7 Versprechen

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Oh nein, sie hatte nichts zu seiner Frage gesagt! Was sollte er jetzt machen? Dachte sie ernsthaft, sie könnte in der Nacht einfach abhauen?

"Muss ich mich etwa hier auf den Boden legen, damit du dich nicht heimlich davon schleichst?" Er musste jetzt einfach eine Antwort von ihr haben, sonst würde er die ganze Nacht kein Auge zu tun.
"Oh Gott, nein, bloß nicht!" kam Leontinas entsetzte Antwort.
Paddy musste leise lachen.
"Also bis morgen?"
Er würde wohl keine Ruhe geben, soviel war Leontina mittlerweile klar. Es war eine ganze Weile still, und Paddy befürchtete schon, sie wäre einfach eingeschlafen, als er es doch noch leise neben sich murmeln hörte:
"Bis morgen." In seinem Bauch hüpfte etwas vor Erleichterung, jetzt müsste er sich keine Sorgen mehr machen, dass sie morgen früh auf einmal nicht mehr hier wäre. Er wollte sie so gerne richtig kennen lernen.
"Schlaf gut Leontina," flüsterte er in ihre Richtung, aber außer einem verschlafenen "Mmhhhh..." konnte er nichts mehr hören.

Er hatte nicht so oft Gelegenheit, jemanden kennen zu lernen, der kein Kelly-Fan war, und das bedrückte ihn mittlerweile doch mehr als ihm selbst klar war.
Meist wurden sie ziemlich schnell erkannt, egal wo sie hin kamen, und in letzter Zeit waren sie eher darum bemüht, irgendwie noch etwas Privatsphäre zu behalten, als neue Leute kennen zu lernen.
Klar, sie unterhielten sich mit Konzertbesuchern, aber seltsamerweise gehörte das zur Show dazu, war einfach nicht echt.
Und irgendwie sehnte er sich danach, jemanden einmal richtig gut kennen zu lernen, und zwar jemanden, der nicht schon mehr über ihn wusste, als er selbst.
Leontina schien ihn nicht zu kennen, zumindest sah es bisher so aus.
Er blieb noch einen Moment im Dunkeln stehen und lauschte ihrem regelmäßigem Atem, bevor er leise zu Tür schlich.

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In der Küche brannte noch schwaches Licht, ein paar Kerzen auf dem Tisch tauchten den Raum in einen goldenen Schimmer. Patricia, Johnny und Joey saßen noch um den großen Tisch aus alter Eiche - vermutlich aus dem letzten Jahrhundert, zumindest sah er so aus....
Wieviele Menschen vor ihnen hier wohl schon gesessen hatten?
Paddy warf einen Blick in die vertraute Runde und lehnte sich am Türrahmen an.
Johnny schien gerade etwas Wichtiges zu sagen:
"Also morgen muss hier Klarheit her! Sie kann höchstens 14 Jahre als sein, da muss sich doch irgendwer um sie Sorgen machen!"
Patricia legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
"Nur die Ruhe, Johnny. Sie wird uns morgen sagen, wo sie hin möchte. Ihr Vater denkt, sie ist gut untergebracht, und das ist sie nun ja auch - nur eben nicht auf diesem Ferienhof, sondern bei uns."
"Und kann sie nicht einfach hier bleiben?" meldete sich nun Paddy von der Türe.
"Ach, auch wieder da?" Joey konnte es einfach nicht lassen, seinen jüngeren Bruder aufzuziehen.
Paddy zog eine Grimasse und ging nicht weiter darauf ein. Statt dessen erkundigte er sich nach Chocolate.
"Sie hat sich von Angelo zumindest in den offenen Stall hinterm Haus locken lassen - er hat einen Haufen Heu dorthin gebracht, da ist sie ihm hinterher gelaufen. Nun steht sie wenigstens unterm Dach," klärte Joey ihn auf und mit einem vielsagenden Blick Richtung Türrahmen fuhr er fort:
"Du würdest die beiden wohl am liebsten gleich hier einquartieren, was?"
"Ja und warum auch nicht?" Paddy quetschte sich nun auch noch zu Johnny auf die Bank.
"Ich glaube nicht, dass es darum geht, ob sie theoretisch hier bleiben könnte, sondern darum, wo sie ursprünglich hin wollte," Patricia mischte sich auch wieder ins Gespräch ein.
"Ja, und das wüsste ich gerne wo das sein soll," brummte Johnny vor sich hin. Es fiel ihm irgendwie schwer, nachzuvollziehen, wie und warum ein 14-jähriges Mädchen allein in der spanischen Pampa umherziehen konnte...
"Also Leute, so kommen wir überhaupt nicht weiter. Ich hau mich hin, bis morgen!" Damit stand Joey auf und verschwand Richtung Treppe. Patricia erhob sich ebensfalls:
"Er hat Recht, gehen wir schlafen, morgen wird sich alles klären."
"Na hoffentlich! Kommst du auch?" Johnny sah Paddy fragend an.
"Ja, gleich..." Paddy schenkte sich noch ein Glas Wasser ein. Er hörte wie seine Geschwister die Treppe hochstiegen und war schließlich allein in der Küche, allein mit seinem Wasser und seinen Gedanken.

Das durfte doch nicht wahr sein - anscheinend glaubten alle, Leontina würde sie bald wieder verlassen. Oder - was wahrscheinlicher war - sie würden sie in dieses andere Dorf bringen, zu den Freunden ihres Vaters, wo sie ursprünglich ja auch hin wollte.
Paddy spürte ein leichtes Ziehen in seinem Bauch. Irgendwie wurde er ganz traurig, wenn er daran dachte.
Eigentlich war es ja klar: natürlich würde sie nicht einfach hier bleiben - niemand blieb einfach so bei wildfremden Leuten auf unbestimmte Zeit. Was hatte er sich da eigentlich vorgestellt?!
Paddy nahm sein Wasserglas und trank es in mehreren großen Schlucken leer, so, als könnte ihn das beruhigen.
Aber ein schöner Gedanke war es trotzdem gewesen. Wer wusste schon, was morgen passieren würde? Paddy merkte, wie er schon wieder zappeliger wurde - es war zum verrückt werden!
So würde er nie zur Ruhe kommen und einschlafen, da konnte er sich den Weg ins Bett gerade sparen. Er füllte sein Glas nochmal auf, legte die Beine auf den Stuhl links von ihm und schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit.
Die beiden Kerzen, die vorhin noch so gemütliches Licht verbreitet hatten, flackerten nochmal kurz auf und ließen ihn dann auch im Dunkeln zurück. Nur der Mond warf einen zarten Silberstreif durchs Fenster. Eigentlich wunderschön.

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Es war sehr früh am Morgen, die Sonne war noch nicht zu sehen, nur ein feiner, rosa Streifen am Horizont.
Paddy wurde wach, weil direkt vor dem offenen Fenster irgendein Vogel penetrant immer die gleichen Töne zirpte. Tüüüp. Tüüüp. Tüüüüüüp. War das nervig. Er legte den Arm über die Augen - oh Mann - alles tat ihm weh. Wieso fühlte sich sein Bett heute morgen so unbequem an? Es war wirklich mehr als unbequem! Auf einmal war er hellwach. Scheiße.
Er war gar nicht in seinem Bett sondern in der Küche! Hatte er etwa die ganze Nacht hier auf der Bank geschlafen?! Er setzte sich auf, der nervige Vogel quitschte immer noch. Tüüüüüüp. Tüüüüüp. Schön regelmäßig. Das war ja nicht zum Aushalten.
Langsam stand Paddy von der Bank auf - oh Gott, jeder Muskel tat ihm weh. Ja, Paddy, deswegen gibt es Betten. Er musste über sich selber schmunzeln.
Leise schlich er aus der Küche, den Flur entlang und stand plötzlich vorm Musikzimmer. Sein Herz fing an schneller zu klopfen. Ob sie ihr Versprechen gehalten hatte?
Eigentlich wollte er es nicht riskieren sie zu wecken, es war ja beinahe noch Nacht....
Ach, was soll's, dachte Paddy bei sich und drückte langsam die Klinke nach unten.
Er öffnete die Tür nur einen kleinen Spalt weit und spähte ins Zimmer.
Sein Herz setzte einen winzigen Moment aus, er konnte das Sofa sehen - es war leer.

Sie war nicht da. Verdammt. Wo war sie nur? Hoffentlich war sie nicht so wahnsinnig, mitten in der Nacht abzuhauen, ganz alleine, das wäre ja lebensgefährlich!
Paddy fühlte, wie langsam aber sicher Panik in ihm aufstieg...

Growing up oder: lost and foundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt