Kapitel 37

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So sehr ich auch versuchte einzuschlafen, mein schlechtes Gewissen war zu groß. Also stand ich wieder auf und setzte mich eingekuschelt in eine Decke auf die Couch und überlegte, was ich tun sollte. Als erstes musste ich mit Kollja sprechen. „Hey, ich fand den Abend auch sehr schön. Aber wir werden das in dieser Form nicht wiederholen können. Ich bin in einer festen Beziehung und weiß nicht, was in mich gefahren ist... ich hab mich sehr gefreut, dich wiederzusehen, aber zwischen uns kann nicht mehr sein, als Freundschaft. Ich hoffe, du kannst das verstehen. Milena", schrieb ich und schickte es ab. Ich atmete tief durch. Es war schon halb 1, doch trotzdem bekam ich eine Antwort. „Schade, aber vielleicht merkst du noch, dass du scheinbar doch noch mehr für mich empfindest ;)", bekam ich als Antwort. Nein, das würde ich sicherlich nicht. Ich war glücklich mit Ben und wollte das auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Ich legte mein Handy beiseite. Und nun? Ich fühlte mich schlecht, schuldig und verräterisch. Ich stand auf und ging auf den Balkon, um eine zu rauchen. Zitternd wählte ich Bens Nummer, ich musste mit ihm sprechen. Als er mit verschlafener Stimme ran ging, konnte ich erstmal nichts sagen. „Milena? Kleine? Ist alles okay?", fragte er hörbar besorgt. „Nein.. ich hab etwas falsches getan... kann ich vorbeikommen? Jetzt? Bitte...", flüsterte ich und merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. „Ähm... Ja, natürlich. Wenn du möchtest." Ich legte auf, zog mich um und lief die Treppen runter. Mir rannen schon jetzt die Tränen über die Wangen und ich zitterte. Auf dem Weg rauchte ich noch eine Zigarette, bei Ben angekommen atmete ich ganz tief durch, ehe ich mich traute, den Klingelknopf zu drücken. Direkt im nächsten Moment ertönte der Türsummer und ich lief zitternd und weinend die Treppen hinauf. Ben stand in der Tür und als er mich sah kam er mir entgegen und zog mich in seine Arme. „Hey, was ist denn los?", fragte er sehr besorgt. Ich schluchzte und löste mich aus seiner Umarmung. Ich konnte das gerade nicht. Ich ging an ihm vorbei in die Wohnung und setzte mich im Wohnzimmer aufs Sofa. Er setzte sich zu mir und schaute mich fragend an. Ich holte tief Luft und schluckte. „Ich... ich hab dich angelogen...", begann ich, „ich hab mich vorhin nicht mit einer alten Schulfreundin getroffen. Ich hab mich mit Kollja getroffen..." - „Der Typ, der dir neulich nach unserem Besuch im Zoo geschrieben hat? Dein Schulfreund?", fragte er und zog eine Augenbraue hoch. Ich schaute zu Boden. „Er ist kein Schulfreund... er ist mein Ex-Freund. Und er war beruflich in Berlin, wir waren damals als Freunde auseinander gegangen, aber hatten so gut wie keinen Kontakt mehr. Ich dachte, es wäre ganz nett, mich mit ihm zu treffen und einfach ein wenig zu quatschen...", sagte ich leise. „Und wieso hast du mir das nicht gesagt? Wieso lügst du mich an, Milena?", fragte er enttäuscht, „ich hätte dir das Treffen sicherlich nicht ausgeredet, wenn ihr doch nur Freunde seid." - „Ich weiß nicht... aber das ist noch nicht alles...", meine Stimme zitterte und mir liefen wieder die Tränen, „wir waren erst zusammen essen... dann sind wir ins Pumuckl gegangen... und", ich biss mir auf die Lippe und schluckte, „und dann hat er mich geküsst und mir gesagt, dass er mich vermisst und..." - „Was?", unterbrach Ben mich. Er war sauer. „Ich hoffe, dass du ihm klipp und klar gesagt hast, dass du das nicht möchtest?" Ich schüttelte langsam den Kopf und schaute zu ihm rüber. Er presste die Lippen aufeinander und atmete hörbar aus. Dann stand er auf. „Was hast du dir dabei gedacht? Wolltest du es auch? Hast du noch Gefühle für ihn? Du hast jedes Mal ein riesen Theater gemacht, als das mit Caro war. Wolltest du es mir damit heimzahlen? Ich dachte, es ist klar, dass ich dich liebe. Dass ich mit dir zusammen sein will!", schrie er mich an. Ich zuckte zusammen. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist... es tut mir so leid, wirklich.. ich...", schluchzte ich. Er schaute mich böse an. „Ich möchte, dass du jetzt gehst", sagte er eiskalt. Ich starrte ihn an. „Aber Ben..", setzte ich an, doch er zog mich von der Couch hoch und Richtung Haustür. „Es gibt kein Aber. Du gehst jetzt..." - „Nein, bitte, lass uns darüber reden. Es tut mir so leid. Bitte", flehte ich, doch er öffnete die Tür und schaute zu Boden. „Aber ich liebe dich, Ben. Nur dich...", wimmerte ich. Er schaute mich an. „Ich liebe dich auch... nur kann ich jetzt nicht rational denken. Du hast mir gerade erzählt, dass du dich mit deinem Ex getroffen hast und ihr euch geküsst habt. Und vor allem, dass du dich nicht mal dagegen gewehrt hast..."
Zitternd verließ ich die Wohnung und setzte mich auf die oberste Treppenstufe. Ich stützte mein Gesicht in meine Hände und weinte. Ich hatte mit meiner eigenen Dummheit alles aufs Spiel gesetzt, alles was mir momentan so unglaublich wichtig war. Ben. Irgendwann stand ich auf und tastete nach dem Lichtschalter. Langsam ging ich die Treppen runter und schrieb Ben draußen angekommen eine SMS. „Es tut mir so leid... so unendlich leid... du bist doch alles, was ich habe... Alles was mir wichtig ist." Ich zündete mir eine Zigarette an und machte mich auf den Weg nach Hause.
Er antwortete mir nicht. Ich ließ mich wieder auf die Couch fallen und wickelte mich in die Decke ein. Ich versuchte, mich mit Fernsehen abzulenken, um endlich einschlafen zu können, doch meine Gedanken kreisten unaufhörlich. Am nächsten Morgen, nach einer sehr unruhigen und wenig schlaferfüllten Nacht, meldete ich mich krank. Ich konnte mich heute nicht mal dazu motivieren, das Sofa zu verlassen und Ben hatte sich auch nicht bei mir gemeldet. Ich wusste nicht, was ich tun sollte...
Ich schaltete also wieder den Fernseher an, schaute gedankenverloren irgendwelche Hochzeitssendungen, als auf einmal mein Handy vibrierte. Meine Mama rief an, ich hatte vollkommen vergessen, dass sie ja an diesem Wochenende vorbeikommen wollte. Ich putzte mir die Nase und versuchte so normal wie möglich zu klingen, als ich ranging. „Hey Mama!“ - „Na, meine Süße! Ich wollte nur kurz fragen, ob wegen unserem Treffen noch alles klappt morgen?“ - „Du Mama... es tut mir wirklich leid, aber ich hab momentan ganz viel Stress auf der Arbeit. Ich wollte dich schon eher anrufen, aber ich war immer so spät zuhause, dass ich direkt ins Bett gefallen bin. Ich glaube, wir müssen das verschieben...“, sagte ich leise. Jetzt log ich auch noch meine Mama an. „Oh, dass ist ja schade. Mach dir bitte nicht zu viel Stress! Ruf mich doch am Besten an, wenn sich das gelegt hat! Ich hab an den Wochenenden ja frei, wir kriegen das schon hin! Ich hab dich lieb!“, sagte sie und wir verabschiedeten uns. Kaum hatte ich das Handy aus der Hand gelegt, fing ich wieder an zu weinen. Ich hätte meiner Mama so gern erzählt, wie schlecht es mir momentan ging, aber ich hatte mir das alles selbst zuzuschreiben.

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