Kapitel 63

86 6 0
                                    

Ich entschied mich am Ende für ein knielanges dunkelblaues Kleid mit einem tiefen Ausschnitt am Rücken. Ich packte es zusammen mit den High Heels und meiner Schminke in meine Tasche und machte mich bettfertig. Während ich durch das abendliche TV-Programm zappte, erwischte ich mich dabei, wie ich an Ben dachte. Und genau in dem Moment klingelte es an der Tür, verdammt. Verdammt nochmal, wer klingelt denn jetzt noch? Schnell warf ich mir einen Pulli über und sprang in meine Jogginghose, ehe ich den Summer betätigte. Ich erwartete niemanden mehr, vielleicht hatte nur ein Nachbar seinen Schlüssel vergessen. Doch plötzlich stand Ben vor mir, mit einem Strauß Rosen in der Hand. "Was willst du?", fragte ich kühl. "Mich bei dir entschuldigen... Ich bin der größte Idiot der Welt und es tut mir so unendlich doll leid..." - "Hör zu, Ben. Ich hab da gerade wirklich keinen Kopf für. Ich bin froh, wenn ich abends im Bett liege und meine Ruhe hab. Auf der Arbeit ist die Hölle los, ich bin froh, dass ich mein Leben ohne dich einigermaßen läuft", ich blickte auf die Blumen, "und ganz ehrlich, mit ein paar Blümchen ist es nicht getan. Jetzt entschuldige mich, ich muss wirklich ins Bett. Wir sehen uns morgen Abend auf der Benefizveranstaltung, aber ich bin rein beruflich dort. Ich mach ein paar Fotos von dir und den anderen, die dort sind und verschwinde dann wieder. Also dann..." Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, schloss ich die Tür. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Was war das denn? Mein Herz klopfte wie verrückt, ich war total aufgekratzt und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Also holte ich mir mein Handy aus dem Schlafzimmer und ging auf den Balkon, um noch eine zu rauchen. Mein Display leuchtete auf und zeigte eine neue Nachricht von Ben. "Ich weiß, dass es mit ein paar Blumen nicht getan ist, Milena... Aber wenn du mich nicht mit dir reden lässt, weiß ich nicht, was ich tun soll..." "Bei Nancy bleiben...", dachte ich und nahm einen Zug von meiner Kippe. Ich wusste wirklich nicht, wie ich den Abend morgen überstehen sollte.

Da auf der Arbeit wieder ähnlich viel für mich zu tun war, wie die letzten Tage, war schneller Feierabend als mir lieb war. Ich hätte mich gerne einfach noch ein paar Stunden hier verschanzt und Bilder bearbeitet und sortiert, anstatt jetzt mit Isi umgezogen auf unser Taxi zu warten. "Du schaffst das schon. Du machst deine Fotos, ich das Interview und danach betrinken wir uns, okay?", versuchte Isi mich aufzumuntern. "Vielleicht gar keine schlechte Idee. So machen wir das." Wenig später standen wir zusammen mit einigen anderen Journalisten am roten Teppich, welcher vor der Halle ausgelegt war. Ich fotografierte was das Zeug hielt, die Jungs von Kraftklub, Joris und schließlich auch Ben und seine Band. Natürlich entdeckte er mich sofort und warf mir während des Interviews immer wieder Blicke zu, die ich so gut es ging zu ignorieren versuchte. Immerhin war er alleine gekommen, nicht mit ihr... Während der Gala selbst saßen Isi und ich abseits an der Bar. "Er hat dich fast keinen Moment aus den Augen gelassen, Mili..." - "Und hat im nächsten Moment wieder an Nancy gedacht, weil sie so schön und anders ist als ich...", gab ich zurück und nippte an meinem Cocktail. Nach einiger Zeit merkte ich den Alkohol ziemlich stark, die Gala hatte sich dem Ende zugeneigt und ging fast nahtlos in die Aftershowparty über. "Ich geh mal kurz frische Luft schnappen...", meinte ich zu Isi und sie nickte mir zu. "Wir haben hier eine wunderbare Dachterasse, mit tollem Blick über Berlin!", sagte der Barkeeper und zeigte auf einen Aufzug, direkt neben der Bar, "da haben Sie eher Ihre Ruhe. Geheimtipp!" Er zwinkerte mir zu, ich stand auf und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Er hatte nicht zu viel versprochen, selbst wenn ich schon seit einigen Jahren in Berlin wohnte, dieser Blick war unglaublich.

Ich setzte mich an einen der wenigen Tische hier oben und kramte eine Zigarette aus meiner Tasche. Doch zu allem Überfluss konnte ich beim besten Willen mein Feuerzeug nicht finden. Ich schnaufte. "Darf ich?", fragte jemand und hielt mir ein brennendes Feuerzeug entgegen. "Danke", entgegnete ich und nahm einen tiefen Zug. Der Alkohol und die kühle Luft leisteten ganze Arbeit, ich wusste, dass jetzt Schluss war. Plötzlich realisierte ich, wer mir gerade Feuer gegeben hatte und nun neben mir stand. Ben. "Wunderschön hier oben oder? Man sollte nur aufpassen, dass man nicht zu nah am Rand rumläuft, wenn man etwas getrunken hat...", meinte er und an seiner Stimme erkannte ich, dass auch er nicht mehr nüchtern war. "Wieso hast du mir das angetan?", fragte ich und nahm noch einen Zug von meiner Zigarette. "Weil ich nicht erkannt habe, dass ich alles hatte, was ich brauchte. Bis ich es verloren habe..." - "Bist du noch mit ihr... zusammen?" Mein Herzschlag beschleunigte sich wieder, als ich diese Frage ausgesprochen hatte. "Ich weiß nicht, ob ich das jemals war..." - "Läuft da noch etwas zwischen euch, Ben?" Dann stellte ich die Frage eben direkter. "Schläfst du noch mit ihr?" - "Ja...", gab er zu. "Wieso kommst du dann abends bei mir vorbei und willst dich bei mir entschuldigen? Ich hab dir doch ziemlich klar gesagt, dass ich mich nicht von dir benutzen lasse. Nicht nochmal!" - "Das möchte ich auch nicht... Ich möchte nicht, dass du von mir denkst, dass es mir bei dir nur um Sex geht..." - "Aber worum geht es dir dann? Wenn du Gefühle für jemand anderen hast, dann musst du dazu stehen. Du kannst dir da nicht ewig etwas vormachen und denken, dass das gut geht. Aber ehrlich gesagt... Ich wünschte, dass du das könntest. Oder dass da keine Gefühle für Nancy wären... Denn du fehlst mir. Du fehlst mir schrecklich. Ich denke ständig an dich, ich vermisse es, abends mit dir einzuschlafen und deinen Geruch einzuatmen... Ich vermisse dein Lachen, ich vermisse uns. Aber dieses uns gibt es nicht mehr..." Ich stand auf und stellte mich direkt vor Ben.

Keine kluge Idee, die Kombination aus Alkohol und hohen Schuhen ließ mich zur Seite taumeln, doch Ben hielt mich fest und zog mich an sich. Ich schloss die Augen und konnte sein Parfum riechen, welches sich mit dem Duft von Alkohol und Zigarettenrauch vermischt hatte. Sofort löste er sich wieder von mir. "Alles in Ordnung?" Ich nickte und schluckte. "Ich halt das einfach nicht länger ohne dich aus, verdammt!" Ich zog ihn an mich und küsste ihn. Ich legte meine Arme um seinen Nacken, als er mich hoch hob und auf einen der Tische setzte. Er schob mein Kleid ein Stück nach oben und öffnete seinen Gürtel. "Bist du dir sicher, dass du das möchtest?", fragte er zwischen den Küssen. "Hör auf zu reden, bitte. Alles, was ich momentan will, bist du!" Außer Atem hing Ben über mir, gab mir noch einen kurzen Kuss, ehe er mir hoch half und sein Hemd wieder in die Hose steckte. Ein kurzes Lächeln huschte ihm übers Gesicht. "Ich glaube, ich sollte wieder reingehen. Isi vermisst mich sicher schon...", sagte ich und wusste nicht recht, wie ich mich verabschieden sollte. Deshalb ging ich einfach so zurück zum Aufzug, wo ich mein Make-Up und meine Haare kontrollierte. "Milli! Wo warst du denn so lange?", fragte Isi und stürmte auf mich zu, ehe sie mich in die Arme schloss. "Entschuldige, der Ausblick war so schön... Und ich..." - "Du warst mit Ben da oben, oder? Habt ihr geredet?" Woher wusste sie davon? "Naja... Jein...", ich fühlte mich wie ein Kind, das beim Naschen erwischt worden war.

FotoalbumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt