Ein Klopfen riss mich aus verwirrten Träumen. Ich fühlte den Schmerz in meiner Wange pochen und verzog das Gesicht, während ich etwas den Kopf hob. Es war stockdunkel, nur das Licht der vielen Fackeln im Hof fand schemenhaft seinen Weg zu meinem Fenster.
"Herein?"
Ich kannte es nicht, dass man bei mir klopfte. Normalerweise traten die Leute immer einfach so ein. Umso mehr verwirrt war ich, als sich die Tür knarzend öffnete und Lord Tywin höchstpersönlich meine Kammer betrat. Er hielt eine Öllampe in der Hand, deren schummriges Licht bizarre Schatten an die Wand warf. Das Licht der winzigen Flamme betonte seine blauen Augen stark, welche neugierig funkelten. Er blickte sich um und zog ein wenig die Nase kraus, als würde ihm dieser Raum ganz und gar nicht gefallen. Aber er war auch deutlich besseres gewohnt.
"Ich hörte, meine Gehilfin hätte eine Auseinandersetzung mit einem Eisenhandschuh gehabt und könne heute nicht mehr arbeiten?"
"Nein, Mylord, verzeiht mir", erwiderte ich und neigte den Kopf vor ihm, nicht aber ohne leise vor Schmerzen zu Ächzen. Tywin ging den kleinen Schritt zu mir und hockte sich vor meiner kleinen Liege hin.
"Lass mal sehen...", kaum merklich berührten seine Finger die Stelle, doch ich schreckte sofort zurück. Ich hörte Tywins leise geknurrtes "Halt still!" und schluckte. Mit Zeigefinger und Daumen nahm er mein Kinn und drehte meinen Kopf etwas zur Seite. Ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren, während er die Stelle genau begutachtete. Dann zog er sich wieder zurück.
"Es scheint dich wirklich voll getroffen zu haben. Wie fühlst du dich?"
"Ein wenig schwindelig, aber schon etwas besser, Mylord."
So viel Sanftheit kannte ich gar nicht von ihm! Es war ungewohnt und irgendwie erschreckend.
Er stellte die Öllampe auf dem Boden ab und setzte sich auf den Rand der Liege. Ich zog die Füße an und rutschte so weit von ihm weg, wie es nur ging.
"Wer hat dich Lesen gelehrt?", fragte er plötzlich und ich blickte ihn verwirrt an, "Du wusstest vorhin, welches Buch ich meinte, obwohl ich dir nicht sagte, wo es genau liegt."
"Ich habe geraten, Mylord."
Er sah mich direkt an, wirkte von meiner Antwort etwas enttäuscht.
"Wie meinst du das?"
"Die Geschichte der großen und kleinen Häuser... Ich nahm an, dass das viele sind und viele Häuser benötigen viel Platz auf vielen Seiten. Daher entschied ich mich für das größte und schwerste Buch. Solches Verbinden von Informationen habe ich von meinem Vater gelernt."
"Klug... Ich habe das Lesen meinen Sohn Jaime gelehrt. Der Maester kam irgendwann zu mir und sagte, dass er es nicht lerne. Er verstand die Buchstaben nicht, er verwechselte sie ständig. Der Maester meinte, er hätte schon zuvor von diesem Leiden gehört und wir müssten uns damit abfinden. Daraufhin sorgte ich dafür, dass Jaime jeden Tag vier Stunden las, bis er es lernte. Er hat mich gehasst... Eine Zeit lang... Eine lange Zeit... Aber er lernte es."
Je länger der Lord erzählte, desto mehr bekam sein Gesicht einen Ausdruck, den ich so von ihm nicht kannte. Sein Blick war in die Ferne an die Wand gerichtet, ich hörte ihn leise amüsiert Schnauben. Er war nicht mehr hier, so viel war sicher. Er war irgendwo anders, zu einer Zeit, die mir unbekannt blieb.
Er drehte sich wieder halb zu mir und blickte mir direkt ins Gesicht.
"Wo ist dein Vater? Lebt er noch?"
Ein fieser Stich bohrte sich in mein Herz, ich kniff die Augen zu und schüttelte den Kopf. Die Bilder kehrten zurück und meine Stimme wurde leise und brüchig.
"Nein, Mylord."
"Was war er?"
"Einfacher Bauarbeiter, Mylord."
Tywin nickte verstehend und musterte mich weiter.
"Ein Bauarbeiter mit gut ausgeprägtem logischen Verstand, wie mir scheint. Aus ihm hätte vielleicht noch etwas werden können. Woran starb er?"
Ich wendete den Blick ab und starrte auf den Boden neben seinen Stiefeln.
"An einer Heldentat", flüsterte ich bitter. Ich wollte nicht weiter darüber sprechen. Seine Fragen taten mir unheimlich weh.
"Du bist ein schlaues kleines Ding, was?"
Mein Blick begegnete wieder seinem, erneut durchflutete mich ein Gefühl von Stolz unter dem Lob. Zudem packte mich die Neugierde. Dieses Spiel konnten zwei spielen!
"Und Ihr...? Verzeihung, Mylord, mir sind Fragen nicht erlaubt..."
"Nein. Aber du hast doch schon angefangen."
"Habt Ihr Euren Vater gekannt, Mylord?"
Er blickte wieder an die Wand, ich sah seine Kiefer mahlen.
"Ja, habe ich. Ich wuchs bei ihm auf. Und sah zu, wie er alt wurde. Er hat uns geliebt. Er war ein guter Mann. Aber ein schwacher Mann. Fast hätte er unser Haus und unseren Namen zerstört..."
Er atmete aus, sprach nicht weiter. Für ihn schien das Thema beendet, deshalb gab ich mich mit der Antwort zufrieden.
Plötzlich tat sich mir die Frage auf, warum ich überhaupt mit ihm sprach. Auch wenn es mir nicht gefiel, so hegte ich wahres Interesse für seine Erzählungen. Lord Tywin war ein sehr kluger Mann, das musste man ihm lassen. Und seine Ausdrucksweise faszinierte mich irgendwie.
Eine Bewegung riss mich aus den Gedanken, er war aufgestanden und hob die Öllampe vom Boden auf. Er ging zur Tür und sah noch einmal zu mir, jedoch diesmal mit demselben ausdruckslosen Blick wie immer. Der sanfte Moment war vorbei.
"Morgen früh weckst du mich und arbeitest wie sonst auch, verstanden?"
"Ja, Mylord."
"Bring deinen Verstand mit, ich möchte etwas austesten."
Ich nickte und er wandte sich zum Gehen. Doch er haderte und drehte noch einmal seinen Kopf zu mir.
"Hast du eigentlich einen Namen?"
Wir sahen uns lange an. Sollte ich mir einen anderen Namen überlegen? Dem Löwen meinen richtigen Namen nennen? Meine Zunge war schneller als mein Verstand.
"Lena, Mylord."
"Lena...", wiederholte er nachdenklich, dann ging er ohne ein weiteres Wort hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Was war das eben? Warum war er hier gewesen?
Ich lehnte mich zurück in das Kissen und schloss erneut die Augen. Träume von einem lesenden Jungen und meinem Vater begleiteten mich durch die Nacht, ebenso zwei strahlend blaue Augen, die mich auf Schritt und Tritt verfolgten und eine raue Stimme, die nachdenklich meinen Namen flüsterte...
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A Beast's Heart
FanfictionWenn dir die Menschen entrissen werden, die du liebst, dann wirst du zu einem Stein. Du hasst diejenigen, die sie dir weggenommen haben. Du willst sie alle tot sehen. Dieser Hass zerfrisst dich, macht dich eiskalt und unberechenbar - Du wirst eine B...