28. Kapitel: Angie

207 21 11
                                    

Verzweifelt lasse ich mich in mein Kissen sinken. Was war denn das gerade? German hat gar nichts mehr gesagt. Habe ich ihn erneut verletzt? Haben ihn meine Worte getroffen? Er ist es doch immer der, der wissen will, wie es mir geht. Und wenn ich ehrlich bin, dann schweigt er. Schweigen ist auch eine Antwort. Dann will er wohl bald nichts mehr mit mir zu tun haben. Wen wundert es? Sein Verhalten spricht anders als seine Körpersprache. Seine Anwesenheit beruhigt mich und doch macht er mich nervös. Ich komme mir vor, als wäre ich gläsern, als könnte er alles sehen, was ich denke und fühle, noch bevor ich etwas sagen muss. Als kenne er mich besser als ich mich selbst. Er hat mich so oft enttäuscht und dennoch weiß ich, dass ich nicht ohne ihn kann. Die Vorstellung, fernab von Violetta und ihm zu leben, ist grauenvoll. Aber vielleicht ist es der einzige Weg um einmal über alles nachzudenken. 

"Ist alles in Ordnung?", fragt mich Lucia von der Tür aus. Ich habe sie gar nicht kommen gehört, so tief war ich in meinen Gedanken versunken. Ich nicke. Was gibt es da groß zu sagen? Lucia durchquert mein Zimmer und stellt sich neben mein Bett. "Angie, du weißt genau, dass German alles für dich tun würde", sagt sie leise und verlässt mein Zimmer. Ich schaue noch einen Moment länger auf die Tür, durch die Lucia verschwunden ist. Über ihre Worte nachgrübelnd, schlafe ich langsam ein.

Als ich aufwache, steht neben mir eine dampfende Tasse Tee und ein kleiner Zettel. Monsieur Bouvier erwartet dich in einer Stunde im Behandlungszimmer. Lass dir den Tee schmecken. Lucia. Der Tee riecht tatsächlich verführerisch und so greife ich zur Tasse und leere ihn hinunter. Ich stehe auf, laufe zu meinem Fenster und lehne meinen Kopf gegen die kühle Scheibe. Draußen ist viel los. Besucher kommen, Ärzte trinken ihre Tasse Kaffee zum Wach werden oder rauchen eine Zigarette, Patienten schnappen im Rollstuhl etwas frische Luft und die Cafeteria wird mit frischen Brötchen beliefert. Violetta müsste jetzt im Studio fertig sein, von der Zeitverschiebung her, könnte ich sie erreichen. Auf meinem Schreibtisch liegt das Telefon und ich wähle Violettas Nummer. "Ja?", meldet sich meine Nichte. "Ich bin's Angie", melde ich mich. "Angie, wieso rufst du an?", fragt mich Violetta überrascht. "Ich wollte deine Stimme hören", gebe ich zu. "Wie geht es dir? War Papa schon da?", fragt sie mich neugierig. "Ja, dein Papa war gestern kurz da. Hier ist alles so totenstill und weiß, das ist echt schlimm", antworte ich. "Angie, Olga ruft gerade, es gibt Essen. Ich rufe dich später wieder an, versprochen", entschuldigt sie sich und legt auf. Ich halte das Telefon noch immer in der Hand. Ich würde so gerne mit jemanden sprechen, dem ich vertrauen kann, dem ich alles erzählen kann und mich für voll nimmt. Pablo würde mich nicht verstehen, Antonio ebenso nicht. Die einzige Person, mit der ich schon immer reden konnte, ist meine Mama. Wieso habe ich ihr nur nichts erzählt? Sie muss immer noch denken, dass ich glücklich in Paris als Komponistin arbeite, sonst hätte sie mich schon längst angerufen. Wenn ich sie jetzt anrufe, werde ich sie kaum aufhalten können, sie wird den nächsten Flieger nehmen und hierher kommen. Aber will ich das? Ich möchte einfach nur mit jemanden sprechen und nicht noch jemanden, der mich hilflos anstarrt, als wäre ich dem Tode geweiht. Auf der anderen Seite, Angelica muss wissen, wie es mir geht. Sie hat schon ihre eine Tochter verloren. Nachdenklich betrachte ich das Telefon. Nach der Untersuchung.

"Guten Morgen, Mademoiselle Carrara", begrüßt mich Monsieur Bouvier. Er sieht aus, als hätte er eine lange Nacht hinter sich, vermutlich hatte er eine Operation und gleich mehrere Schichten hintereinander. Seine Dosis Koffein steht noch vor ihm. Er bittet mich auf eine Waage, sie hat keine Anzeige auf meiner Seite, so kann nur Monsieur Bouvier selbst mein Gewicht sehen. Er trägt etwas ein und nickt. "Das sieht schon einmal besser aus", murmelt er leise vor sich hin. Besser? Durch was denn? Das kann doch gar nicht sein, ich habe doch hier nichts angerührt außer Wasser und Tee. Und meine Sport-Aktion hat ja sicherlich nicht dazu beigetragen, dass sich mein Gewicht erhöht. Der Rest der Untersuchung ist wie immer: EKG, Blut abnehmen, verschiedene Übungen. Ich bin nicht ganz bei der Sache. Besser? Das ergibt für mich einfach keinen Sinn. "Lucia wird sie später gemeinsam mit zwei anderen Patienten in unseren Park führen. Halten Sie sich bitte bereit", erzählt er und unterdrückt ein Gähnen. Vielleicht verstehe ich die Untersuchung ja bei frischer Luft.

Ich setze mich auf mein Bett und entdecke neben mir eine Hose und ein Top. Zieh dich um. Lucia. Endlich wieder etwas Normales! Ich schlüpfe schnell in die schwarze Leggings und das blaue Top. Dabei fällt mein Blick auf das Telefon. Jetzt oder nie. Während das Warten auf Violettas Stimme normal war, ist das jetzt die Hölle. Es klingelt einmal, zweimal, dreimal. Erst dann nimmt meine Mama ab und meldet sich. "Hallo Mama, ich bin es", melde ich mich leise und merke, wie ich zittere. Ich lasse mich auf den Stuhl gleiten und versuche ruhig zu arbeiten. Meine Mama hat die Wahrheit verdient. "Wie geht es dir, mein Schatz? Was machen die Kompositionen?", fragt sie mich. Ich erkenne das Lächeln in ihrer Stimme. Ich muss es wieder tun. Einen glücklichen Menschen verletzen. "Es geht so, Mama. Momentan arbeite ich nicht", beginne ich vorsichtig. Bei Angelica schlägt sofort der Beschützersinstinkt Alarm. "Was ist passiert?", fragt sie mich besorgt. Meine Hand zittert immer mehr. Jetzt. "Ich habe etwas zu wenig gegessen und bin umgekippt", versuche ich es zu beichten. "Wie bitte? Angeles, ist das dein Ernst?", fragt mein Mutter schockiert. "Ich lüge nicht Mama. Das solltest du doch wissen", versuche ich sie zu beschwichtigen. "Was hat er die angetan?", fragt sie. "Wer?", frage ich, doch ich weiß genau, wen sie meint. "German. Du kannst mir nicht weismachen, dass er nichts mit dir zu tun hat!", wirft sie mir vor. Sie schreit nicht, sondern redet leise. Sie ist nicht sauer, sie ist enttäuscht von mir. "Es tut mir Leid", versuche ich es leise. Am anderen Ende der Leitung höre ich ein Schluchzen. "Ich kann dich nicht verlieren." Ich lasse das Telefon sinken. Was habe ich nur getan? Wenn sogar German und Mama einer Meinung sind? German, Mama, Pablo, die Werte, Lucia. All das dreht sich in meinem Kopf wie in einem Wirbelsturm und eine merkwürdige Kälte ergreift Besitz von mir. Am Rande bekomme ich mir, wie mir das Telefon aus der Hand fällt, dann spüre ich nichts mehr.


____________________________________________________

Heute mal um Einiges früher... An dieser Stelle, vielen vielen Dank an euch, die diese Story lesen, voten und kommentieren. Ich hätte da mal zwei, drei kleine Fragen und ich würde gerne dazu eure Meinung wissen. Seid ihr zufrieden? So schnell ist Angie nicht zu heilen.... Was würdet ihr verbessern? Und was mich interessieren würde, was gefällt euch an der Story? Ich würde mich freuen, wenn ihr einfach kurz eure Meinung schreibt. LG und noch einen schönen Sonntag. :)

P.S. An alle aus Baden-Württemberg und Bayern: Guten Start nach den Ferien :)



Germangie-DownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt