Kapitel 74

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Die nächsten Tage bis zum Wochenende verbrachte ich mit Ben bei ihm. Am Samstagmorgen klingelte es plötzlich. „Wer stört denn um diese unchristliche Zeit?", maulte Ben, zog sich ein Shirt über und verließ das Zimmer. Ich zog die Decke wieder hoch und kuschelte mich ein. „Schön, dass du da bist! Aber du hättest dich doch vorher einmal kurz melden können", hörte ich Ben auf dem Flur sagen. Wer war denn da bloß gekommen? „Stop, warte, ich hab doch Be...", rief er, doch plötzlich stand eine ältere Frau mit kurzen blonden Haaren mitten in Bens Zimmer und schaute sich um. Ich merkte, wie ich augenblicklich rot wurde und die Decke noch ein Stück höher zog. Dann entdeckte sie mich. „Oh, hallo!", sagte sie mit einer unglaublich sanften Stimme, „ich bin Marion, Benjamins Mutter." Ben stand hinter ihr und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Immer noch knallrot und mit dem Bemühen, dass die Decke nicht verrutschte, setzte ich mich im Bett auf. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussah. „Ähm, ich bin Milena..." Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, doch ehe sie etwas sagen wollte, fiel Ben ihr ins Wort. „Mama, wie wär's wenn du dich in die Küche setzt und wir kommen dann gleich nach?" - „Jetzt tu mal nicht so... aber nun gut, ich koche schon mal Kaffee für uns. Ist noch jemand da?" Ben schüttelte den Kopf und schob Marion aus dem Zimmer. „Tut mir leid. Sie hat nicht vorher angerufen, weil sie meinte, ich würde mich ja auch nie melden, da wollte sie lieber direkt vorbeikommen..." - „Es war jetzt vielleicht nicht die beste Gelegenheit für die erste Begegnung..." Ich stand auf, suchte meine Sachen zusammen und zog mich an. Dann huschte ich durch die Wohnung ins Bad und schlich dann einige Minuten später in die Küche, wo Marion schon mit Ben saß. Wieder breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus. „Also, jetzt nochmal. Ich bin Milena...", setzte ich an. Sie stand auf und zog mich in eine Umarmung. „Schön, dich endlich mal kennenzulernen. Beim letzten Mal hat es wohl nicht sein sollen, in Bielefeld meine ich. Da warst du ja krank...", plapperte sie. Ich warf Ben einen kurzen Blick zu, krank also. Als der Kaffee durchgelaufen war, stand ich auf und füllte ihn in drei Tassen um. Danach erzählte ich seiner Mutter, was ich beruflich machte, wie Ben und ich uns kennengelernt hatten, eben alles, was Mütter so von den Freundinnen ihrer Kinder wissen wollen. „Es war wirklich sehr schön, dich kennenzulernen, Marion. Aber ich muss jetzt leider los, ich hab noch einen Termin...", setzte ich an, weil die Stimmung zwischen mir und Ben ziemlich angespannt war. „Einen Termin? An einem Samstag?", hakte sie nach und auch Ben sah mich misstrauisch an. „Ja, naja, die Arbeit schläft nie! Macht euch noch einen schönen Tag!", ich holte meine Tasche aus seinem Zimmer, zog meine Schuhe und Jacke an und wollte gerade die Wohnung verlassen, als Ben mich am Arm packte.

„Du hast keinen Termin. Was ist hier los?", fragte er leise und sah mich eindringlich an. „Ich fühle mich nicht wohl bei dem Ganzen... deine Mum ist super lieb, ich mag sie, aber ich glaube, zwischen uns ist das noch nicht in Ordnung genug dafür... Außerdem... ich war krank beim Konzert in Bielefeld?" - „Oh, komm schon", er verdrehte die Augen, „hätte ich meiner Mutter sagen sollen, dass ich mit einer anderen geschlafen hab und wir uns deshalb gestritten haben? Wie soll das zwischen uns jemals wieder funktionieren, wenn du wegen jeder Kleinigkeit ausflippst?" - „Das wäre wenigstens ehrlich gewesen. Aber ich muss jetzt wirklich los", ohne auf seine Antwort zu warten, trat ich in den Flur hinaus und lief die Treppen hinunter. Vor der Tür atmete ich erst einmal tief durch und wollte mich gerade auf den Weg machen, als ich fast jemanden anrempelte. Als ich hoch sah, um mich zu entschuldigen, blieben mir die Worte im Hals stecken. „Was willst du hier?", fragte ich bissig. „Ich muss mit ihm reden...", sagte Nancy und musterte mich. „Das ist heute eine ganz schlechte Idee. Er hat Besuch und deshalb sicherlich keine Zeit, sich um dich zu kümmern." - „Für dich hat er scheinbar auch keine Zeit, sonst wärst du ja nicht hier draußen", gab sie zurück. Ich zog eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie mir an. „Schönen Tag noch", rief ich, als ich mich schon ein paar Schritte von ihr entfernt hatte. Ihre Worte hallten in meinem Kopf wieder und vermischten sich mit den Stimmen der Dämonen. Ich suchte nach meinen Kopfhörern, um damit die Gedanken loszuwerden, die ich nicht mehr denken wollte. Als ich auf mein Handy schaute, hatte ich mehrere Nachrichten von Ben und zwei verpasste Anrufe. „Bitte komm zurück... ich brauche dich...", war die letzte Nachricht von ihm. Ich las sie mehrmals, so als würde ich diese Worte nicht verstehen. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und schrieb ihm dann zurück, fragte nach ob Nancy bei ihm gewesen sei. Im nächsten Augenblick, direkt nachdem sich die Häkchen blau gefärbt hatten, rief er mich an. „Wieso geht es jetzt schon wieder um sie?", fragte er, ohne mich zu begrüßen, „können wir dieses Thema nicht endlich mal lassen? Ich weiß nicht, wie oft ich mich noch entschuldigen soll, was ich noch tun soll, damit du das Thema endlich mal ruhen lässt" - „Sie stand vor deiner Haustür, als ich raus bin und wollte zu dir. Danke für die Vorwürfe, Ben. Genau so wird es nämlich funktionieren. Ich darf scheinbar nichts mehr sagen, ohne dass es gleich wieder eskaliert!", meine Stimme wurde lauter und ein älterer Herr, der auf einer Bank in der Nähe saß, sah sich zu mir um. „Nein, sie war nicht hier... tut mir leid. Ich... ich bin ein Idiot. Komm bitte zurück. Ich mach das wieder gut. Ich wollte dich nicht so anfahren. Bitte..." Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Okay, gib mir 20 Minuten...", antwortete ich und legte auf. Meine Reaktion war wirklich nicht fair gewesen und einfach zu gehen, war sicher auch der falsche Weg. Doch nun machte ich mir nicht nur Gedanken über Ben, sondern auch darüber, was seine Mutter jetzt von mir denken würde.

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