17.

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Ich erwachte wie fast immer mit einem erstickten Schrei. Der dunkle Nachthimmel gewann zunehmend an leuchtender Morgenröte, während ich mir die Augen rieb und mehrfach blinzelte. Dieser Alptraum war noch schlimmer gewesen als alle anderen. Er quälte mich. Alles schmerzte, besonders mein Kopf. Dennoch stand ich auf. Meine eigentliche Arbeit begann erst heute, die Aufgaben gestern waren nur der Auftakt gewesen.
Ich öffnete die Tür und trat auf den Flur. Es schien, als würde ganz Harrenhal noch schlafen. Kein Laut war zu hören, nur dir Tiere rumorten draußen in ihren Pferchen und schienen schnaubend die Knechte mit den Futtereimern zu erwarten.
Meine Schritte hallten von den riesigen dunklen Wänden wider, zerrissen die Stille wie ein Bär seine Beute. Automatisch verlagerte ich mein Gewicht etwas und schlich weiter in den dunklen Turm.
Es sah chaotisch aus. Tywins Männer saßen immer noch am Tisch und hatten allesamt die Augen geschlossen. Zwischen ihnen lagen leere Teller und Weinbecher, der Krug war umgekippt. Schnarchen erfüllte die Luft, die Feuerstelle enthielt nur noch einen letzten Rest Glut, gerade noch genug für ein neues Feuer.
Ein grenzenloser Übergang von dem Bild gestern zu dem heutigen. Nur eine Sache war anders: Der Stuhl des Löwen war leer. Ich vermutete ihn hinter der großen dunklen Tür in der Ecke links vom Kamin. Vorsichtig schlich ich dahin und öffnete sie so leise wie möglich.
Und da lag er.
Zusammengerollt unter einer gemütlich aussehenden dicken Decke lag er seelenruhig da und schlief tief und fest, sein leises Schnarchen drang zu mir. Doch auch jetzt zeigte er kein Anzeichen von einem Lächeln, viel eher sah er noch gereizter aus als im wachen Zustand.
In einer Hand hielt er krampfhaft ein Stück der Decke und zupfte nervös daran herum, während er immer wieder zuckte und den Kopf schüttelte. Fasziniert blieb ich einen Moment lang stehen und beobachtete ihn. Er schien einen Alptraum zu haben. Wovon träumte er? Ich würde ihn nicht fragen, er sah jetzt schon wütend aus. Ich wollte nicht wissen, wie er gleich aussah, wenn ich ihn weckte.
Ich holte tief Luft und ging auf ihn zu.
"Lord Tywin.. Lord Tywin, wacht auf!"
Ruckartig riss er seine Augen auf und starrte mich an, er holte aus - und stoppte um Haaresbreite vor meinem Gesicht.
"Sieben Höllen...", er stockte kurz und senkte die Hand, "Wo bin ich?"
"Harrenhal, Mylord. Ihr hattet einen Alptraum."
Kurz sah er mich verwirrt an, dann nickte er und wurde wieder der Stein von gestern. Seine Gesichtszüge waren wieder hart und sein Blick gleichgültig.
"Hol mir warmes Wasser zum Waschen. Beeile dich!"
Ich nickte nur und machte kehrt, erneut vorbei an den schlafenden Männern. Ich holte zwei Eimer voll warmes Wasser und brachte sie Tywin. Der saß mittlerweile aufrecht auf dem Bett und beobachtete mich. Ich fühlte mich unwohl und erwiderte seinen Blick nicht ein einziges Mal. Dennoch spürte ich ihn. Spürte, wie er sich in mich bohrte. Ich hasste es.
"Jetzt leg mir frische Kleidung heraus. Dort drüben."
Er machte eine Handbewegung zur Wand rechts von mir. Ich ging zu einer großen Holztruhe und zog ein ordentlich gefaltetes, schwarzes Ledergewand hervor. Es ähnelte dem von gestern, dennoch war es anders. Das Leder war diesmal etwas mehr braun angehaucht und die Schultern mit hellbraunen Fadenmustern bestickt.
"Bereite mein Frühstück vor. Ich habe Hunger."
"Was wünscht Ihr zum Frühstück, Mylord?"
"Gebratenen Schinken, etwas Brot und Wein."
Mit jedem Wort wurde seine Stimme einen minimalen Hauch wärmer. Er schien sich bis eben noch mit seinem Traum auseinandergesetzt zu haben. Wie sehr mich doch interessierte, was er geträumt hatte! Aber hätte ich gefragt, wäre seine Hand vermutlich doch unsanft auf meiner Wange gelandet.

~~~

Ich sah ihr nach, bevor ich aus der Kleidung schlüpfte und mich wusch. Fast hätte ich ihr eine Ohrfeige gegeben.. Reiß dich zusammen, Tywin, schalt ich mich selbst. Du wirst nicht die Hand gegen sie erheben! Vergiss nicht, wer du bist!
Einmal mehr verfluchte ich den Schlaf. Wenn ich schlief, verlor ich die Kontrolle. Und wenn ich die Kontrolle verlor, erschien sie mir wieder. So schön wie eh und je. Mit ihren blonden Haaren und ihren grünen Augen in dem rot-goldenen Kleid. Ich schloss die Augen und genoss für einen minimalen Moment die Bilder der Erinnerung - bis sich mir ein anderes vor das innere Auge schob und erneut die Panik in mir ausbrach. Überall so viel Blut, dazwischen die Liebe meines Lebens mit aufgerissenem Körper in ihren letzten Atemzügen. Leere Augen blickten mir entgegen, während sie schwach die Hand nach mir ausstreckte.
"Tywin... Ty..win..."
Immer und immer wieder leise mein Name, während ich panisch ihre Hand ergriff. Warum nur konnte ich ihr nicht helfen?! Was war ich für ein schrecklicher Gatte, dass sie mir so entglitt? Und zu welchem Preis?!
"Kümmere ... dich gut um ... Tyrion..."
Knurrend riss ich die Augen auf und warf zornig den Lappen gegen die Wand. Schwer atmend fuhr ich mir durch das Gesicht, ehe ich mich zur Ruhe zwang, abtrocknete und anzog. Du bist jetzt wieder wach, konzentriere dich auf das Wesentliche, dachte ich und schüttelte gedankenklärend den Kopf. Du musst jetzt stark bleiben! Du musst einen Krieg gewinnen! Für dein Vermächtnis! Für die Familie!
Ich wandte mich ab und betrat den Arbeitsraum. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich es sah. Meine Männer schliefen seelenruhig am Tisch! Ich war anscheinend wirklich von Idioten umgeben! Ich hatte ihnen doch ausdrücklich befohlen, sich Strategien auszudenken! Einen Krieg gewann man definitiv nicht durch schlafen!
Ich ging zu meinem Platz, wartete einen Moment und knallte dann kraftvoll meine Hände flach auf die Fläche vor mir. 
"Wenn die Herrschaften dann ausgeschlafen haben, würde ich gerne Ergebnisse hören!"
Die Männer rissen die Augen auf und zuckten zusammen, ehe sie ihre Augen auf mich richteten.
Erwartungsvoll erwiderte ich den Blick jedes einzelnen, während ich mich auf meinem Stuhl niederließ.
"Darf ich davon ausgehen, dass ihr Nichtsnutze nichts geschafft habt?"
Ich registrierte das Mädchen, welches mit einem Teller und einem Krug Wein zu mir kam. Doch meine Blicke galten ganz meinen Männern, die mit gesenkten Köpfen auf den Tisch starrten.
"Schaut mal, das Mädchen hat es auch geschafft, ihrer Arbeit nachzugehen! Nehmt euch mal ein Beispiel daran!"
Ein langes Schweigen hing in der Luft, aber ich wusste, was nun zu tun war.
"Wenn ihr schon keine Strategien vorweisen könnt, dann lasst uns alle bekannten Informationen sammeln. Bei allen sieben Höllen, verlässt man sich hier einmal auf jemanden, dann ist man verlassen!" ...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt