In Treatment - Der Therapeut

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Nach einer kurzen Pause hatte der Vorstadtstalker endlich seine mit Spannung erwartete Fortsetzung veröffentlicht. Mitten in der Nacht hinterließ er eine zweite Runde voyeuristischer Videobänder vor den Haustüren. Wieder mal wurden Videorekorder widerwillig entstaubt. Und wieder mal zeigten sie stundenlang Aufnahmen von den Häusern der Bewohner. Nur diesmal war die Kamera viel, viel näher. Angst verbreitete sich. Was machte der Stalker als nächstes? Einen Einbruch? Und als wäre das nicht schon beunruhigend genug, verschickten die Colleges und Universitäten die ersten Briefe. Einige dünn, andere dick. Aber alle lebensverändernd. Und so begann eine besonders stressige Zeit für die Abschlussklasse der Riverdale High. Deshalb bat Principal Honey, der Schulleiter, auch die Vertrauenslehrerin der Schule, Mrs Burble, verlängerte Sprechzeiten anzubieten. Damit die verängstigten Schüler zu einer ausgebildeten Expertin gehen konnten, um sich Trost oder Ratschläge einzuholen. Und das war etwas, das viele von uns dringend brauchten. Besonders meine Mutter und ich. Wir beschlossen, dass es Zeit war endlich unsere Differenzen aus der Welt zu schaffen.
"Also, wobei kann ich helfen?", fragte Mrs Burbble uns.
"Also... Meine Mutter und ich haben einige Schwierigkeiten in der Vergangenheit gehabt.", begann ich zu erklären. "Und wir wollen das klären."
Meine Mutter nickte zustimmend und überschlug ihre Beine.
"Von was für Schwierigkeiten sprechen wir hier?" Mrs Burbble sah zwischen uns beiden hin und her.
"Naja, wir streiten. Oft."
"So oft nun auch wieder nicht.", schaltete sich meine Mutter ein und lachte leicht. Verwirrt runzelte ich die Stirn.
"Oh mein Gott, du tust es schon wieder.", stellte ich geschockt fest.
"Was denn?"
"Du tust so, als wär alles in Ordnung bei uns. Und das nur, weil eine Fremde vor uns sitzt.", antwortete ich genervt.
"Das ist gar nicht wahr. Meine Tochter ist manchmal etwas hitzköpfig.", meinte meine Mutter und blickte Mrs Burbble mit ihrem strahlendsten Lächeln an. Mich würdigte sie keines Blickes.
"Dir ist es gerade wirklich wichtiger, was Mrs Burbble von uns denkt als unsere Probleme zu lösen?", fragte ich entsetzt. Bevor meine Mutter etwas sagen konnte, fiel die Therapeutin uns ins Wort.
"Okay, ich seh schon wo der Schuh drückt. Offenbar herrscht hier ein Kommunikationsproblem." Mrs Burbble machte sich Notizen und sah mich dann an.
"Sierra, verstecken Sie Dinge vor Ihrer Mutter?"
Erwartungsvoll sah meine Mutter mich von der Seite an. Genau das würde sie natürlich nur zu gern wissen.
"Ja, natürlich. Das macht jeder, aber... Sie macht genau dasselbe.", antwortete ich dann ehrlich.
"Sie glauben, sie hat auch Geheimnisse vor Ihnen?"
"Ja, eigentlich seit dem Tag meiner Geburt."
"Doch nur, wenn es zu ihrem besten ist. Ehrlich.", warf meine Mutter abwinkend ein.
"Oh und dass du mir verschwiegen hast, wer mein richtiger Vater ist war zu meinem besten, ja?", fragte ich provokant und sah sie ernst an.
"Ich wollte dich doch nur beschützen, nichts weiter.", erklärte sie mir.
"Und warum hast du mir nicht erzählt, dass ich die Serienkiller-Gene habe?", fiel ich mit der Tür ins Haus. Jetzt wusste sie es. Und ich war gespannt, wie sie sich rausreden würde. Meine Mutter öffnete erschrocken den Mund.
"Eine Mutter möchte ihr Kind beschützen."
"Sie haben das jetzt mehrere Male gesagt. Sierra ist jung, Sierra ist ein Kind. Warum denken Sie das?"
"Sie ist es. Ich... Hören Sie, es ist okay für mich. Ich ertrage ihre Beleidigungen. Das ist das Kreuz, das ich als Mutter zu tragen habe. Aber die Dinge, die ich in der Vergangenheit getan habe... Sie soll einfach nicht dieselben falschen Entscheidungen treffen. Und vor allem dachte ich, dass wenn sie von den Serienkiller-Genen nicht weiß, dass sie so besser leben kann. Dass sie nicht darüber nachdenken muss, ob sie genauso ist, wie ihr leiblicher Vater. Das alles hätte niemals rauskommen dürfen."
"Aber du musst endlich anfangen zu akzeptieren, dass ich erwachsen werde.", entgegnete ich ihr wütend.
Meine Mutter schwieg einen Moment.
"Du wirst immer meine Tochter sein, Sierra. Und ich mache mir so große Sorgen um dich."
"Aber nicht aus den richtigen Gründen, Mum. Vergiss das College und die Serienmörder-Gene. An das, was du mir alles angetan hast solltest du mal denken. Das ist das, was ich herumtragen muss, für den Rest meines Lebens. Entweder du fängst an mich wie eine Erwachsene zu behandeln oder ich bin nicht mehr Teil deines Lebens." Nachdem ich es ausgesprochen hatte fühlte ich mich irgendwie leichter. Diese Last trug ich schon eine ganze Weile mit mir rum. Nun war es endlich ausgesprochen.
"Mrs Adams, Sierras Ausbildung, ihre Beziehungen und ihr Verhalten, ich glaube, das sind Dinge, die Ihnen Angst machen.", begann Mrs Burbble. "Sie haben Angst, dass Sierras erwachsen wird. Vielleicht haben Sie ihr deshalb all diese Dinge verschwiegen. Denn wenn Sie sie kontrollieren können, haben Sie ihr kleines Kind noch ein wenig länger." War das wirklich der Grund, wieso sie mich so behandelte? Hatte sie Angst mich zu verlieren? In ihren Augen standen Tränen. Sie senkte den Kopf.
"Es ist nur... Ich habe schon meinen Mann verloren. Und Sierra, sie wird erwachsen, sie geht auf ein College, sie zieht aus, sie zieht weiter. Es fühlt sich an, als würde ich dich auch verlieren."
"Mum.", begann ich sanft und schaute in ihr tränenüberströmtes Gesicht. "So ist das nunmal. Kinder werden erwachsen und ziehen weiter. Ich kann unmöglich deine einzige Hoffnung sein."
"Aber ich liebe dich doch.", weinte sie.
"Aber das entschuldigt wirklich nicht alles. Das rechtfertigt nicht diese Dinge, die du getan hast. Und das schon mein Leben lang. Wie du mich andauernd erdrückst. Aber warum ich?"
"Weil ich dich liebe."
"Warum, Mum?", wiederholte ich, diesmal mit mehr Druck.
"Du bist mein einziges Kind.", brachte sie dann weinend heraus, bevor sie aus dem Raum stürmte und mich zurückließ.

RiverdaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt