39.

342 23 0
                                    

Exakt ein Brief lag offen auf Tywins Platz, als sich sein Kriegsrat versammelte. Der Lord wurde auf den neuesten Stand gebracht, dann verkündete er den Inhalt des Pergaments - Stannis Baratheon war im Inbegriff, die Hauptstadt anzugreifen.
Ich lief um den Tisch und schenkte allen Wasser ein, ehe ich den Stapel ungelesener Briefe mit in meine Ecke nahm und mithilfe des Buchs der Häuser von Westeros sortierte. Nebenbei schielte ich immer wieder zu den Männern am Tisch. Tywin schien sichtlich unruhig. Kevan, der sich als Tywins Bruder herausgestellt hatte, hob die Stimme.
"Königsmund wird fallen binnen einer Stunde, wenn Stannis mit seiner Streitmacht erst dort gelandet ist. Noch können König Joffrey, Cersei und der Hofstaat nach Westen reiten und sich in Sicherheit bringen."
Tywin saß mit grimmigem Gesichtsausdruck auf seinem Platz.
"Und den Eisernen Thron aufgeben?"
"Besser, als ihre Köpfe aufgespießt auf den Stadtmauern zu sehen! Stannis wird sie alle hinrichten lassen!"
"Nein! Ein König, der flieht, wird nicht lange König bleiben! Er ist ein Lannister, er wird standhalten und kämpfen!", stolz blickte der Löwe für einen Moment auf den Tisch, ehe er weitersprach und seine Stimme an Bitterkeit gewann, "Stannis steht zwei Tagesritte vor der Hauptstadt und der Wolf auf meiner Türschwelle!"
Sein Blick haftete an dem Tisch, als hätte man ihn mit Baumharz festgeklebt. Er schien fieberhaft nachzudenken.
"Die Späher haben uns versichert, dass Robb Stark nördlich von Aschmark bleibt", meldete Kevan. Tywin schnaubte verächtlich.
"Ha! Das letzte Mal, als die Späher uns etwas über Starks Vorhaben versicherten hat er uns in eine Falle gelockt! Weshalb mein Sohn nun sein Gefangener ist."
Er stand auf und ging um dem Tisch herum. Die Briefe vor mir gerieten komplett in Vergessenheit, mein Blick lag gespannt auf dem Oberhaupt der Lannisters. Er blieb am Kamin stehen und stützte sich an dem Sims.
"Zu nahe an Casterlystein."
"Er hat eine kleine Schar gesandt, um Winterfell zurückzuerobern", berichtete Kevan weiter, "Die Graufreuds haben uns einen großen Gefallen getan. Stark wird nicht riskieren, Casterlystein anzugreifen, ehe er nicht bei voller Stärke ist."
"Er ist ein kleiner Junge und hat noch nie eine Schlacht verloren", erwiderte Tywin, "Er wird immer mit vollem Risiko kämpfen, weil er nicht erfahren genug ist, um Angst zu haben."
Er drückte sich vom Kamin ab, blickte kurz nachdenklich auf den Boden und trat dann hinter die Stühle seiner Männer. Sie alle blickten ihn erwartungsvoll an, er schien eine Entscheidung gefällt zu haben.
"Wir reiten, wenn es Nacht wird. Ich will eine ganze Nacht Vorsprung haben, bevor er merkt, dass wir unterwegs sind. Clegane, Ihr werdet hier in Harrenhal einen Stützpunkt beibehalten. Spürt diese Bruderschaft auf und vernichtet sie!"
Der Berg, der bis dahin die ganze Zeit geschwiegen hatte, blickte den Löwen ernst an und nickte.
"Verstanden, Mylord."
"Und die Kleine..."
Tywin drehte sich plötzlich zu mir um. Schnell richtete ich meinen Blick wieder auf die zwei Haufen vor mir, tat so als hätte ich meine Arbeit so eben beendet. Langsam sah ich auf, begegnete dem nachdenklichen Blick des Lords.
"Ja, Mylord?", fragte ich leise in die aufkommende Stille hinein. Was würde nun folgen? Sein Blick lag ruhig auf mir, er strich sich nachdenklich über den Bart, bevor er langsam wieder Platz nahm.
"Du wirst mich begleiten."
Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, sah er zu den anderen.
"Auf jetzt, bewegt euch und schlagt keine Wurzeln!"
Sie verließen allesamt im Gänsemarsch den Raum, während sein Blick weiter auf mir lag.
"Ist meine Rüstung fertig?"
"Ja, Mylord."
"Hilf mir gleich mit den Riemen. Verstau die Briefe in einem Beutel. Ich lese sie dann später."
Er verschwand bereits in seinem Schlafgemach, während ich die Briefe sorgfältig in einem Beutel verstaute. Dann folgte ich ihm und half ihm in seine Rüstung.
"Warum möchtet Ihr, dass ich Euch begleite?", traute ich mich zu fragen, "Ich würde doch nur unnötig im Weg stehen."
Ich wusste nicht, warum, doch insgeheim hoffte ich nun auf warme Worte seinerseits. Ich hoffte auf die Begründung, ihm würde meine Gesellschaft zu sehr gefallen oder etwas dergleichen.
Doch einmal mehr hatte ich mich getäuscht.
"Du weißt zu viel über meine Schlachtpläne", antwortete er und ließ sich von mir die Riemen fest zurren, "Dich hier zu lassen wäre eine Gefahr."
Erneut traf es mich. Ich hätte es eigentlich wissen müssen.
"Vertraut Ihr mir nicht, Mylord?"
Sein Blick begegnete meinem, ich sah seine Kiefer mahlen. Eine drückende Stille breitete sich aus, ehe er sprach.
"Geh schon einmal in den Hof hinunter, ich komme gleich nach."
Ich schluckte schwer, ehe ich zurück trat und mich nickend abwandte.
Wie hatte ich auch nur einen Moment lang etwas anderes als Hass für ihn empfinden können? Der an Fieber erkrankte Lord Tywin war Vergangenheit, dies war wieder der gefürchtete Lord Tywin. Und das musste ich nun einmal hinnehmen...

~~~

Ich sah ihr lange nach. Ob ich ihr vertraute? Sie hatte mir durch mein Fieber geholfen. Sie war da, als ich - wenn auch widerwillig - Hilfe brauchte. Ich vertraute ihr voll und ganz! Aber wie kam es herüber, wenn ich ihr die Wahrheit sagte? Dass ich sie nicht nur aufgrund ihres breiten Wissens mitnahm, sondern hauptsächlich aus einem anderen Grund. Mir gefiel ihre Gesellschaft. Der konzentrierte Blick, die Art wie sie sich durch die strubbeligen blonden Haare fuhr, wenn sie etwas zu verstehen versuchte. Dieses neugierige Funkeln in den blau-grauen Augen, sobald ich ihr etwas erzählte. Auch wenn ich es nicht verstand, so konnte ich die Vorstellung nicht ertragen, sie hier bei Clegane zu wissen. Er hätte sie nicht mit dem Respekt behandelt, den sie verdiente. Sie war um Längen klüger als er und dafür hätte sie womöglich büßen müssen. Nein, das würde ich Lena nicht zumuten! Sie hatte ihre Arbeit bisher gut gemacht, sie zurückzulassen wäre eine Zumutung, ja fast schon Bestrafung gewesen.
Warum scherst du dich so sehr um sie, Tywin, fragte ich mich selbst und band mein Schwert um. Sie stammt aus einer der ärmsten Schichten, sie sollte nicht von Belang für dich sein! Doch zu meiner Verwunderung war sie das nun einmal. Und so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte diese Gedanken nicht vertreiben...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt