Kapitel 47

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Ich wischte mir grad die letzten Tränen aus dem Gesicht und löste mich aus der Umarmung meiner Mutter, als Ben zur Küchentür herein kam. Entsetzt schaute er mich an und lies die Hand, in der er die Brötchentüte hielt, sinken. "Ist alles in Ordnung?" Ich nickte, schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und sagte leise "Wir müssen heute Abend reden..."
Die Stimmung zwischen Ben und mir war den restlichen Tag angespannt. Ich brachte meine Mama alleine zum Bahnhof, sie schloss mich in die Arme und drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Ihr bekommt das hin. Denk nicht so viel darüber nach, das macht es nicht besser, Milena. Nicht alles kaputtdenken!" Ich merkte, wie mir wieder die Tränen in die Augen stiegen, aus einer Mischung aus Abschiedsschmerz und Angst, vor dem Gespräch mit Ben. Mamas Zug fuhr ein, ich winkte und lief noch ein Stück mit dem Zug mit, bis er schließlich zu schnell wurde und den Bahnhof verließ. Ich ging zum Raucherbereich und zündete mir eine Zigarette an. Mein Handy vibrierte, neben einer SMS von meiner Mama, mit der Nachricht, dass sie mich schon jetzt vermisste und ich sie bald besuchen kommen solle, hatte ich auch eine von Ben bekommen. "Wann kommst du zurück?" - "Der Zug von Mama ist grad abgefahren. So in 40 Minuten bin ich da :)" - "Okay." Ich schauderte. Keine Smileys, kein Hinweis darauf, dass sich seine Laune ein wenig gebessert haben könnte. Vielleicht hatte er auch einfach nur, genau wie ich, Angst vor dem Gespräch. Dabei hatte ich eindeutig mehr zu befürchten als er, immerhin wollte ich ihn, mal wieder, auf seine Ex ansprechen und hatte, wie so oft, mal wieder ein Problem mit ihr.
Ich drückte meine Zigarette aus und machte mich mit weichen Knien auf den Rückweg. Leise schloss ich die Tür auf; ich wollte das Gespräch noch so lang wie möglich vor mir herschieben, meine Gedanken nochmal ordnen, damit ich nicht unüberlegt irgendwas sagte, was mir im Nachhinein leidtun würde. Doch dafür war keine Zeit, Ben hörte, wie ich meinen Schlüssel auf die Kommode legte und kam aus dem Wohnzimmer. Er sagte nichts, sondern schaute mich abwartend an. Ich atmete tief ein, biss mir auf die Unterlippe und versuchte, meine zittrigen Hände in meinen Jackentaschen zu verbergen.  Ich schob mich an Ben vorbei ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Als er mir nachkam, stand ich sofort wieder auf, bisher hatte niemand ein Wort gesagt. "Möchtest du etwas trinken?", fragte ich leise. "Nein. Ich möchte wissen, was hier los ist. Warum hast du heute morgen geweint? Worüber willst du mit mir reden? Milena, mich macht diese Warterei und Ungewissheit wahnsinnig", entgegnete er ein wenig zu laut. Ich zuckte zusammen und versuchte mit aller Kraft gegen die sich anbahnenden Tränen anzukämpfen. Ich ließ mich also wieder aufs Sofa fallen. Ben setzte sich neben mich und sah mich erwartungsvoll an. "Also? Was ist los?" Die Stimmung zwischen uns war eisig, angespannt und aufgeladen.
Ich traute mich nicht, ihm direkt in die Augen zu sehen, als ich "Was hast du gestern gedacht, als du Caro mit diesem Kerl gesehen hast?", fragte. Sofort veränderte sich seine Haltung. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und sein gesamter Körper versteifte sich. Er zog scharf Luft ein. "Warum hatte ich es schon im Gefühl, dass es WIEDER EINMAL um sie gehen würde?", blaffte er mich an, "willst du nicht einsehen, dass sie mir egal ist? Dass ich DICH liebe und mit DIR glücklich bin?" Genau vor dieser Reaktion hatte ich Angst gehabt, auch wenn ich mir sicher war, dass sie kommen würde. "Erklär mir bitte, warum du dann so laut werden musst, wenn sie dir egal ist. Warum du gestern so genervt reagiert hast, als ich dich gefragt habe, was sie wollte. Und warum du sie ständig angestarrt hast, als wir mit meiner Mama essen waren. Selbst ihr ist das aufgefallen. Sie hat mich heute morgen nämlich gefragt, was bei dir los war. Wenn selbst eine Außenstehende das sieht, kann es dir gar nicht so..." - "Du hast mit deiner Mutter über meine Ex gesprochen?", war seine einzige Antwort.
Er stand vom Sofa auf, verließ das Wohnzimmer und ich hörte, wie die Balkontür geöffnet wurde. Ich atmete tief durch, wischte mir über die Augen und stand ebenfalls auf. Ben stand mit einer Zigarette in der Hand mit dem Rücken zur Balkontür.
Plötzlich hörte ich ein leises Schluchzen. Mein Herz machte einen Satz und ich trat ebenfalls auf den Balkon. "Sie ist dir nicht egal...", flüsterte ich, als ich mich neben ihn stellte. Er schüttelte leicht den Kopf. "Aber ich bin wirklich glücklich mit dir. Mit dir Milena. Ich liebe dich... Nur gestern.. Sie da mit diesem alten Kerl zu sehen, der ihr Vater sein könnte..." Er wischte sich eine Träne weg und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, "sie hat mich als 'einen Freund' vorgestellt..."
Ich starrte hinaus in die dunkle Nacht und dachte nach. "Bitte sag was...", flüsterte Ben. "Und dir wäre es lieber gewesen, hätte sie dich als ihren Ex vorgestellt? Ich bitte dich, ich würde dir meinen Exfreund auch nicht als solchen vorstellen, wenn ich frisch mit jemandem zusammen bin und ich den treffe. Außerdem... Was macht das für einen Unterschied? Entweder sie ist wirklich glücklich mit dem Kerl, und in der Liebe spielt Alter nun wirklich selten eine Rolle, oder sie hat genau das erreicht was sie wollte. Nämlich, dass du ihr hinterher trauerst, dir unendlich viele Gedanken machst und wir uns wieder streiten."
Er sah mich mit glasigem Blick an und auch ich sah ihm direkt in die Augen. "Ben, du hast noch Gefühle für Caro...", er wollte etwas sagen, aber ich hob die Hand, "was irgendwie verständlich ist, nach all dem, was ihr gemeinsam durchgemacht und erlebt habt. Ich weiß, dass du mich liebst und dass du alles dafür tust, damit ich glücklich bin... Aber ich weiß nicht, ob das so funktionieren kann..."

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