26.

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Mittlerweile wiederholte ich die Buchstaben schon zum fünften Mal, prägte mir ihre Laute ganz genau ein. Tywin hatte inzwischen aufgegessen und ging durch den Raum. Er schien etwas zu suchen.
"Lena, hast du den Brief gesehen, der hier gestern auf dem Tisch lag?"
Ich hörte ihn nicht, starrte konzentriert auf die Zeichen. Tywin hatte eine schöne Handschrift, wie ich fand. Teils geschwungen, teils eher hart und kantig sprangen mir die Buchstaben ins Auge. Würde ich irgendwann auch einmal so schreiben können? Würde ich mit dem Lesen auch das Schreiben lernen?
Tywin knallte vor mir seine Hände auf den Tisch und ich zuckte zusammen.
"Ich rede mit dir!"
Erschrocken sah ich zu ihm auf, er wirkte sehr gereizt.
"Gestern Abend noch lag hier ein Brief auf dem Tisch, bezüglich Robb Stark. Hast du ihn gesehen?"
"Als ich heute Morgen den Raum betrat, lag lediglich eine leere Karte und Eure Feder mit Tinte auf dem Tisch, Mylord. Da war kein Brief."
Ich verstand nicht, was er nun von mir wissen wollte. Er beugte sich vor, sah mir prüfend direkt in die Augen.
"Wenn du lügst, Lena, dann schwöre ich dir..."
Die Tür wurde aufgerissen und ein Soldat kam hereingestürzt.
"Mylord!"
Meine Augen weiteten sich und der Ekel kam wieder hoch. Es war Lorch.
Tywin drehte sich zu ihm um, da kippte Lorch einfach um und fiel zu Boden. Schnell blickte ich zu Tywin, dessen Augen sich weiteten. Er starrte auf den reglosen Lorch hinab, dann hörte ich mich selbst brüllen.
"Wachen!"
Ich hielt mir die Hand vor den Mund und sah erschrocken erneut zu Tywin. Der erwachte aus seiner Schockstarre und blickte langsam zu mir. Er hätte nach den Wachen rufen sollen und das wusste ich. Wir sahen uns in die Augen, als zwei weitere Soldaten in den Raum stürmten und beinahe über Lorch stolperten.
"Ein Attentat", knurrte Tywin und deutete auf die Leiche, "Findet den Täter und bringt ihn zu mir! Befragt jeden hier im Hof! Und beseitigt ... den Mann da."
Lorchs eine Hand war zur Faust geballt.
"Wartet, Mylord", ich schlich zu dem Toten und zog einen Papierfetzen aus seiner Hand, "Ich glaube, er wollte Euch etwas bringen."
Ich reichte ihm den Fetzen und er überflog schnell die Zeilen.
"Der Brief, den ich suchte. Scheinbar hat ihn jemand entwendet und er brachte ihn zu mir zurück."
Lorch wurde weggetragen und ich blickte ihm mit leisem Knurren nach. Unweigerlich fanden meine Fingerspitzen meine Wange. Jeder bekam, was er verdiente.
"Was hast du?"
Tywin hatte sich wieder gesetzt und musterte mich. Ich blickte zu ihm.
"Das war der, der mich gestern geschlagen hat."
"Er? Nun, dann spare ich mir wohl einen Strick. Komm wieder her, ich frage dich noch einmal die Buchstaben ab."
Ich setzte mich neben ihn und schon tippte er wahllos auf dem Papier herum.
"T...L...A...S...", erinnerte ich mich an das Gelernte und konnte alle Buchstaben benennen. Tywin nickte.
"Das soll fürs Erste reichen. Ab jetzt wirst du mir jeden Abend Gesellschaft leisten und lernen. Verstanden?"
Ich nickte. Er meinte es wirklich ernst.
"Gut, dann geh deinen Pflichten nach. Ich habe zu arbeiten."
Mit gesenktem Kopf erhob ich mich und schlich zur Tür. Ich drehte mich nochmal um und sah, wie er meinen Lernzettel wieder in das Buch legte und zuklappte, bevor er Papier heranzog und seine Feder in die Tinte tauchte...

Den ganzen Tag über konnte ich beobachten, wie Soldaten und Bedienstete beidermaßen ausgefragt wurden. Ich ging in die Schmiede, wo Heiße Pastete und Arya schon warteten.
"Haben sie euch auch ausgefragt?", erkundigte ich mich und beide nickten.
"Ein Attentat auf Lord Tywin... Das würde ich mich niemals trauen!", sagte Heiße Pastete und Arya piekste ihm spielerisch in die Seite.
"Du traust dich gar nichts!"
Beide begannen etwas zu raufen und ich nahm Abstand. Ich hatte noch Schmerzen an der Wange und wollte mir heute keine neuen Wunden dazuholen.
Gendry kam zu uns und die beiden Raufbolde trennten sich.
"Und?", erkundigte sich Heiße Pastete, "Wie lief es?"
Gendry zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß von keinem Attentat. Und da ich hier bei euch stehe, scheinen sie mir das auch zu glauben."
"Was passiert wohl mit dem Schuldigen?"
Ich starrte in die Ferne, stellte mir das Szenario bildlich vor.
"Lord Tywin wird ihn hängen. Oder köpfen. Aber erst, nachdem er durch Ser Gregor gefoltert wurde."
Arya rutschte etwas unruhig hin und her. Ich sah, wie Heiße Pastete kurz nach ihrer Hand griff und sie beruhigend drückte.
"Keine Sorge, uns wird nichts passieren. Wir waren es schließlich nicht."
Diese Szene erinnerte mich an meinen Bruder und mich, als ein großer Junge in unserer Nachbarschaft etwas gestohlen hatte und die Schuld auf meinen Bruder schieben wollte. Mit zehn führte ich mein erstes, richtiges Wortgefecht, behauptete mich gegen den Jungen. Es war mir egal, dass die Beweise offensichtlich gegen ihn sprachen. Ich war stolz, dass ich meinen Bruder hatte verteidigen können.
Ein kurzes Lächeln huschte über mein Gesicht, dann verdrängte ich die Erinnerung. Jetzt war nicht die Zeit zum trauern. Es galt oberste Vorsicht, ein Mörder lief durch Harrenhal. Ein Mörder der eigenen Reihen...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt