37.

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Die ganze Nacht hindurch blieb ich an Lord Tywins Seite sitzen. Zwischendurch schlief ich ein, aber wenn ich wieder erwachte, ruhte seine Hand immer noch auf meiner und er schien sich nicht gerührt zu haben. Jedesmal starrte ich dann auf die Decke, um zu sehen, ob er noch atmete. Und ich war erleichtert, dass sie sich mit jedem seiner Atemzüge hob und senkte.
Mit der nächsten Morgendämmerung stand ich auf und ging zum Fenster. Am Horizont weit hinter den Mauern sah ich Nebel über das offene Land kriechen, im Hof unter mir erwachte langsam wieder Leben. Ich überlegte, rauszugehen, als ich hinter mir eine heisere Stimme vernahm.
"Habe ich dir erlaubt, aufzustehen?"
Ich drehte mich um und sah in trübe blaue Augen. Er wirkte etwas stärker als am Vortag und als ich zu ihm zurückkehrte und ihm die Hand auf die Stirn legte, schien das Fieber etwas gesunken zu sein. Erleichterung erfüllte mich, auch wenn ich dieser offensichtlichen Besserung nicht vertraute.
"Was kann ich für Euch tun, Lord Tywin?"
"Ich würde gerne ein Bad nehmen. Ich fühle mich unwohl!"
Ich war mehr als nur erfreut, das zu hören.
"Natürlich, Mylord. Ich mache den großen Waschzuber fertig."

Einige Zeit später stützte ich ihn die fünf Schritte durch den Raum zurück ins Bett. Durch das viele Liegen der letzten Tage waren seine Beine stark geschwächt und er drohte sofort zu fallen. Er hatte sich gewaschen, während ich ihm ein neues Gewand bereit legte. Nun legte er sich wie von selbst wieder unter die Decke, während ich im Kamin ein neues Feuer entfachte.
"Wie fühlt Ihr Euch, Mylord?"
"Besser, denke ich. Ich hoffe, dass das bald vorbei ist."
"Nicht nur Ihr hofft das, Mylord."
Ich richtete mich auf und nahm wieder auf dem Stuhl Platz. Die Müdigkeit zerrte schwer an mir, doch ich riss mich zusammen, ihm dies nicht zu zeigen.
"Habt Ihr noch einen Wunsch?"
Er sah mich müde an.
"Erzähle mir eine Geschichte, Lena."
"Ich kenne keine guten Geschichten, Mylord."
"Dann erzähle mir von dir."
Ich biss mir auf die Lippe. Ich hatte eigentlich gehofft, ihm nichts mehr von mir erzählen zu müssen.
"Nun, ich bin viel gereist in den letzten Jahren."
"Du bist viel gereist?"
Ich atmete tief durch.
"Ja, aber immer nur in den Flusslanden geblieben. Obwohl es eigentlich mein Ziel war, von hier zu verschwinden. Die Götter haben einen eigenartigen Humor."
Er strich sich über den Bart, taxierte mich mit prüfenden Augen. Soweit ihm das mit seiner wenigen Kraft noch möglich war.
"Und warum bist du dann noch hier, wenn du eigentlich verschwinden wolltest?"
Ich blickte nachdenklich aus dem Fenster.
"Vielleicht ist es meine Strafe. Ich gehe seit Jahren über verschiedene Straßen. Anscheinend wählte ich immer die falsche Abzweigung und begann meine Suche erneut. Ich blieb irgendwo, hoffte auf ein neues Zuhause, doch auch da holten mich meine Schatten ein. Das ist der Preis für meinen frühen Ungehorsam. Mutter befahl mir, auf dem Markt stets bei der Familie zu bleiben, doch ich lief voraus. Ich sah sie sterben, Vater, Mutter und meinen kleinen Bruder. Die Bilder verfolgen mich. Ihre Schreie verfolgen mich. Ich renne und renne, doch immer nur in einem Teufelskreis. Ich werde wohl nie frei sein. Stattdessen lebt meine innere Bestie für mich, wird von Tag zu Tag größer. Und niemand kann stoppen, dass sie mein Herz verschlingt. Eines Tages, hoffe ich zumindest, wird all mein Empfinden vergangen sein. Ein Leben ohne Schmerz, das wünsche ich mir."
Ich richtete meinen Blick wieder auf ihn, schluckte den aufkeimenden Zusammenbruch herunter. Er schwieg einen Moment, blickte mich durchdringend an. Dies war nicht der Lord Tywin, den die Welt kannte. Dieser hier war nachdenklich und fast schon wehleidig.
"Und mal angenommen, du würdest einer weiteren Bestie begegnen... Wäre es möglich, diese beiden Bestien gegeneinander kämpfen zu lassen, um die schwer verwundeten Herzen dahinter zu retten?"
Ich blickte ihn lange an, dann legte ich kurz meine Hand auf seine immer noch heiße Stirn und wechselte einmal mehr die Umschläge um seine Waden.
"Ihr solltet Euch ausruhen, Mylord. Kriege lassen sich nicht durch Fieber gewinnen."
Er nickte knapp, schloss die Augen und war kurz darauf eingeschlafen. Dies war nicht das Lannisteroberhaupt, welches ich abgrundtief hasste. Dies war nicht die grausame, kalte Bestie.
Ich blickte ihn lange an, dann beugte ich mich wie in Zeitlupe vor, um fast schon zärtlich einen Kuss auf seine Stirn zu hauchen. Ich wusste nicht, warum und ich hasste mich selbst dafür, doch es fühlte sich gut an, für ihn zu sorgen. 
"Unsere Bestien kämpfen seit unserer ersten Begegnung miteinander, Mylord", wisperte ich zögerlich. Ob ich diese Seite bei ihm kennengelernt hätte, wenn er nicht an Fieber erkrankt wäre?
Es war dieser Moment, als ich zum ersten mal ein hauchfeines winziges Lächeln in dem Gesicht des Löwen sah. Mit geschlossenen Augen lag er friedlich da und ich verspürte keinen Hass mehr. Nur ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, während ich zum ersten mal seit Jahren mein Herz wieder schlagen spürte. Richtig schlagen spürte. Und es fühlte sich ungewöhnlich gut an.
Kaum merklich strich ich über seinen Bart und begann unbewusst leise zu summen. Und es packte mich der eiskalte Schock, als ich realisierte, welches Lied erklang. Es war der Regen von Castamaer, der meine Lippen verließ...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt