"Es war einmal ein Mädchen, das zog durch die Lande. Sie war alleine, ihre Eltern und ihr Bruder waren leider schon sehr früh verstorben. Eines Tages fand ein Soldat sie und brachte das Mädchen zu einer Burg. Eine große Ruine, aber noch bewohnbar. Dort sollte sie fortan leben und arbeiten. Und als sie sich an den harten Alltag gewöhnt hatte, kam ein grimmiger Löwe in die Burg getrottet."
Merysas Augen funkelten neugierig, ich richtete meinen Blick auf das Feuer, sah vor mir die einzelnen Bilder aufflackern. Bilder von Tywin.
"Der Löwe nahm das Mädchen mit sich, sie sollte nur noch für ihn arbeiten. Beide waren stets grimmig und schlecht gelaunt - sie mochten einander nicht wirklich. Doch nach vielen gemeinsamen Wochen näherten sie sich einander an und der sonst so grimmige Löwe wurde ganz lieb und freundlich. Ebenso wie das Mädchen. Sie verliebte sich in ihn, merkte dies allerdings erst, als eine Schlacht unmittelbar bevorstand."
"Was für eine Schlacht?", fragte die Kleine und ich lächelte leicht.
"Eine Schlacht zum Schutz seiner Familie. Der Löwe befahl dem Mädchen, sich zu verstecken, doch stattdessen folgte sie ihm in den Kampf. Sie hätte alles für ihn getan. Sie rettete sein Leben und hätte fast das ihre für seines gegeben. Sie liebte den Löwen mittlerweile so sehr, dass sie außer ihm keinen Sinn zum Leben mehr sah. Und als sie nach der Schlacht zusammen fanden und auf ein glückliches Leben miteinander hofften, kam die Tochter des Löwen. Sie duldete keine Fremde an der Seite ihres Vaters. So musste das Mädchen gehen und den Löwen verlassen. Und das machte sie wieder sehr traurig."
Ich konnte kaum noch sprechen, so sehr kämpfte ich mit den Tränen. In den Flammen erkannte ich Tywin, er schien mich direkt anzusehen. Ich biss mir auf die Lippe und schluckte ein Schluchzen herunter.
"Das ist aber eine gemeine Löwentochter", protestierte Merysa und verschränkte die Arme vor der Brust, "Die mag ich nicht!"
Ich schnaubte amüsiert und deckte sie vernünftig zu. Wenigstens konnte ich sie etwas von ihrem Schock ablenken.
"Wie endet die Geschichte?"
"Das Mädchen zog erneut durch die Lande. Sie suchte und suchte und fand irgendwann eine neue Familie."
"Und der Löwe?"
Ich seufzte leise. Ja, was war mit dem Löwen?
"Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass das Mädchen niemals aufhörte, ihn zu lieben. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Sie dachte jeden Tag an ihn, träumte von ihm - Sie liebte niemals wieder jemanden so sehr, wie ihren Löwen."
"Ich möchte auch irgendwann einmal jemanden so sehr lieben", flüsterte Merysa und schloss erschöpft die Augen.
"Das wirst du bestimmt", erwiderte ich und erhob mich langsam, "Und dann werdet ihr bis in alle Ewigkeit zusammen sein."
Merysa schlief mit einem leichten Lächeln ein, dann ging ich die schmale Holztreppe hinab nach unten zu Alayne und Darian.
"Schläft sie endlich?", fragte er schmunzelnd und ich nickte erschöpft. Dann ließ ich mich auf das kleine provisorische Bett neben dem Tisch fallen.
"Danke nochmal für deine Hilfe, Lena", sagte Alayne leise, doch ich winkte nur ab.
"Nicht der Rede wert. Ihr erspart mir eine kalte und vermutlich nasse Nacht im Freien, außerdem habe ich sehr gerne geholfen."
Weiter kam ich nicht, denn die Müdigkeit sog mich einfach mit sich und ich glitt hinab in die Dunkelheit des Schlafs...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt