Kapitel 54

100 6 1
                                    

Ich reichte ihr wortlos mein Handy mit dem Verlauf von letzter Nacht. „Wer ist das?", fragte sie und reichte mir das Handy zurück. „Nancy. Ein Fan von ihm. Oder seine Neue. Wer weiß..." Ich erzählte ihr alles, was ich wusste, während ich zwischendurch an meinem Glas nippte. „Hat er sich seitdem bei dir gemeldet?" - „Nein. Kein Anruf, keine Nachricht... aber ich hab ihn ja auch ziemlich abgewiesen..." - Weißt du noch, als Jeff mich betrogen hat und ich ihn sogar dabei erwischt habe? Wir haben danach endlos lange miteinander geredet, uns angeschrien und ich hab zwischendurch nicht gedacht, dass das zwischen uns nochmal funktionieren kann. Aber ich habe ihm verziehen, vergessen habe ich allerdings nicht. Ich will dir damit nur sagen, dass du auf dein Herz hören musst und ob du damit umgehen kannst... Für ihn waren da sicherlich keine Gefühle im Spiel, ich weiß, dass das keine Rechtfertigung für sein Verhalten ist und auch der Alkohol nicht, aber..." - „Ich weiß, was du meinst... Aber... wir haben gerade erst die Geschichte mit Caro durch und dann passiert sowas... Ich weiß nicht, was ich denken oder fühlen soll. Ich konnte ihm nicht mal sagen, dass ich ihn liebe. Weil ich nicht weiß, ob ich das noch tue..." Isi nahm mich fest in den Arm, plötzlich vibrierte mein Handy. Sofort sprang ich auf und schnappte es mir, doch statt der erwarteten Nachricht von Ben war es nur eine Werbemail. Traurig ließ ich mich zurück aufs Sofa fallen.

Auch die nächsten Tage herrschte Funkstille zwischen Ben und mir. Ich hatte meinen ganzen Stolz beiseite geschoben und ihm mehrmals geschrieben. Hatte ihn sogar angerufen, doch er drückte meine Anrufe jedes Mal weg. Bis zum Konzert in Bielefeld waren es nur noch 5 Tage und ich war hin- und hergerissen. Thomas ging davon aus, dass ich hinfuhr und uns wieder einen Quotenhit einbrachte. Aber ich wüsste nicht, ob ich es ertragen könnte, Ben zu sehen. Nachdem ich mein drittes Glas Wein geleert hatte, ging ich in den Flur, schnappte mir meine Jacke und verließ meine Wohnung. „Jetzt oder nie", sprach ich mir Mut zu. Ich zündete mir noch eine Zigarette an, meine Hände zitterten leicht, denn ich stand vor seinem Haus. Ich schaute nach oben und sah Licht in der Küche brennen. Plötzlich öffnete sich die Haustür, meine Gelegenheit schon mal ins Treppenhaus zu gelangen. Langsam – und plötzlich nicht mehr so selbstsicher und mutig – lief ich die vielen Stufen hinauf. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich den Klingelknopf. Doch es war nicht Benjamin, der die Tür öffnete, sondern ein verwirrt schauender Daniel. „Milena!", sagte er sichtlich überrascht, „was machst du denn hier? Ich hab dich ja ewig nicht gesehen!" - „Hm", gab ich zurück und schaute ihm kurz in die Augen, „ist Ben da?" Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, er war schon seit mehreren Tagen nicht mehr hier. Ich hab keine Ahnung wo er ist... und:..", er machte eine kurze Pause, er schien zu merken, dass ich kurz vor einem erneuten Heulanfall stand, „es tut mir echt leid, was bei euch passiert ist... Möchtest du kurz reinkommen?" Doch ich schüttelte nur den Kopf und rannte die Treppen runter.

Unten angekommen zündete ich mir eine neue Zigarette an, steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und scrollte durch meine Playlist, bis ich das Lied gefunden hatte, was meine momentane Situation wirklich 1:1 widerspiegelte.

ich werd verrückt bei dem Gedanken
wo du heute Abend schläfst
ich dreh durch bei der Frage
neben wen du dich legst
ich muss immer an dich denken
ganz egal wer mich berührt
ich hoffe du denkst mal an mich
wenn dich irgendwer verführt!

(SDP – Ich muss immer an dich denken)

Als ich in der Bahn zurück nach Hause saß, suchte ich das Lied bei YouTube und schickte Ben den Link ohne einen weiteren Kommentar. Als ich mich zuhause aufs Sofa fallen ließ, öffnete ich nochmal unseren Chatverlauf. Er hatte die Nachricht bekommen und gelesen, bereits für 15 Minuten – doch, wie erwartet, kam auch hierauf keine Reaktion. Da war meine Entscheidung gefallen, ich würde nach Bielefeld fahren. Ich musste mit ihm reden und da war die Wahrscheinlichkeit am größten, ihn zu erwischen.

Und so saß ich 5 Tage später im ICE von Berlin nach Bielefeld. Ich hatte mich zwingen müssen, einzusteigen und wusste, dass ich mir noch einige Male diesen Abend gut zu reden musste, damit ich keinen Rückzieher machte. Ich checkte im Hotel ein, ging nochmal duschen und suchte mir möglich dezente Klamotten aus der Tasche. Ich hatte einen Job zu erledigen, doch wollte vermeiden, dass Ben mich sofort erkannte. Um kurz vor halb 9 stand ich dann zusammen mit den anderen Fotografen an der Seite der Bühne. Der Ringlokschuppen brodelte, die Vorbands hatten ganze Arbeit geleistet. Plötzlich tauchte die Band hinter der Bühne auf und ich sah zu, dass ich mich möglichst gut verstecke. Die Show begann und es versetzte mir einen starken Stich ins Herz, ihn wiederzusehen. Doch er bemerkte mich nicht, die Stimmung war einfach zu gut, als dass er sich auf die Fotografen hätte konzentrieren müssen. Den Rest der Show sah ich mir aus sicherer Entfernung von der Bar aus an, ehe ich den Club verließ. Ich zündete mir eine Zigarette an und gesellte mich zu den anderen Fangirls, die scheinbar auf die Band warteten.

FotoalbumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt