37. Kapitel: German

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Ich wusste es. Ich habe sie überfordert. Angie war noch nicht so weit, auch wenn sie sich nicht wirklich gewehrt hat. Der Moment, indem ich ihr so nah war und ich das Gefühl hatte, dass auch sie mir nah war, ich konnte nicht anders. Ich mache mir Sorgen, aber bereuen kann ich es nicht, dafür war der Moment zu schön, dafür habe ich solange gewartet. Als ich ihre zarten Lippen auf meinen gespürt habe, ist mir ernsthaft klar geworden, wie sehr mich diese Frau verzaubert, wie viel sie mir wirklich bedeutet. Alleine es zu denken fühlt sich noch etwas fremd an, obwohl ich es tief in mir drinnen geahnt habe: Ich bin verliebt. In Angie. Hoffnungslos. Doch wie soll ich es ihr beibringen? Sie hat in letzter Zeit so viel durchgemacht und der größte Teil der langen Reise liegt noch vor ihr, sie wird nicht darüber nachgedacht haben, wieso ihr Schwager immer an ihrer Seite war. Ich konnte sie einfach nicht alleine lassen, dass hätte mir das Herz zerrissen. Und jetzt habe ich sie alleine gelassen, so knapp daran, ihr einfach die Wahrheit zu sagen, ihre Reaktion abzuwarten. Ich kann sie nicht einschätzen, ich weiß nicht wie sie reagieren würde. Solange sie davon überzeugt ist, dass sie ein zerstörerisches Monster ist, wird sie nicht zulassen, dass ich mich in sie verliebe. Doch man kann sich schließlich nicht aussuchen in wen man sich verliebt, die Liebe wählt mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand. Und egal was Angie denken mag, ich bin glücklich dass ich mich in eine so fabelhafte Person wie Angie verliebt habe. 

Der Tag ist nur so vorbei geflogen, ich habe gegessen, bin spazieren gegangen und habe gegrübelt. Angies Untersuchungen müssen inzwischen vorbei sein und so mache ich mich auf den mir inzwischen schon so vertrauten Weg ins Klinikum. Tatsächlich folgt Angie gerade Monsieur Bouvier den Gang entlang. "Angie!", rufe ich. Sie bleibt stehen und dreht sich genauso wie Monsieur Bouvier zu mir um. "Ich wollte gerade mit Mademoiselle Carrara über die Diagnose sprechen, sie können gerne mitkommen, wenn es für Mademoiselle Carrara in Ordnung ist", meint Monsieur Bouvier. Als Angie nickt, schließe ich zu den beiden auf. 

"Mein Verdacht hat sich bestätigt. Sie leiden tatsächlich an einer Aortenstenose, das haben die Untersuchungen eindeutig ergeben", erklärt Monsieur Bouvier an Angie gewandt. "Und was kann man dagegen tun?", fragt diese. "Eine Operation ist unausweichlich. In Ihrem Fall wäre eine sogenannte Ballondilatation der beste Weg. Hierbei wird der Gefäßabschnitt mit einem Ballonkatheter aufgedehnt. Es ist kein allzu schwerer Eingriff, wir können-natürlich nur mit ihrem Einverständnis- bereits morgen früh operieren", erläutert der Arzt. Angie wirft mir einen Blick zu. Ich nicke ihr zu. "In Ordnung", stimmt sie zu. "Gut, dann notiere ich mir das gleich. Lucia wird Ihnen Medikamente geben, die Sie bitte einnehmen, sie sorgen dafür, dass morgen alles möglichst glatt läuft. Dann würde ich sagen, wir sehen uns morgen", meint er noch und begleitet uns zur Tür. Als ich das Zimmer verlassen möchte, deutet er mir an, noch einen Moment da zubleiben. "Ich komme gleich zu dir", flüstere ich Angie zu und schließe dann die Tür. Was will denn Monsieur Bouvier noch von mir? Verwirrt beobachte ich ihn dabei, wie er Platz nimmt. Stimmt irgendetwas nicht? Ist die Diagnose schwerwiegender, als er vor Angie zugeben wollte? "Ich möchte gleich zum Punkt kommen, Monsieur Castillo. Sind Sie der Meinung, dass Mademoiselle Carrara Fortschritte macht?", fragt er, kaum dass er sitzt. "Ja, auf jeden Fall. In letzter Zeit wirkt sie verändert auf mich, sie ist wieder etwas fröhlicher, ist nicht so ängstlich und abstoßend", antworte ich wahrheitsgemäß. "Glauben Sie, dass sie in der Lage ist, aus eigener Kraft Nahrung zu sich zu nehmen?", will er weiter wissen. Ich zucke mit den Achseln. "Das kann ich leider nicht beurteilen, ich weiß nicht, wie Angie denkt. Ich bin der Meinung, dass sie einsieht, was sie falsch macht und dass es daher nicht mehr lange dauern wird, bis Angie wieder essen wird",beantworte ich seine Frage. Monsieur Bouvier nickt nachdenklich. "Danke für Ihre Ehrlichkeit", meint er noch, ehe er in seinen Notizen versinkt.

"Was wollte er denn von dir?", fragt mich Angie kurze Zeit später. "Ach, nur etwas Harmloses, wegen deiner Krankenversicherung", antworte ich ausweichend. Angie scheint sich damit zufrieden zugeben. "German, ich glaube, ich habe Angst", beginnt Angie leise. "Das musst du nicht, die Ärzte wissen genau, was sie tun", antworte ich ihr möglichst sanft. "Es ist nicht nur das", meint sie immer noch mit zitternder Stimme. "Sondern?", frage ich weiter, doch Angie schüttelt den Kopf. "Lass gut sein, German, ich komme schon klar. Ich bin einfach nervös", meint sie vage. Ich komme schon klar; wenn ich diesen Satz noch öfters höre... "Ruh dich einfach noch ein bisschen aus, ich komme morgen früh vor deiner Operation noch einmal zu dir, versprochen", versuche ich sie zu beruhigen. Angie nickt. "Bis morgen".

Endlich ein kleiner Lichtblick, Angie hat eine Chance bekommen, dass sich ihr gesundheitlicher Zustand verbessert. Hoffentlich läuft alles rund! Sie kommt schon klar, mit was kommt sie klar? Es gibt doch nichts, was sie mir nicht erzählen kann! Doch darüber mache ich mir besser erst nach der OP wieder Gedanken.

Der nächste Morgen beginnt mit strahlendem Sonnenschein. Wenn das nicht mal ein gutes Zeichen ist! Ich schlinge schnell ein kleines Frühstück hinunter und begebe mich zum Klinikum. Ich muss jetzt für Angie da sein. Ich bin merkwürdig nervös, Angie ist doch diejenige, die operiert wird, aber trotzdem merke ich, wie ich nervös werde. Angie liegt schon in OP-Kittelchen im Bett und scheint schon auf dem Weg in den OP zu sein. Monsieur Bouvier gibt mir ein Zeichen, dass ich zu ihr gehen soll. "Angie", begrüße ich meine Schwägerin, als ich das Zimmer begrüße. Matt sieht sie aus, müde und ängstlich. "Ich bin immer bei dir, selbst wenn es nur in Gedanken ist", erkläre ich ihr. Doch auch das scheint ihr nicht die Angst zu nehmen. Sie zittert. "German, es gibt da etwas...", fängt sie an, doch ich unterbreche sie. "Später, Angie, später." "Ich muss dir etwas Wichtiges sagen...ich...weiß nicht....es...ist...wichtig....nicht böse....auf mich...sein...ich...", stottert sie, dann beginnt das Narkosemittel zu wirken und sie entgleitet mir. Eine Schwester kommt und schiebt das Bett mit der schlafenden Angie in den Gang hinaus und lässt mich stehen. Was meinte Angie? Was ist ihr so wichtig, dass es ihr Angst macht? Wieso sollte ich böse auf sie sein? Was verheimlicht Angie mir?.



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