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Zwei Wochen lang lebte ich nun schon bei Merysas Familie. Ich wusste nicht, wohin und sah die Arbeit um mich herum. Ich half also mit, wo ich nur konnte und hatte dafür ein Bett und etwas zu essen. Doch ein Gefühl von Heimat spürte ich nicht im Geringsten. Ich hatte eigentlich genau das, was ich mir immer erträumt hatte. Und dennoch fehlte er. Ich brauchte Tywins leises Knurren, wenn ihm etwas nicht passte. Ich brauchte das Funkeln in seinen Augen, wenn ich ihn morgens mit frisch gebratenem Schinken und einem Kuss auf die Stirn liebevoll weckte. Ich brauchte seine Wärme, die ich spürte, wenn er mich plötzlich in eine Umarmung zog. Ich brauchte Tywin einfach. Vor allem nachts an meiner Seite.
Jede Nacht, wenn die Ruhe einkehrte, stand ich aus dunklen einsamen Träumen auf und trat fröstelnd an das kleine Fenster. An weiteren Schlaf war nicht zu denken, zu grausam waren die Bilder von Tywin, der in einem dichten Nebel verschwand und nie mehr wiederkehrte. Ich blickte hinaus zum Himmel, suchte einen Stern. Genau einen. Den hellsten. Seit jeher hatte ich mich an diesen Stern geklammert, er war mir immer eine Art Wegweiser gewesen.
"Es tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin, mein Löwe", flüsterte ich dann jedes mal und wischte mir erneut stumme Tränen von den Wangen.
Merysa war von meiner Geschichte so begeistert gewesen, dass ich ihr nun jeden Abend etwas über das Mädchen und den Löwen erzählen sollte. Sie erholte sich von ihrem Schock und schien in mir zunehmend einen Schwesterersatz zu sehen. Also erzählte ich von dem Leben auf Harrenhal. Von drei Freunden, denen das Mädchen zur Flucht verhalf, von dem Fieber des Löwen, sogar von der Nacht vor der Schlacht, als das Mädchen sich neben dem Löwen zum Schlafen hinlegte. Merysa gefielen die Geschichten sehr, sie berichtete an den darauf folgenden Tagen immer von aufregenden Träumen. Ich lächelte jedesmal müde, zwang mich dazu. Sie wusste nicht, von wem ich sprach. Und das war auch gut so. Doch Alayne und Darian schienen es langsam zu ahnen, denn an einem Abend setzten wir uns zu dritt an den Tisch. Ich hatte Merysa ins Bett gebracht und ließ mich auf den Stuhl sinken. Die schlaflosen Nächte raubten mir die Kraft.
"Lena, dürfen wir dich etwas fragen?", begann Alayne zögerlich. Ich konnte den Braten bereits riechen, nickte jedoch müde. Sie hatten mich bei sich aufgenommen, ich vertraute ihnen.
"Warum genau warst du eigentlich unterwegs? Und warum bist du so niedergeschlagen? Wir sehen dich morgens immer mit geröteten, glanzlosen Augen."
Besorgter Elterninstinkt. Anders konnte ich mir diese Fragen nicht erklären.
"Die Geschichte, die du Merysa erzählst. Die von dem Mädchen und dem Löwen... das ist deine Geschichte, richtig?", fragte Darian und ich holte tief Luft, ehe ich knapp nickte und den Blick auf das Holz vor mir senkte.
"Ja."
"Und wer ist der Löwe, den du verlassen musstest?"
Ich schluckte. Es war, als würde sich ein Kloß in meinem Hals bilden, der mir die Kehle zudrückte. Unweigerlich begann ich etwas zu zittern.
"Lord Tywin Lannister, die Hand des Königs."
Eine drückende Stille breitete sich in der kleinen Küche aus. Alayne und Darian wechselten stumme Blicke, während erneut die ersten Tränen über meine Wangen flossen. Sieben Höllen, wie schrecklich ich ihn doch vermisste!
"Ein...Lord?", wiederholte Alayne leise und ich nickte.
"Ich weiß, das klingt verrückt, aber ja."
Kurz und knapp schilderte ich die Geschehnisse, spürte dabei zunehmend wieder die Tränen in den Augen. Meine Stimme wurde zum Ende hin brüchiger und meine Schultern senkten sich.
"... Doch die Königin, seine Tochter, akzeptierte meine Gefühle nicht, so ließ sie mich wählen. Entweder verschwinden, oder sterben."
"Grauenhaft", bemerkte Alayne leise und ich nickte nur, "Du musst zu ihm zurückkehren, Lena!"
"Er wird mich dafür hassen, dass ich gegangen bin."
"Weiß er, was deine Gründe zur Flucht waren?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich sollte mich ihm nicht mehr nähern. Ich hielt mich bis zum Einbruch der Nacht von ihm fern."
"Das ist schwierig", murmelte Darian und stützte das Kinn nachdenklich auf seinen gefalteten Händen. Er hatte bisher geschwiegen, "Ich würde dir gerne raten, zu ihm zurückzugehen, aber wenn die Königin dir den Tod angedroht hat..."
"Seien wir mal ehrlich - Wenn es so weitergeht, wird Lena auch sterben. Sieh sie dir doch an!"
"Es wird schon gehen, Alayne", erwiderte ich leise, doch sie hob nur die Hand.
"Du isst kaum etwas und Nachts schläfst du nur wenig. Glaube nicht, ich bekomme das nicht mit!"
Das war die besorgte Mutter, die nun in ihr sprach. Sie ergriff plötzlich über den Tisch meine Hände und drückte diese fest.
"Du liebst ihn, oder nicht?"
Ich nickte.
"Du würdest alles für ihn tun, hast du gesagt. Richtig?"
Wieder ein Nicken.
"Du bist ihm in eine Schlacht gefolgt und wärst schon dort fast für ihn gestorben. Lass ihn dir nicht von jemandem wegnehmen, wenn du so hart um ihn gekämpft hast!"
Ich wischte mir über das Gesicht.
"Er wird mich nicht sehen wollen-"
"Dann ist er ein Narr! Dir wurde der Tod angedroht! Wenn er deine Flucht dann nicht nachvollziehen kann, sollte er sich mal Gedanken machen!"
"Alayne, jetzt beruhige dich! Du weckst Merysa noch auf", zischte Darian und Alayne seufzte leise.
"Entschuldigung. Manchmal geht es mit mir so durch."
Ich richtete meinen Blick derweil wieder aus dem Fenster. Ich wollte unbedingt nach Hause! Aber war es das wirklich? War der rote Bergfried mein Zuhause? An Tywins Seite? Oder hatte ich mich von Anfang an getäuscht?
"Lena, du musst nach Hause", beharrte Alayne noch einmal, dann zog Darian ihre Hände von meinen. Nach Hause... Zwei einfache Worte und doch steckte so viel Ungewissheit in ihnen, verbarg sich dahinter doch meine Zukunft.
"Wir sollten schlafen gehen. Es war ein harter Tag und Lena sieht sehr fertig aus."
Seine Frau verstand die Anspielung und ließ von mir ab. Ich blickte ihn dankbar an und erhob mich, um mich erschöpft auf meine kleine Liege fallen zu lassen. Eine weitere Nacht brach an...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt