4. Kapitel: Angie

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Ich wollte einfach nur meine Ruhe, Zeit um mich zu beruhigen. Ich wollte nicht mit ihm reden, einfach alleine sein und meinem Kummer freien Lauf lassen. "German, ich glaube nicht...", fing ich an, meine Stimme bebte, ich war froh überhaupt in der Lage zu sein irgendetwas zu sagen. Doch ich wurde unterbrochen, von einer Stimme, die ich in den letzten Wochen zum Schweigen gebracht hat. "Schatz, wo bist du?", fragte sie. Es war Esmeralda. Ständig tauchte sie auf, wenn ein Gespräch zwischen German und mir auch nur teilweise funktionierte. German hatte sich seit Esmeralda in diesem Haus war, merklich verändert. Und ich war ihm egal. Wieder stiegen mir Tränen in die Augen, doch ich blinzelte stark, ich wollte jetzt nicht in Tränen ausbrechen. "Ich bin hier", antwortete German und ging, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, aus meinem Zimmer. Wie sollte das nur noch weitergehen? Ich lebte in diesem Haus praktisch wie eine Fremde, war froh, wenn ich arbeiten musste und nicht hier sein musste. Wäre da nicht Violetta, würde ich schon längst nicht mehr hier wohnen. Entkräftet ließ ich mich auf mein Bett fallen. Die Tränen und der Kummer raubten meine Kräfte, ich kam mir vor wie eine wandelnde Hülle. Wie hatte es nur jemals so weit kommen können?

Leise Schritte rissen mich aus meinen dunklen Erinnerungen. Es war meine kleine Nichte Violetta. Sie hat den Streit meinetwegen mit ihrem Vater den ganzen Tag über mit keinem Wort erwähnt, doch jetzt war ich anscheinend dran. "Komm rein", forderte ich sie mit brüchiger Stimme auf. Violetta ging langsam auf mich zu. "Willst du reden?", fragte sie mich sanft."Ich weiß nicht Vilu", antwortete ich wahrheitsgemäß. Sie machte noch einen Schritt und nahm mich behutsam in den Arm. Das war genau die Wärme, die ich im Moment brauchte. Und doch war es nicht die Person, die ich gerade brauchte. Der alleinige Gedanke an meinen Schwager brach mir erneut das Herz. Ob er gerade Esmeralda im Wohnzimmer küsste? Zum wiederholten Male liefen mir meine Tränen in heißen Strömen meine Wangen hinab. Violetta strich mir behutsam über den Rücken. Ich löste mich aus der Umarmung und lächelte sie traurig an. "Danke, was wäre ich nur ohne dich", sagte ich leise, meine Stimme noch rau vom ständigen Weinen. Violetta schaute mich ernst an. "Es ist wieder wegen Papa, oder? Ich habe dich gestern weinen gehört, aber Papa hat alles abgestritten. Was hat er gemacht?", fragte sie mich ruhig. Nein, ich konnte ihr das nicht erzählen. Es tat zu sehr weh und ich musste Violetta wohl kaum gegen ihren Vater aufhetzen. Ich schüttelte langsam den Kopf. "Angie ich muss los, ich habe noch eine Stunde bei Pablo", verabschiedete sich Violetta und warf mir im Herausgehen noch ein aufmunterndes Lächeln zu.

Um mich abzulenken, schnappte ich mir einige Partituren aus dem Studio und begann sie zu überarbeiten. Konzentrieren konnte ich mich jedoch kaum, weshalb ich beschloss, mir ein Glas Wasser aus der Küche zu holen. Aus der Küche hörte ich ein fröhliches Lachen und das Bild, das sich mir bot, bohrte sich tief in mein Herz: German alberte mit Esmeralda herum, er warf gerade mit einer kleinen Tomate nach ihr. Esmeralda lachte herzlich und Germans Lächeln wirkte fröhlicher, als es mit mir jemals war. Seine Lachfalten wirkten tiefer, als würde er sie nur noch benutzen.

Das Gesamtbild versetzte mir einen Stich und ich ließ mich auf die Couch fallen. Wie hatte ich nur jemals glauben können, für German und mich gab es eine Chance? Es war aus, für immer, und die Erkenntnis saugte meine Emotionen auf wie ein schwarzes Loch. Ich stand auf, wollte weg, bevor jemand mich in diesem Zustand zu Gesicht bekam, doch meine Beine versagten und ich konnte mich gerade noch am Couchtisch festhalten. Mir war schwindlig, die Welt schien sich zu drehen und die Farben verschwanden bis plötzlich alles schwarz wurde.

Ich blinzelte und spürte einen leichten Luftzug über mein Gesicht streifen. Mühsam öffnete ich meine Augen, es war Ramallo, der mit einer Akte vor meinem Gesicht herumfuchtelte. "Gott sei Dank, Angeles! Als ich gekommen bin, lagst du bewusstlos am Boden. Wie geht es dir?", fragte er besorgt. "Gut", murmelte ich, da schossen mir die Bilder von Esmeralda und German wieder in den Kopf. "Du bist sehr blass, Angeles, vielleicht solltest du dich ein bisschen ausruhen", meinte Ramallo sorgenvoll. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und wankte die Treppe hinauf in mein Zimmer. Es war endgültig vorbei, das war mir klar. Ich sank in einen unruhigen, aber traumlosen Schlaf, bis ich von einem lauten Aufschrei geweckt wurde. Es war Olga. Verschlafen rieb ich mir die Augen, zog mich an und lief in das Wohnzimmer. "Was ist denn hier los?", fragte ich verwirrt. Olga tanzte wild herum, Violetta umarmte ihren Vater und Esmeralda hatte einen Arm um German gelegt. Als sie mich sah, hielt sie mir ihre Hand hin. "German und ich sind verlobt", sagte sie ruhig lächelnd, doch in ihrem Lächeln lag eine eindeutige Herausforderung. Sie waren verlobt? Es war, als würde mir mein Herz herausgerissen und in tausend Stücke zerrissen. Aufsteigende Tränen verkleinerten mein Sichtfeld, ich murmelte ein leises "Herzlichen Glückwunsch" und rannte aus dem Haus.

Wieder verschlang das schwarze Loch alle meine Gefühle, doch es kamen keine Tränen. Meine Augen brannten, die Tränen fehlten. Mein Magen knurrte, ich hatte gestern kaum etwas zu mir genommen, doch ich ignorierte es. Das Knurren brachte mich in die Realität zurück, doch dort wollte ich gerade am wenigsten sein. Wie konnte German nur so blind sein? Sah er nicht das Herausfordernde in Esmeraldas Lächeln, die Boshaftigkeit in ihren Augen und das Eiskalte und Erbarmungslose in ihren Bewegungen? Was war mit ihm geschehen? Ich kramte in meiner Tasche nach einer Flasche Wasser und da fiel mir ein kleines Visitenkärtchen entgegen. Es wurde mir vor einiger Zeit von einem Musikproduzenten aus Frankreich gegeben, er wollte mich als Komponistin und Sängerin anheuern und sagte, ich könnte mich melden, wenn ich mal eine Auszeit aus Buenos Aires bräuchte. Eine Leere erfüllte mich, als ich zitternd die Nummer in mein Handy eingab. Es war die einzige Lösung. Weg von German, weg von Esmeralda, weg von meinen Problemen. Und doch wusste ich, nichts auf der Welt könnte mich vergessen lassen, wie sich ein gebrochenes Herz anfühlt.

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