18. Kapitel: Angie

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Ich traue mich nicht, mein Gesicht wieder zu heben, in Germans zauberhafte braune Augen zu schauen. Wie hatte ich es nur verdient, dass so ein Mann und seine wundervolle Tochter mich nicht aufgeben? Alle habe ich verletzt, alle. Und ihn, German, sogar körperlich, wenn auch nicht durch das Einsetzen von Kraft. Aber ohne mich wäre er niemals weggerannt.  Ohne mich wäre er nicht einmal in Paris, sondern säße glücklich verheiratet mit Esmeralda irgendwo in Buenos Aires, Violetta würde glücklich neben ihnen singen. Esmeralda wäre bestimmt schon schwanger und niemand würde mich vermissen... 

Da spüre ich eine Hand auf meinem Rücken, sanft ist sie, streichelt mir langsam über den Rücken. Germans Hand. "Angeles", sagt er leise. Ein kalter Schauer fährt mir durch meinen gesamten Körper. Wie soll ich nur jemals wieder mit ihm reden können? Ich werde nie den Mut aufbringen, meinen Kopf zu heben, nie. Doch German nimmt mir urplötzlich die Entscheidung ab. Er streicht eine Strähne meines Haares aus meinem Gesicht und beigt sich zu mir. So nah, dass ich den Geruch seines Aftershaves riechen kann. Leise flüstert er mir in mein Ohr:" Rede mit mir, vertraue mir. Vertraue in dich selbst." Seine Worte überraschen mich, doch noch mehr überrascht es mich, wie mich seine Worte treffen. Sie kommen dort an, wo sie hin sollten. In mein Herz. Ich gehorche ihm, löse widerwillig meine Hände von meinem Gesicht. Ich sehe ihn noch immer so nah neben mir und erröte ein wenig. Auch ihm scheint die Nähe unangenehm zu sein, mit hochrotem Gesicht setzt er sich mir gegenüber. 

"Ich höre dir zu Angie", sagt er sanft. Meine Sorgen, nicht mit ihm reden zu können, lösen sich in Luft aus. Der Blick aus seinen tiefbraunen Augen bringt mich dazu, mich ihm anzuvertrauen. Leise fange ich an zu erzählen:" German, ich weiß, dass du es vermutlich noch immer nicht gerne hörst, aber alles fing zu der Zeit an, als Esmeralda kam. Sie war mir vom ersten Moment an unsympathisch, sie wirkte unecht, gekünstelt. So schnell hatte sie dein Vertrauen gewonnen, sich in das Herz von Violetta gespielt. Meine Bedürfnisse überhaupt ich selbst, plötzlich war ich unwichtig. Ich kam mir vor wie unsichtbar. Esmeralda ließ mich bei dem Glauben, ich wäre nur noch bei ihr, weil ich doch irgendwie zur Familie gehöre, ließ mich jedoch oft wissen, dass ich weder Violetta noch dir noch etwas bedeutete. Immer wieder. Ich genoss die Zeit im Studio, fernab von der ganzen Streitereien und schob Überstunden. Kümmerte mich wenig um mich, nur Ablenkung von euch und damit Ablenkung von mir zählte. Ich vernachlässigte die wichtigsten Bedürfnisse meines Körpers, ignorierte Hunger, Durst und Schmerz. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, weiß ich nicht, wie es geschafft habe, überhaupt damit aufzuhören. Dein Verrat an mir indem du mir vorspieltest du seiest Jeremias hat mich verletzt. Mein Nervenkostüm war äußerst gespannt, sehr dünn. Im Nachhinein ist es eine kleine Sache, doch noch jetzt, das Bild gab mir den Rest. Ich dachte, dir war unsere Zeit egal, nur Esmeralda zählte. Ich weiß nicht, innerlich drehte ich vollkommen durch. Meine Entscheidung nach Paris zu gehen war schnell gefällt, die Wohnung schnell gefunden. Ich erledigte meinen Job, mein Chef war zufrieden, ich war mit meinem kleinen, aber nicht ganz heilen Leben zufrieden. Und dann stand Pablo vor der Tür. Er war die erste Person aus meinem alten Leben, zu der ich wieder Kontakt hatte. Und diese Person forderte mich dazu auf, mich mit dir in Verbindung zu setzten.  Und dann machte es 'bumm' und als ich wieder aufwachte, lag ich in diesem Krankenhaus. Und sah dich. German."  Instinktiv senke ich meinen Kopf, erwarte die Kritik, die jetzt seinerseits kommen muss. Doch seine Reaktion überrascht mich. Er legt eine Hand an meine Wange und flüstert wieder:" Angeles, was machst du für Sachen!" Zum ersten Mal sehe ich etwas bei ihm, was lange versteckt geblieben war: Seine verletzliche Seite. Ich kann meine Augen nicht mehr von den seinen abwenden, Trauer, Schmerz, Ratlosigkeit, all das sehe ich in dem wunderschönen Braun. Und noch etwas. Tränen schimmern in ihnen. Das letzte Mal, als ich ihn so gesehen habe, war bei Marias Beerdigung und damals war ich noch klein. Doch den Anblick kann ich einfach nicht vergessen. "Dein Fuß?", frage ich ziemlich dämlich. "Mit Schmerzmitteln betäubt", antwortet er. "Es ist nicht schlimm, Angie", beschwichtigt er mich, er scheint mein Zögern bemerkt zu haben. Ich beobachte seine Gesichtszüge, ihm brennt anscheinend eine Frage auf der Zunge. "Hast du Hunger?", fragt er mich schließlich hastig. Ich blicke wieder in sein fragendes Gesicht und wend den Kopf ab. "Nein", antworte ich knapp. "Angie, du musst!", kommt seine fordernde Antwort. "Ich muss nicht und ich will nicht! Du verstehst mich einfach nicht!", antworte ich. "Bitte", fleht er. Verzweiflung steigt in mir auf, mit ihr die Tränen. "Hör auf", flehe ich. Ich kann nicht. Keinen Bissen. "Gibst du mir die Schuld?", fragt mich German unvermittelt. Verwundert schaue ich ihn an. "An der Situation hier?", frage ich. "Nein, an deiner Situation", berichtigt er sich. Eine komplizierte Frage, unzählige Male habe ich mir sie gestellt und kam doch immer auf dasselbe Ergebnis. "Nein, so gerne ich es getan hätte. Aber ich konnte nicht. German, die Schuld an dem ganzen Mist hier liegt bei mir. Ich hätte früher mit dir oder Vilu reden sollen. Es war mehr als hart für mich, als ich in Paris war und mir klar war: Neues Leben, neue Leute. Ein Tag höchstens habe ich es geschafft, nicht an euch zu denken. Es wurde nicht besser. Wer weiß, was gerade wäre, wenn ich den Mut gehabt hätte zu reden", antworte ich überlegt. German sagt nichts. "Es wird nie wieder wie früher", sagt er schließlich. Wieder treffen seine Worte in mein Herz. Früher, die Zeit, als alle glücklich waren, die Zeit in der ich gesund in Buenos Aires war, die Zeit mit meiner kleinen verrückten Familie. "Vilu?", frage ich leise. Meine Stimme klingt fremd, rau. "Draußen, sitzt am Klavier und hofft, dass ich ihr ihre Tante zurückbringe", antwortet er lächelnd. Ich spüre, wie der Schwindel zurückkehrt. Kurz verschwimmt min Sichtfeld. "Ich bin nicht gut für sie. Ich bein keine gute Tante für sie, kein Vorbild, kein gar nichts", antworte ich meinem Schwager resigniert. Ich bin nichts wert, nicht einmal eine gute Tante sein zu können. Alles hat sich geändert, ich habe mich geändert. Ich komme mir vor wie getreten, überfahren und gedemütigt. Ich nehme mir einen Zettel und den Stift, German lässt mich. Es gibt Sachen, die sollte man nicht vergessen. Man sollte sie verewigen.  Auch wenn diese Sachen alles zerstören, das eigene Leben, das Leben der Anderen. 


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Heute mal ein bisschen früher, bin später nicht da und habe kein Internet ;)

Ich bin euch unendlich dankbar für die etlichen wundervollen Kommentare, ohne die das Schreiben nur halb so viel Spaß machen würde und jedes einzelne Vote, das mir zeigt, das euch gefällt, was ich schreibe.  So this sentence is really true: I'm half a heart without you <3 (Huh, das reimt sich *freu*) Ihr seid toll!! ^^

Germangie-DownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt