Kapitel 56

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„Weil... liebst du mich noch?", er sprach die Frage aus, vor der ich mich gefürchtet hatte. Erschrocken blickte ich ihn an. „Du weißt es nicht, richtig? Du weißt nicht, ob du noch Liebe empfindest... und genau deshalb möchte ich nicht, dass du mir nah kommst..." Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Warum ist denn alles so verdammt schwierig?", flüsterte ich, „ich kann seit Tagen nicht richtig schlafen, esse fast nichts und habe ständig dieses flaue Gefühl im Magen... ich vermisse dich, Benjamin. Ich vermisse deine Nähe, deine Wärme, deine Küsse. Aber genau das habe ich dir auch geschrieben und du hast einfach nicht darauf reagiert. Ich spüre einfach nichts von der Wärme, die du sonst immer ausstrahlst, wenn wir zusammen waren." Ich ließ mich aufs Bett fallen und Ben ging zum Fenster. Er schaute in die dunkle Nacht. Einige Minuten sagte niemand ein Wort. Man hörte nur mein Schluchzen, bis ich mich aufrappelte und zu Ben ans Fenster ging. „Ich will nicht, dass das zwischen uns endet...", sagte ich kaum hörbar. „Ich auch nicht..." Er drehte sich zu mir um und in diesem Moment konnte mich einfach nichts mehr zurückhalten. Ich schlang meine Arme um ihn, zog ihn ganz fest an mich und begann wieder zu weinen. Einen kurzen Augenblick stand er da, starr, bewegte sich nicht, ehe er schließlich seine Arme um mich legte und mir sanft über den Rücken streichelte. „Und natürlich liebe ich dich noch, du Idiot", flüsterte ich in sein T-Shirt. Er löste sich von mir und ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Bleibst du heute Nacht bei mir?", ich wusste nicht, ob er es überhaupt hörte, so leise sprach ich. Ich traute mich nicht, ihn anzuschauen, automatisch stiegen mir wieder Tränen in die Augen. Ich hörte, wie er tief ein- und ausatmete. „Tut mir leid...", sagte ich und blickte ihn an. „Wenn du möchtest, bleibe ich hier... Ich muss nur kurz telefonieren." Erleichtert wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und nickte. Ben verließ das Zimmer und ich ging ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen und schnell zu duschen. Doch davor schrieb ich Isi, dass Ben und ich uns lange unterhalten hatten und er über Nacht hier bleibt. Als ich die Dusche verließ, fiel mir auf, dass ich meine Schlafsachen nicht mit ins Badezimmer genommen hatte. „Mist", fluchte ich, wickelte mich in mein Handtuch ein und suchte in meinem Koffer nach meinen Schlafsachen. Doch ich konnte sie nicht finden. „Schön, im Eifer des Gefechts musste ich natürlich was vergessen...", dachte ich. Ich nahm frische Unterwäsche und ein längeres Shirt aus meinem Koffer und huschte wieder ins Bad. Ich rubbelte mir meine Haare halbwegs trocken und band sie mir zu einem lockeren Zopf zusammen. Als ich das Bad gerade wieder verlassen hatte, klopfte es an der Tür. Ich versuchte mein T-Shirt zurecht zu ziehen und öffnete die Tür. Ben schaute mich kurz von oben bis unten an, ein ganz leichtes Grinsen huschte über sein Gesicht, doch verschwand gleich wieder. „Ich... ich hab meine Schlafsachen zuhause vergessen..." Ohne ein Wort zu sagen, ging er an mir vorbei und ich schloss die Tür hinter mir. Er setzte sich aufs Bett und schaute mich an. „Sollen wir... noch fernsehen oder willst du mir vom Konzert erzählen?" - „Du warst doch da oder nicht?", gab er leicht patzig zurück. „Tut mir leid, dass ich gefragt habe. Dass ich wissen wollte, wie es für DICH war. Denn ich kann nicht in dich hinein schauen, Benjamin!" - „Es war schön. Es ist immer etwas besonderes. Außerdem war meine Mutter da. Sie hat nach dir gefragt." Jetzt war ich diejenige, die nichts außer ein „Hmm..." rausbringen konnte. Ben erhob sich vom Bett und ging erneut zum Fenster. Ich schaute ihm hinterher, er zitterte und plötzlich hörte ich ein Schluchzen und stand ebenfalls auf.

„Ich werd verrückt bei dem Gedanken, wo du heute Abend schläfst, ich dreh durch, bei der Frage, neben wen du dich legst... Ich muss immer an dich denken, ganz egal wer mich berührt...", flüsterte er und zog einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche. „Ich hab versucht, über dich zu schreiben. Naja... und über mich... meinen...", er stockte und eine Träne lief über seine Wange, „meinen Fehler..." Er hielt mir den Zettel entgegen und ich zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich das lesen sollte. Ob ich bereit dafür bin...", entgegnete ich. Doch als ich seinen enttäuschten und verletzten Blick sah, griff ich nach dem Zettel und begann zu lesen.

Der Text war so ehrlich, so nah hatte ich mich Ben schon lange nicht mehr gefühlt. Gleichzeitig tat es weh, die Worte zu lesen. Als ich den Zettel sinken lies und ihn vorsichtig, als könnte er jeden Moment zerfallen, wieder zusammenfaltete, schaute er mir tief in die Augen. „Ich könnte das niemals aufnehmen... oder gar live spielen..." - „Das würde ich auch nicht wollen...", antwortete ich, „gehen wir eine rauchen? Ich brauch jetzt eine Zigarette und einen Schnaps." Er nickte. Ich zog mir meine Jeans über und wir verließen mein Hotelzimmer.

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