2. Kapitel: Angie

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Fünf Minuten hatte er gesagt. Fünf Minuten, die sich in die Länge zogen, fünf Minuten, zäher als Kaugummi. Ich lief in die Küche, leerte hastig ein Glas eiskaltes Mineralwasser und versuchte meine zitternden Hände zu beruhigen. Vergebens. Ich beschloss, dass die fünf Minuten vorbei waren und trat in Germans Büro. Ich war schon geraume Zeit nicht mehr hier gewesen, in letzter Zeit war ich meistens in meinem Zimmer oder im Studio. Als German mich im Türrahmen stehen sah, zuckte er merklich zusammen. Er bat mich Platz zu nehmen, was ich auch tat. Eine, vielleicht auch zwei Minuten herrschte eine Stille zwischen uns, German mied jeglichen Blick von mir. Er räusperte sich. Es war so still gewesen, dass mir das Räuspern unnatürlich laut vorgekommen war, weshalb ich beinahe erschrocken zu ihm aufblickte. Da fiel mein Blick plötzlich auf seinen Schreibtisch. Irgendetwas hatte sich verändert, nur was? Mein Blick glitt über seinen Schreibtisch, es sah alles aus wie immer, seine Unterlagen, sein Kalender, da, halt, der Bilderrahmen. Seit ungefähr einem Jahr hatte German drei Bilder in seinem Büro: Eines von Violetta, eins von Maria und eins von German, Violetta und mir. Dieses Blid stand direkt aud seinem Schreibtisch in einem silbernen Bilderrahmen. Nun stand da jedoch ein kleinerer, goldener. Und schon überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf. War das Bild heruntergefallen und der Rahmen zerbrochen? Hatte ihm dieser Rahmen besser gefallen? Ich drehte meinen Kopf um auf das Bild schauen zu können. In meinen Augenwinkeln sah ich Germans Augen nervös hin und herhuschen. Irgendetwas stimmte mit diesem Bild nicht und ich wollte es herausfinden. Entschlossen schnappte ich es mir. German zog scharf die Luft ein als ich es umdrehte. Mir stockte der Atem und ich spürte die Tränen in mir aufsteigen. Es war gar nicht das Bild von German, Violetta und mir. Es war ein Bild auf dem German einen Arm um Esmeralda gelegt hatte und die beiden glücklich in die Kamera schauten. "Warum?", fragte ich tonlos. Ich wollte nicht, dass er mich weinen sah, das hatte er nicht verdient. Mühsam unterdrückte ich die Tränen, blinzelte sie weg, meine Augen brannten höllisch und doch wurde ich plötzlich ganz ruhig. Meine Hände hatten aufgehört zu zittern, sie waren nur eiskalt. "Esmeralda wollte nicht, dass das Bild auf meinem Schreibtisch steht", antwortete German mir ruhig. Ich starrte ihn fassungslos an. Sie befahl ihm nun auch noch, welche Bilder er anschauen durfte? Ich holte tief Luft, ich wollte ihn anschreien, ihm sagen wie mies das von ihm sei, doch in mir war plötzlich eine tiefe Leere. "Angie, ich verstehe dich nicht. Erst bist du sauer auf mich, behandelst Esmeralda unfair und nun willst du dich wieder mit mir vertragen? Irgendetwas ist doch da faul. Willst du Esmerlada schaden? Angie, sie ist nun meine Freundin und es kann nicht sein, dass du immer nur schlecht über sie redest, ist dir das klar?", sagte er erstaunlich gelassen. Ich wollte etwas erwidern, ihm erklären, dass ich nicht seine Tochter wäre, der er etwas vorzuschreiben hätte, dass er nicht so mit mir reden sollte, dass Esmeralda etwas verbirgt, doch ich fand keine passenden Worte. Ruckartig stand ich von dem Stuhl auf, beinahe wäre er umgefallen. Das Bild von ihm und Esmerlada knallte ich auf den Schreibtisch. So heftig, dass German zusammenzuckte. Er beobachtete mich, dass ärgerte mich noch mehr und ich konnte immernoch nichts dazu sagen. Als ich auf der Höhe der Tür stand, drehte ich mich noch einmal um, German starrte mich noch immer an. Ich schüttelte den Kopf, lief hinaus und knallte die Tür mit voller Wucht zu. Plötzlich stiegen mir die Tränen wieder in die Augen, ich wollte nur noch alleine sein. Ramallo kam aus der Küche, als er mich sah stellte er sich neben mich und legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter. Er schaute mich fragend an, meine Tränen waren kurz davor, sich ihren Weg zu bahnen. Ich schüttelte seine Hand ab, rauschte an ihm vorbei und lief schnurstracks in mein Zimmer. Auch diese Tür erlebte meine Wut, als ich sie zufallen ließ. Ich nahm meinen MP3 Player in die Hand, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und drückte auf Play. Es kam En mi mundo, gesungen von Violetta. Eigentlich beruhigte mich das Lied jedes Mal, doch mir kam plötzlich eine Szene in den Sinn. German, Esmerlada und Violetta. Gemeinsam und fröhlich genau diese Lied singend. Ich drückte auf Pause, riss mir förmlich die Kopfhörer aus den Ohren und schmiss den MP3 Player auf meinen Schreibtisch. Heiße Tränen liefen mir über die Wangen, ich schluchzte. Ich zitterte am ganzen Körper, eiskalte Schauer überrollten mich, lockten noch mehr Tränen über meine Wangen. Ich merkte, wie noch ein anderes Gefühl in mir hoch kochte. Es war Wut. Wut auf Esmeralda, Wut auf German, vorallem jedoch Wut auf mich selbst. Ich hatte mich täuschen lassen, gedacht, German hatte noch Gefühle für mich, geglaubt, ich wäre nicht alleine, gehofft, mich nicht zu täuschen. Da klopfte es vorsichtig an der Tür. Ich kannte dieses Klopfen, es war unverkennbar Violetta, doch ich konnte gerade niemanden sehen. Ich reagierte nicht, hoffte, sie würde aufgeben und weitergehen. Sie klopfte wieder. Plötzlich bekam ich Sehnsucht danach, mit jemandem zu reden, in seinen Armen zu weinen, bis mich jemand tröstete. Ich überlegte, ihr doch aufzumachen als ich gedämpfte Stimmen wahrnahm. Ich verstand nur Wortfetzen, doch anscheinend versuchte German gerade, Violetta klar zu machen, dass ich gerade nicht da war. "Ich habe sie doch gehört! Sie weint!", rief Violetta plötzlich so laut aus, dass ich es auch verstehen konnte. German zischte ihr etwas Unverständliches zu, dann war es wieder leise. Langsam konnte ich wieder klar denken. Meine Tränen hatten den Nebel, der sich über meinen Verstand gelegt hatte, vertrieben. Ich wollte weglaufen, mir Zuflucht im Studio suchen, frische Luft schnappen und in den Park gehen, doch so würde ich jemandem aus diesem Haus über den Weg laufen und das galt es zu vermeiden. Langsam wurde es dunkel draußen und ich lief an das Fenster um frische Luft hereinzulassen. Ich blieb dort stehen und atmete die frische Luft ein. Ein Hauch Lavendel lag in der Luft und der Wind säuselte durch das Laub, als mir klar wurde: Ich hatte den frühen Verlust meiner geliebten Schwester verkraftet, ich hatte den jahrelangen Verlust meiner Nicht verkraftet und nun wird dieser dumpfe Schmerz in meiner Brust mich nicht umbringen. Morgen sieht alles schon anders aus, dachte ich als ih mich umzog und mich in mein Bett legte. Doch an Schlaf war nun wirklich nicht zu denken......

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Danke für alles :)

Germangie-DownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt