8.

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Uns blieb noch ein Tag, um unseren Marsch zu beenden. Und es schien, als würden wir unser Ziel doch schon früher erreichen, als geplant.
Schon weit vor Harrenhal selbst ragte das Götterauge vor uns auf. Ein riesiger See in den Flusslanden. Die Ruine lag an seinem nördlichsten Punkt, das war unser Ziel. So gingen wir am Ufer entlang, das Wasser stets links von uns haltend. Weit war es nun nicht mehr, man konnte die Türme Harrenhals bereits erkennen. Oder zumindest das, was von ihnen übrig geblieben war.
Ein oder zwei Sonnenstrahlen schafften es durch die Wolkendecke und brachten die Wasseroberfläche neben mir zum Glitzern. Wind trieb kleine Wellen vor sich her. Es würde noch mehr regnen, man konnte es riechen.
"Sind wir endlich da?", fragte Heiße Pastete ärgerlich und keuchte schwer von dem langen Marsch, "Ich kann nicht mehr!"
"Sieh doch, du Blödmann", maulte Arya und streckte den Arm nach vorne, deutete mit dem Finger zwischen die Köpfe zweier Soldaten auf die Burg, "Da ist es!"
"Was, meint ihr, wird uns da erwarten?", fragte Gendry und die drei begannen ihre Spekulationen. Ich hielt mich zurück, richtete meinen Blick stumm auf das Wasser. Stille Wasser sind tief, schoss es mir in den Kopf und ich überlegte. Du hast in den letzten Tagen viel zu viel gesprochen.
"Lenn, was ist mit dir? Hast du eine Idee?"
Ich sah zu Arya hinab und schüttelte nur den Kopf. Dann sah ich nach vorne, fixierte mich für den Rest des Weges auf den schwarzen Koloss, der sich vor uns auftürmte. Wer wusste schon, wie lange wir dort bleiben würden? Und wer wusste, wer von uns diesen Ort jemals wieder lebendig verlassen würde?
"So, ihr elenden Hurensöhne, das ist Harrenhal!", brüllte Ser Alrik und Gemurmel machte sich breit. Ich hörte kaum zu, versuchte mir vorzustellen, wie diese Ruine wohl früher ausgesehen haben mochte. Meine Mutter hatte mir einst vor dem Schlafengehen vom Hofleben erzählt. Von prunkvollen Burgen und Schlössern. Von wunderschönen Frauen in hübschen Kleidern und Männern, die diese mit Blumen und Poesie umgarnten. Meine Mutter verstand es, Bilder zu erzeugen, obwohl man Dinge wie diese nie zuvor wirklich gesehen hatte. Auf meine Frage, woher sie das alles wüsste, hatte sie mir jedoch nie eine Antwort gegeben.
Ich versuchte nun also, mir Harrenhal zu seiner Glanzzeit vorzustellen. Doch es gelang mir einfach nicht. Da lag nur dieser riesige Haufen Geröll und Schutt vor uns, von dem einige starke Überreste Bestand gehalten hatten. Und als wir schließlich das Eingangstor erreichten und den riesigen Hof betraten, wurde mir speiübel. Die im Kopf erzeugten Bilder von Mutters Erzählungen verblassten komplett, als mir der beißende Geruch in die Nase trat. Kot, Krankheit, Schweiß, Verzweiflung und Fäulnis - Ich war mir sicher, dass so der fortgeschrittene Tod roch. Die schwere Luft wurde von Geschrei zerrissen, jeder Schritt befleckte meine Füße mit einem Gemisch aus Kot, Matsch und sogar Blut. Als ich zögerlich den Blick hob, fiel mir ein Blutstropfen wie eine Träne direkt unter das Auge. Er stammte aus einem abgetrennten Männerkopf, der auf der Mauer aufgespießt worden war. Tausende von Fliegen schwirrten brummend um die Dutzenden von Leichen, gönnten sich mit den Krähen ein Festessen. Ich beobachtete einen Vogel, der gerade nach einem Auge einer Leiche pickte und musste ein Würgen unterdrücken. Hier wurde gefoltert, was das Zeug hielt! Und ich war jetzt mittendrin.
Ein Koloss von Soldat baute sich vor Ser Alrik auf.
"Sind das alle?", fragte er mir kratziger Stimme und der Schwarzhaarige nickte.
"Ja, Ser Gregor, die haben wir alle gefunden."
"Steckt sie zu den anderen in die Pferche dort."
"Ist Harrenhal nicht berühmt für seine vielen Verließe? Die Pferche sind doch für Vieh gedacht!"
Der Riese, der sich als Ser Gregor herausstellte, musterte Ser Alrik von oben bis unten.
"Die Verließe sind voll. Siehst du hier Vieh?"
"Nein."
"Dann stehen die Pferche leer und wir können sie anderweitig verwenden. Und jetzt schafft die Gefangenen da hinein! Wenn Lord Tywin am Ende dieser Woche hier aufschlägt, will ich Ordnung haben! Verstanden?"
"Ja, Ser Gregor", riefen die Soldaten einstimmig und trieben uns unter Ser Alriks Anleitung in einen der Pferche. Andere Gefangene sahen langsam zu uns auf, rückten enger zusammen. In vielen ihrer Augenpaare konnte ich pure Panik erkennen. Mit einem Mal wünschte ich, wir wären noch im Wald unterwegs gewesen. Dieser Ort machte mir jetzt schon panische Angst. Dutzende rote Umhänge und Rüstungen in einem Meer aus Fleisch, Matsch und Blut. Just mit diesem Gedanken grollte der Donner über Harrenhal, während ich mich in die hintere Ecke des Pferchs drängte und mich zur Ruhe zwang. Jetzt brauchte ich meine volle Konzentration mehr denn je...

A Beast's HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt